Barbara B. ist 43 Jahre alt, als sie die Diagnose bekommt: Lungenkrebs. Sie ist wegen einer anderen Sache im Krankenhaus, als die Ärzte etwas auf der Lunge entdecken. Zu 90 Prozent eine verkapselte Entzündung, sagen sie. Doch dann stellt sich bei der Operation heraus: bösartig. Der linke Lungenlappen muss entfernt werden.

"Als ich nach der Vollnarkose aufgewacht bin, saß mein Mann am Bett und hat geweint." Barbara B. versteht nicht, was los ist. Ein bösartiger Lungentumor? Adenokarzinom, sagen Mediziner dazu. "Die müssen mich verwechselt haben", denkt sie.

Schnell ins alte Leben zurück?

Für Patienten wie Barbara B. sind die Prognosen schlecht. Die Sterblichkeit bei Lungenkrebs ist nach wie vor hoch. Nur 15 bis 21 Prozent der Betroffenen leben laut Krebsregister fünf Jahre nach der Diagnose noch. Bei Barbara B. sind die Ärzte zuversichtlich – und behalten recht.

Nach der Operation freut Barbara sich auf den Alltag mit ihrem Mann und den zwei Töchtern. "Ich wollte schnell wieder arbeiten gehen", sagt sie. Zurück ins alte Leben. Doch die Linkshänderin kann ihren linken Arm nur unter Schmerzen heben. Hinzu kommt extreme Abgeschlagenheit. Acht Stunden Büro­arbeit am Tag sind zu viel.

Die Verwaltungsangestellte versucht, stundenweise in den Beruf zurückzukehren. Das misslingt. Als ihr Krankengeld ausläuft, soll sich Barbara B. arbeitslos melden. Zu den gesundheilichen Problemen kommen Geldsorgen.

Ständige Erschöpfung behindert den Alltag

In Deutschland leben 2,2 Millionen Menschen, deren Krebserkrankung so lange zurückliegt, dass sie als geheilt gelten. Nach einer Erhebung von Dr. Volker Arndt vom Deutschen Krebszentrum steht ein Drittel von ihnen noch im Berufsleben. 60 Prozent davon kehren relativ rasch in die Arbeitswelt zurück.

Doch die Mehrzahl fühlt sich schneller müde und weniger belastbar als früher. Viele leiden in­folge der Tumorerkrankung an sogenannter Fatigue, einem Erschöpfungssyndrom.

Während der Therapie sind davon bis zu 80 Prozent der Patienten betroffen, danach noch 20 bis 50 Prozent, schätzt die Deutsche Fatigue-Gesellschaft. "Die Fatigue ist eines der Haupthindernisse für den Wiedereinstieg in den Beruf", sagt Professor Mathias Freund, Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Oft fehlt in der Gesellschaft das Verständnis dafür. "Viele Betroffene leiden, weil ihre Müdigkeit und Konzentrationsschwäche als Drückebergertum abgetan werden."

Die Angst bleibt

Trotz all der Probleme hat Barbara B. oft das Gefühl, ein neues Leben geschenkt bekommen zu haben. Sie genießt jeden Tag, an dem sie mit ihren drei Enkelkindern spielen kann. Denn sie weiß: Sie gehört zu den wenigen sogenannten Langzeitüberlebenden mit Lungenkrebs. Ihr ist bewusst, dass sie unermessliches Glück hatte. "Trotzdem spielt die Krankheit immer noch und wahrscheinlich bis ans Ende meines Lebens eine große Rolle."

Professorin Tanja Zimmermann, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft, bestätigt: "Eine Krebserkrankung kann ein traumatisches Erlebnis sein. Man ist plötzlich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert." Viele Betroffene stürzen in eine Krise, leiden unter Schlafstörungen oder Depressionen.

Auch Barbara B. begleitet die Angst vor der Rückkehr des Tumors. Vor Nachsorgeuntersuchungen kann sie nächte­lang nicht schlafen. Normalerweise begleitet ihr Mann sie, nur nicht an diesem Freitag im Juni 2003. Die Ärzte entdecken wieder etwas auf der Lunge.

Entmutigende Diagnose

"Es war die Hölle, ich habe gedacht, jetzt ist es wirklich vorbei."Die Bestrahlung ist hart. Doch sie schlägt an, die Heilungschancen sind auch diesmal gut. Barbara B. sollte sich eigentlich freuen, doch es gelingt ihr nicht.

Ans Sterben denkt Tobias H. nie. "Ich habe insgeheim gewusst, dass der Hodenkrebs mich nicht umbringt." Die Statistik spricht dafür:  Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei dieser Tumorform liegt laut den Krebsregisterdaten bei über 90 Prozent.

"Die Dia­gnose zieht dir aber erst mal den Boden unter den Füßen weg." 24 Jahre ist Tobias H. alt, als der Urologe bei einer Ultraschallunter­suchung einen Tumor im Hoden feststellt. Montag, 11. August 2003, Sonnenschein, 30 Grad. Der Tag hat sich unauslöschlich in Hofers Gedächtnis eingebrannt. "Für mich hat damals ­eine neue Zeitrechnung begonnen."

4 300 Euro für die Fruchtbarkeit

Der junge Mann muss sofort eine Chemotherapie starten – und vorher eine Entscheidung treffen. Die Ärzte im Klinikum in Ingolstadt empfehlen ihm, Spermien in einer Samenbank einfrieren zu lassen. Die Zeit drängt. Doch wo lässt man eine Kryokonservierung machen, und was kostet das?

"Ich musste mich zu allem selbst informieren", sagt Tobias. Für viele junge Krebspatienten ist die Familienplanung ein wichtiges Thema. Chemotherapie und Bestrahlung können zu Unfruchtbarkeit führen. "Nicht alle Ärzte klären die Patienten ausreichend auf", sagt Experte Freund.

Auch eine finanzielle Belastung

Neben gesundheitlichen Problemen bringt eine Krebserkrankung häufig Geldsorgen mit sich. Was dann die Existenz sichert

Bislang mussten Betroffene die Kosten für die Fruchtbarkeitserhaltung zudem selbst tragen. Frauen bezahlen 4300 Euro; bei Männern sind es rund 500 für die Spermienkonservierung und bis zu 1500 Euro für die Entnahme von Hodengewebe. "Es kann nicht sein, dass Lebensentwürfe am Geld scheitern", kritisiert Freund.

Patienten leiden unter Spätfolgen

Seit Mai 2019 ist Fruchtbarkeitserhaltung bei Krebspatienten eine Kassenleistung. Nach Informationen der Stiftung junge Erwachsene mit Krebs werden jedoch immer noch viele Erstattungsanträge abgelehnt.

Tobias H. lässt im Universitätsklinikum in Augsburg Samenzellen einfrieren. Als er seine heutige Frau Manuela kennenlernt, redet er früh mit ihr über seine Krebserkrankung, darüber, warum ihm ein Hoden fehlt. Ansonsten hat der Krebs bei ihm keine äu­ßerlichen Spuren hinterlassen. Die schwere Krankheit sieht man dem sportlichen Mann längst nicht mehr an.

Manchmal leidet Tobias H. an Gefühlsstörungen in den Füßen – die Chemotherapie hat seine Nerven angegriffen. "Eine häufige Neben­wirkung bei Behandlungen mit der Substanz Cisplatin", erläutert Onkologe Freund. Weitere häufige Spätfolgen, über die Tumorpatienten berichten, sind unter anderem Taubheitsgefühle und Knochenschmerzen sowie Störungen des Geschmacksinns.

Zurück ins Leben

Dass ihm ein Hoden fehlt, belastet ­Tobias H. wenig. "Damit lebt es sich ganz unbeschwert", sagt er und grinst. Inzwischen macht er gerne Scherze über sein Schicksal. Und erzählt dann doch beiläufig, wie erschrocken er war, als er während der Chemo die ersten Haarbüschel in der Hand hielt.

Oder dass er regelrechte Fressattacken bekommt und irgendwann fast 100 Kilo wiegt. "Da hat es mir gereicht", erinnert sich Tobias. Er meldet sich für einen Zehn-Kilo­meter-Lauf an, kehrt endgültig in sein altes Leben vor der Diagnose zurück, mit Sport und Freunden.

Barbara B. erkämpft sich ihre Unbeschwertheit ebenfalls zurück. Die Familie gibt ihr Halt, doch das genügt nicht. Barbara B. braucht professionelle Hilfe, sie macht eine Psychotherapie.

Nachsorge mit Lücken

"Das Leben nach dem Krebs ist manchmal schwerer als das während der Behandlungsphase", sagt die Psychologin Beate Hornemann, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Psychoonkologie des Netzwerks der Onkologischen Spitzenzentren.

Solange die Therapie läuft, gibt es feste Strukturen und Ansprechpartner. Spezielle Angebote für Langzeitüberlebende in so­genannten Survivorship- Programmen wie beispielsweise in Hamburg oder Berlin sind dagegen aktuell noch rar.

"In der Nachsorge gibt es eine drastische Lücke", sagt Hornemann. Die Deutsche Krebshilfe förderte über Jahre die Gründung von Krebsberatungsstellen. Erst jetzt hat die Politik diese Idee aufgegriffen. Seit diesem Jahr sollen ambulante Krebsberatungsstellen von den Krankenkassen mit jährlich bis zu 21 Millionen Euro unterstützt werden.

Bei Tobias H. ist es sein Urologe, der ihn von der Angst befreit. "Er hört zu und nimmt meine Sorgen ernst." Nach wie vor muss er alle drei Monate zur Nachsorge. Im gesunden Hoden wurden Kalkablagerungen gefunden: ein erhöhtes Risiko für Krebs.

Bundesverdienstkreuz für Krebshilfe

Krebs – ganz loswerden Betroffene ihn nie, auch wenn er scheinbar besiegt ist. Nach einer Chemotherapie ist das Risiko erhöht, zu einem späteren Zeitpunkt an einem zweiten bösartigen Tumor zu erkranken. "Aber auch vermeintlich Gesunde können doch jederzeit krank werden", sagt Tobias H.

Auch Barbara B. geht inzwischen gelassener mit ihrer Situation um. "Einen Marathon laufe ich nicht mehr in diesem Leben." Nicht einmal einem Bus könne sie hinterherlaufen. Doch auch ohne sport­liche Höchstleistungen hat sie es zu einer ganz besonderen Medaille gebracht. 2017 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen – als Würdigung ihres Einsatzes in der Krebsselbsthilfe.

"Mir hat gute Aufklärung und psychologischer Beistand gefehlt", sagt Barbara B. Sie beschließt, es anderen Patienten leichter zu machen, und gründet Selbsthilfegruppen. Inzwischen ist sie die Vorsitzende des Bundesverbandes Selbsthilfe Lungenkrebs und reist trotz eingeschränkter Lungenkapazität quer durch die Repu­blik, um aufzuklären. Dass sie dabei ständig mit dem Thema Krebs konfrontiert ist, macht ihr längst nichts mehr aus.

"Das Leben ist ja nicht nur die Krankheit, sondern das Leben ist weiterhin auch schön."
Tobias H. wurde dank einer künst­lichen Befruchtung mit seinen eingefrorenen Samen Vater von Zwillingen. Im Mai werden die beiden zwei Jahre alt. "Meine Kinder sind gesund, meine Frau ist gesund, ich bin gesund – was will man mehr", sagt er. Was echtes Glück ist, hat er durch seine Krebserkrankung gelernt.