Häusliche Gewalt: Kein Trautes Heim
Laute Schreie. Es poltert, dann ein Schlag. Wimmern setzt ein. Nur ein heftiger Streit? Oder kam es nebenan gerade zu Gewalt? Sollte ich rübergehen? Die Polizei rufen? Geht mich das überhaupt etwas an.
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist keine Seltenheit
So gut wie jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten. An jedem dritten Tag gelingt dies auch. Was vorausgeht, bevor es so weit kommt, taucht seltener in der Kriminalstatistik auf. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben durch ihren aktuellen oder früheren Partner genötigt, bedroht, vergewaltigt oder gestalkt. Und das über alle Gesellschaftsschichten hinweg.
In der Phase strenger Kontaktbeschränkungen während des ersten Lockdowns 2020 erlebten rund drei Prozent der Frauen körperliche Gewalt durch ihren Partner. Unter den Frauen, die zu Hause in Quarantäne mussten, waren es sogar fast acht Prozent, wie eine Onlinebefragung der Technischen Universität München ergab, an der rund 3800 Frauen teilnahmen.
Ob die Maßnahmen in Deutschland insgesamt zu mehr häuslicher Gewalt geführt haben, können laut Diakonie Deutschland bisher keine Zahlen verlässlich belegen. Beim Weißen Ring will man dennoch nicht entwarnen: Opfer würden sich oft erst spät melden und Gewalttaten sich deshalb nicht sofort in den Zahlen niederschlagen. Fest steht, dass unter den Bedingungen eines Lockdowns Männer wie Frauen weniger Möglichkeiten haben, Abstand voneinander zu gewinnen und Druck abzubauen.
Vorsichtiges Einschreiten
"Wo die Nerven blank liegen, steigt die Gefahr der Eskalation", sagt Ursula Schele vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Dabei gilt: "Leichtere Schläge, das Werfen mit Gegenständen oder Schubsen gehen von beiden Geschlechtern aus", sagt Professor Jens Luedtke, der an der Universität Augsburg zu Gewalt in Partnerschaft und Erziehung forscht: "Bei körperlicher Gewalt sind die Täter zu etwa 85 Prozent Männer. Je schwerer die Verletzung des Opfers, desto eher ist der Täter ein Mann."
Oft sind die Zeugen häuslicher Gewalt verunsichert: Was tun, wenn eine Situation nebenan zu eskalieren scheint? "Keine Reaktion mag wie Gleichgültigkeit aussehen, ist aber oft nur Hilflosigkeit", sagt Zara Jakob Pfeiffer von der Gleichstellungsstelle für Frauen der Stadt München. Viele hätten Angst, sich selbst in Gefahr zu bringen – oder alles noch schlimmer zu machen.
"Hilfe holen ist nicht Petzen"
Manche wollten auch nicht die Nachbarn beschuldigen. Doch wer Gewalt vermutet, sollte tätig werden. Da Gewaltopfer ohnehin unter Fremdbestimmung und Grenz- überschreitungen leiden, sollte man dabei laut Pfeiffer nicht übergriffig werden: "Sprechen Sie die Person darauf an, ob und welche Hilfe sie braucht. Seien Sie nicht beleidigt, wenn sie zunächst ablehnt." Etwa aus Scham, dem Gefühl der Mitschuld oder Angst vor einer Trennung. Später könne das Angebot eine wichtige Hilfe bedeuten.
"Zuhören und freundliche Worte helfen Betroffenen oft mehr, als den mutmaßlichen Täter selbst zur Rede zu stellen", sagt Pfeiffer. Für Be- troffene wiederum sei es wichtig, Veretzungen vom Arzt bescheinigen zu lassen und dies für eine eventuelle spätere Anzeige gut aufzubewahren.
Wird man Zeuge eindeutiger Gewalt, ist der Fall klar: umgehend die Polizei, bei Bedarf auch den Rettungsdienst rufen. "Denn Hilfe zu holen", sagt Expertin Schele, "ist nicht Petzen."