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Die sogenannten Abnehmspritzen mit Wirkstoffen wie Semaglutid oder Liraglutid sind kaum mehr lieferbar. Problematisch kann das vor allem für Menschen mit Typ-2-Diabetes werden. Professor Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), erklärt im Interview, wie es zu den Lieferengpässen kam, was man als Betroffener tun kann und wie es wohl mit der Verfügbarkeit weitergehen wird.

Herr Professor Schulz, aktuell gibt es in Deutschland einen Mangel an Medikamenten mit Wirkstoffen wie Semaglutid oder Liraglutid, sogenannten GLP-1-Agonisten, die auch als Abnehmspritzen bekannt sind. Wie dramatisch ist es?

Professor Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)

Professor Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)

Martin Schulz: Seit einigen Jahren werden die angesprochenen Medikamente Menschen mit Typ-2-Diabetes verordnet. Teilweise in anderer Dosierung und anderem Handelsnamen sind sie nun auch zur Behandlung von Adipositas – also stärkeres Übergewicht, definiert durch einen Body-Mass-Index (BMI) mindestens 30 oder mindestens 27 bei Vorliegen einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung – zugelassen. Vor allem ein enormer Medienhype zur Gewichtsabnahme hat weltweit dafür gesorgt, dass die GLP-1-Agonisten sehr, sehr nachgefragt sind – und es relevante Lieferengpässe gibt.

Müssen sich Menschen mit Diabetes Sorgen machen, dass sie diese Medikamente nicht mehr bekommen?

Schulz: Es ist derzeit in jedem Fall deutlich aufwändiger, sie zu bekommen. Viele Patientinnen und Patienten müssen mehrere Apotheken abtelefonieren, um zu erfahren, wo gerade etwas lieferbar ist. Je nachdem, wie dringend man das Medikament braucht, muss man auch schon einmal weite Strecken fahren, um es rechtzeitig zu bekommen. Es gab auch schon Fälle, wo ein Arzt oder eine Ärztin einen Menschen mit Typ-2-Diabetes vorübergehend auf eine andere Behandlung umstellen musste.

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Lieferengpass: Was tun?

Aktuell sind etliche Arzneien nicht oder nur schwer erhältlich – darunter einige häufig benötigte. Was können Patienten tun, wenn ihr Medikament betroffen ist? zum Artikel

Ist es auch so, dass zum Beispiel eine Ärztin, die ihren Typ-2-Diabetes-Patienten eigentlich die Behandlung mit einem GLP-1-Agonisten nahelegen wollte, damit erst einmal wartet?

Schulz: Erst einmal keinen neuen Patientinnen und Patienten die Medikamente zu verschreiben, solange es hier noch einen Mangel gibt, erscheint mir angesichts der aktuellen Situation als nicht unvernünftig und entspricht auch einer aktuellen Empfehlung des Herstellers. Zum Glück haben die GLP-1-Agonisten kein Abhängigkeitspotenzial oder etwas in der Richtung; sie lassen sich problemlos absetzen. Aber wenn man nicht an seine Medikamente kommt, dann muss der Arzt die Behandlung wieder umstellen. Das ist aufwändig und führt zu Verunsicherung, gerade, wenn eine Person den GLP-1-Agonisten eigentlich gut verträgt und der Diabetes damit gut eingestellt ist. Solche durch Lieferengpässe erzwungene Umstellungen sollten natürlich auch in den nächsten Wochen und Monaten die Ausnahme bleiben.

Haben Sie Tipps, wie Menschen mit Diabetes noch verlässlich an diese Medikamente kommen?

Schulz: Man sollte sich einerseits rechtzeitig kümmern. Das heißt, nicht erst an dem Tag aktiv werden, an dem die letzte Spritze aufgebraucht ist. Besser wenige Wochen vorher schon einmal versuchen, den Nachschub zu organisieren. Das nimmt ein wenig Zeitdruck aus der Sache – und an der Zeit liegt es in aller Regel. Denn wer dranbleibt und etwas Zeit mitbringt, bekommt in den allermeisten Fällen sein Medikament. Zugleich sollte man aber natürlich auch nicht hamstern. Ganz wichtig! Sonst verschärft sich die Lage für alle noch weiter. Um das zu verhindern, wird Ärzten derzeit empfohlen, immer nur ein Rezept für maximal eine N3-Packung zu verordnen. Deren Inhalt reicht für etwa drei Monate.

Manche wollen die GLP-1-Agonisten ab Februar spritzen, um pünktlich zum Sommerurlaub eine „bessere Figur“ zu haben.

Wenn man bei den Apotheken partout keinen Erfolg hat – wäre dann nicht auch eine Bestellung im Internet eine Alternative?

Schulz: Nein, das kann sogar gefährlich sein. Es sind Fälschungen aufgetaucht, es gibt keine Qualitätskontrolle, man weiß am Ende gar nicht, was man untergejubelt bekommt und sich spritzt. Hinzu kommt: Wenn es nicht in einer offiziellen Versandapotheke bestellt wird, ist es in den allermeisten Fällen illegal, ein rezeptpflichtiges Medikament im Internet zu bestellen. Man macht sich damit strafbar.

Es gibt einige Menschen, die illegal an die Abnehmspritzen kommen möchten. Weil die GLP-1-Agonisten in den Medien und auch von bekannten Persönlichkeiten wie Elon Musk als Abnehmspritzen bekannt geworden sind, sind auch weitgehend gesunde Menschen neugierig geworden, die etwa nur leichtes Übergewicht haben. Welche Rolle spielen sie bei den aktuellen Lieferengpässen?

Schulz: Das sind Menschen, die häufig falsche Vorstellungen von diesen Medikamenten haben. Manche wollen die GLP-1-Agonisten ab Februar spritzen, um pünktlich zum Sommerurlaub eine „bessere Figur“ zu haben. Andere glauben, dass die Spritze ein bequemes Abnehmen ermögliche, ohne dass man irgendetwas sonst im Leben, vor allem in Bezug auf Ernährung und Bewegung, umstellen muss. Weil sie von ihrem Arzt kein Rezept bekommen, versuchen manche es auf andere Weise: Sie fälschen Rezepte, sie versuchen, das Medikament im Internet zu bestellen, sie fragen befreundete Ärztinnen und Ärzte nach einem Privatrezept. Es lässt sich schwer beziffern, wie häufig dieser bewusste Fehlgebrauch ist. Aber feststeht: Jedes Mal, wenn jemand damit Erfolg hat, entfernt sie oder er eine oder mehrere Packungen der dringend benötigten GLP-1-Agonisten aus dem System und verschärft die Situation weiter.

Sie sagen, diese Menschen hätten häufig falsche Vorstellungen. Aber die GLP-1-Agonisten werden Menschen mit Adipositas ja tatsächlich zum Abnehmen verordnet – genau darum geht es ja den meisten Menschen, die sich dafür interessieren …

Schulz: Bei Adipositas, also bei starkem Übergewicht, wirken die Medikamente teilweise bemerkenswert gut. Deshalb stellen sie eine wertvolle neue Therapieoption im Rahmen des Gesamtkonzeptes dar. Bei leichtem Übergewicht aber ist die Wirkung in aller Regel deutlich geringer. Abgesehen davon tritt nach dem Absetzen der GLP-1-Agonisten normalerweise ein Jojo-Effekt auf: Man nimmt zügig wieder an Gewicht zu. Deshalb brauchen Menschen mit Adipositas die Medikamente häufig Jahre oder Jahrzehnte. Und grundsätzlich sollte eine Therapie der Adipositas, mit oder ohne Arzneimittel wie GLP-1-Agonisten, immer ärztlich begleitet werden. GLP-1-Agonisten sind auch nicht frei von Nebenwirkungen: Ungefähr 15 Prozent der Menschen vertragen sie gar nicht; es kann zu Übelkeit, Durchfall, Bauchkrämpfen und anderen unangenehmen Beschwerden kommen. In seltenen Fällen kann es auch zu Gallensteinen und Entzündungen der Bauchspeicheldrüse kommen. Deshalb kann ich nur betonen: GLP-1-Agonisten sind nichts, was man auf eigene Faust spritzen sollte!

Was glauben Sie, wie lange die Lieferengpässe noch für Verzögerungen sorgen werden?

Schulz: Ich hoffe, nur noch bis Mitte des Jahres, aber es kann leider auch gut sein, dass relevante Engpässe bis Ende dieses Jahres oder gar darüber hinaus bestehen bleiben.


Quellen:

  • Louis J. Aronne, Naveed Sattar, Deborah B. Horn et al.: Continued Treatment With Tirzepatide for Maintenance of Weight Reduction in Adults With Obesity, The SURMOUNT-4 Randomized Clinical Trial. Online: https://jamanetwork.com/... (Abgerufen am 28.02.2024)
  • Shu Y., He X., Wu P.; Front. Public Healt: Gastrointestinal adverse events associated with semaglutide: A pharmacovigilance study based on FDA adverse event reporting system. Online: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 28.02.2024)
  • Wilding J., Batterham R., Calanna S.; The New England Journal of Medicine: Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. Online: https://www.nejm.org/... (Abgerufen am 28.02.2024)