Darmkrebs: Warum Vorsorge auch in der Pandemie wichtig ist
Es gibt Vorsorgeuntersuchungen, deren Nutzen ist umstritten. Es gibt aber auch welche, die retten tausende Leben. Pro Jahr. Etwa 60.000 Menschen erhalten jährlich die Diagnose Darmkrebs. Er ist eine der häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland. Immer noch sterben jährlich rund 25.000 Menschen an der Erkrankung. Das müsste jedoch nicht sein.

Professor Frank Kolligs, Chefarzt der Inneren Medizin und Gastroenterologe am Helios Klinikum Berlin-Buch
© W&B/Paula Winkler
„Die allermeisten Darmkrebsfälle wären vermeidbar, wenn man den Großteil der Bevölkerung dazu bewegen könnte, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen“, sagt Professor Frank Kolligs, Chefarzt der Inneren Medizin und Gastroenterologe am Helios Klinikum Berlin-Buch. Denn Krebsvorstufen lassen sich durch Darmspiegelungen (Koloskopien) erkennen und können dann entfernt werden. Meist ist Darmkrebs, früh erkannt, sogar heilbar.
Die Vorsorge-Zahlen könnten also besser sein. Die Corona-Pandemie hat sie teils noch verschlechtert: Neben Kapazitätsproblemen in Krankenhäusern und Kliniken hatten auch viele Patienten Sorge, sich dort sowie in Arztpraxen mit dem Virus anzustecken, und blieben der Untersuchung fern. So sank laut Erhebungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) die Zahl der vorsorglich durchgeführten Darmspiegelungen in der ersten Pandemie-Welle im zweiten Quartal 2020 um 6,9 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2019. Auch in der zweiten Pandemie-Welle ab Oktober 2020 kam es zu einem Rückgang der Früherkennungs-Untersuchungen.
Früherkennung normalisiert sich zunehmend
Die Auswertung zeigt aber auch: Der Rückgang beschränkt sich auf kurze Zeiträume. Betrachtet man nämlich das ganze Jahr 2020, lässt sich im Vergleich zum Vorjahr sogar ein leichter Anstieg von 2,1 Prozent bei den Darmspiegelungen zur Früherkennung feststellen. Eine Erklärung dafür könnte laut Kolligs das neue Einladungsverfahren sein, das Mitte 2019 eigeführt worden ist. Um mehr Leute an die Untersuchung zu erinnern, werden Anspruchsberechtigte per Anschreiben von ihrer Krankenkasse zur Darmkrebsvorsorge eingeladen. Zudem können seit Anfang 2019 Männer schon ab 50 statt ab 55 Jahren an der Untersuchung zur Früherkennung von Darmkrebsteilnehmen.
Der positive Trend scheint sich 2021 fortzusetzen. Laut aktuellstem Trendreport des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Versorgung stiegen die Früherkennungskoloskopien im ersten Halbjahr 2021 um 9,4 Prozent gegenüber 2019. „Das zeigt, dass die Vorsorge wieder auf üblichem Tempo läuft – vielleicht sogar darüber hinaus“, sagt Darmspezialist Kolligs.
Auswirkungen auf die Behandlung
Doch wie steht es um die Behandlung von Darmkrebs-Patienten? Auch hier kam es Corona-bedingt teils zu Einbrüchen. So wurden laut WIdO zwischen März 2020 und Juli 2021 in den Kliniken insgesamt 13 Prozent weniger Darmkrebs-Operationen im Vergleich zu 2019 durchgeführt. Neue Daten werden gerade erhoben. Laut einem Presse-Statement von WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber müssen die Rückgänge bei den Krebsoperationen nicht per se dramatisch sein. Zum Beispiel seien diese weniger problematisch zu bewerten, wenn planbare Operationen verschoben oder therapeutische Alternativen gewählt worden seien.
Anders sieht es aus, wenn Patienten ein akutes Problem haben – zum Beispiel Blut im Stuhl – und dem aber nicht oder erst spät nachgegangen wird: Insgesamt wurden 2020 etwa weniger diagnostische und therapeutische Koloskopien durchgeführt, die dann nötig sind. Wenn man diese neben den Früherkennungskoloskopien mitbetrachtet ergibt sich laut WIdO für 2020 ein Rückgang der Koloskopien von 6,5 Prozent gegenüber 2019. Eine mögliche Folge: Tumore oder Vorstufen können teilweise später entdeckt und behandelt werden. Ob und wie sich das auf die Sterblichkeit auswirkt, wird sich erst noch zeigen.
Bei Symptomen nicht warten
„Wir haben während der Hochzeiten der Pandemie einige Patienten gesehen, die sich viele Wochen und Monate mit Symptomen herumgeschlagen haben, bevor sie einen Arzt aufgesucht haben“, sagt Kolligs. Er appelliert, bei Beschwerden wie Blut im Stuhl oder Veränderungen der Stuhlgewohnheiten wie länger anhaltender Durchfall oder Verstopfungen, unbedingt zeitnah einen Arzt aufzusuchen.
Längst haben sich Arztpraxen und Krankenhäuser auf die neue Corona-Situation eingestellt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen. „Ich kann für unsere Klinik sagen, wir sind wieder im Normalbetrieb. Auch müssen wir wegen Corona schon seit Monaten keine Untersuchungen oder Operationen mehr verschieben“, sagt Kolligs. Ob dies flächendeckend für die Kliniken in Deutschland gilt, werden neue Erhebungen zeigen.
Regelmäßig zur Früherkennung ab 50
Damit es idealerweise gar nicht zur Behandlung kommt, ist es wichtig, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Bislang haben Männer ab 50 und Frauen ab 55 Jahren Anspruch auf auf zwei Früherkennungskoloskopien im Mindestabstand von zehn Jahren. Wenn das Angebot erst ab einem Alter von 65 wahrgenommen wird, besteht Anspruch auf eine Früherkennungskoloskopie.
Beide Geschlechter können ab 50 einen immunologischen Stuhltest vornehmen lassen. Dieser weist äußerlich nicht sichtbares Blut im Stuhl nach – und kann damit einen indirekten Hinweis auf Darmkrebs und noch gutartige Vorstufen wie zum Beispiel Polypen liefern. „Ganz wichtig: Wenn man sich für den Stuhltest entscheidet, muss dieser regelmäßig durchgeführt werden“, betont der Experte. Das heißt: Im Alter von 50 bis 54 Jahren jährlich und ab 55 Jahren alle zwei Jahre. Fällt der Test positiv aus, sollte in jedem Fall eine Darmspiegelung gemacht werden.
Früher zur Vorsorge bei erblichem Risiko
Außerdem betont der Experte, dass familiär vorbelastete Menschen schon früher mit der Vorsorge beginnen sollten. „Etwa jeder Zehnte in Deutschland hat aufgrund einer erhöhten Krebsneigung in der Familie ein zwei- bis sechsfach erhöhtes Risiko für Darmkrebs“, sagt Kolligs. Erblich vorbelastete Menschen erkranken oft wesentlich früher und sollten eine Darmspiegelung daher früher wahrnehmen. „Betroffene sollten sich etwa zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des erstgradig Verwandten vorsorglich untersuchen lassen“, rät Kolligs. Dann gibt man Darmkrebs wenig Chance.