Zu den bekannten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der durch das neuartige Coronavirus bedingten Erkrankung Covid19 gehören ein höheres Alter, Übergewicht und Vorerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck. Zudem spielt ein weiterer Faktor offenbar eine Rolle – das Geschlecht. Weltweit haben nämlich mehr Männer schwere Verläufe, sie müssen häufiger auf die Intensivstation und auch ihr Risiko zu sterben ist höher.

In China ist diese Ungleichverteilung extrem. Eine Untersuchung von über 1000 Fällen zeigte: 70 Prozent der Verstorbenen waren männlich und nur 30 Prozent weiblich. Die Sterberate sei bei den Männern 2,4 Mal so hoch wie bei Frauen, berichten Forscher um Jin-Kui Yang vom Tongren Hospital in Peking.

Weltweites Phänomen

Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigen: Ähnlich, wenn auch nicht ganz so krass, sieht es in vielen Ländern der Welt aus. Der Anteil der Männer an den Sterbefällen beträgt rund 60 Prozent. Das gilt auch für europäische Länder wie Italien, England, die Schweiz oder die Niederlande.

In Deutschland weniger infizierte Männer, aber mehr Todesfälle

Auch in Deutschland sind laut Robert Koch-Institut RKI 53 Prozent der Verstorbenen Männer (Stand 29. Juni). Das ist auf den ersten Blick umso erstaunlicher, als ihr Anteil an den Infizierten mittlerweile sogar geringer ist als jener der Frauen. Kurz: Mehr Frauen stecken sich an, doch Männer erkranken schwerer und sterben häufiger.

"Wir sehen sehr, sehr viele Männer auf der Intensivstation. Zwischen 70 und 80 Prozent der Patienten, die eine Intensivbehandlung brauchen, sind männlich", berichtet auch Catherine Gebhard. Sie ist Professorin für Kardiovaskuläre Gendermedizin am Universitätsspital Zürich. Gemeinsam mit Kolleginnen aus der Schweiz, Deutschland und den USA hat sie gerade eine Übersichtsstudie über klinische und epidemiologische Daten zum Thema verfasst. Die möglichen Ursachen sind vielfältig und können in biologische und soziale differenziert werden.

Geschlechterunterschiede kommen in Covid-Studien kaum vor

Einen Zusammenhang zwischen der sozialen Geschlechterrolle und der Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken, bestätigt nun auch eine internationale Analyse unter Beteiligung der Universität Bielefeld: Das Ansteckungsrisiko von Frauen steige, weil sie häufiger als Pflegekräfte tätig seien oder in Berufen mit viel Kundenkontakt arbeiteten. Dem Online-Portal Statista zufolge beträgt der Anteil von Frauen unter allen Infizierten in Deutschland tatsächlich rund 52 Prozent (Stand 8. Juni).

"Das zeigt: Gender und Geschlecht müssen in klinischen Studien und in der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden", bilanziert Medizin-Professorin Sabine Oertelt-Prigione von der Universität Bielefeld. Eine Analyse von fast 4500 internationalen Covid-19-Studien habe aber ergeben, dass nur vier Prozent ausdrücklich vorsahen, diesen Effekt in ihre Analyse einzubeziehen. Studien mit dem Fokus auf Frauen untersuchten meist den Einfluss des Virus auf Schwangerschaften. In publizierten Forschungsartikeln zu klinischen Studien sei das Thema Geschlecht und Gender in jeder fünften Analyse erwähnt worden.

"Wir sehen zunehmend, dass Frauen und Männer auf die Behandlung mit Medikamenten unterschiedlich reagieren", stellte Oertelt-Prigione fest. "Wenn dieser Zusammenhang in Studien ignoriert wird, kann das langfristig zu ernsthaften, ungewollten Nebeneffekten führen." Die Geschlechterunterschiede in den Blick zu nehmen, habe bei Covid vielfach dazu beigetragen, die Infektion besser zu verstehen.

Hormone beeinflussen das Immunsystem

Männer und Viren, das ist oft nicht die glücklichste Kombination - ein Grund für die viel zitierte "Männer-Grippe": Das Immunsystem des starken Geschlechts tut sich schwerer mit Infektionen. "Ausnahmen gibt es zwar, etwa bei der gefährlichen Influenza A, an der mehr Frauen starben als Männer. Doch bei den meisten Virusinfektionen haben Männer tatsächlich schwerere Verläufe", betont Gebhard.

Die Immunantworten haben sich im Laufe der Evolution unterschiedlich entwickelt. Es wird vermutet, dass die stärkere Immunantwort der Frauen im Laufe der Evolution dazu diente, den Nachwuchs über die Muttermilch vor Infektionen zu schützen. In der Tat stärkt das weibliche Sexualhormon Östrogen die Immunantwort. Zudem befinden sich viele Gene, die für Immunfunktionen wichtig sind, auf dem X-Chromosom, wovon Frauen zwei besitzen, Männer nur eines. Aus diesem Grund sind vor allem jüngere Frauen oft besser gewappnet, beispielsweise gegen Erkältungsviren. Auch schon bei früheren Epidemien wie SARS oder MERS, die von "Verwandten" des neuartigen Coronavirus ausgelöst wurden, hatten Frauen mildere Verläufe sowie geringere Sterberaten.

Bessere Immunantwort durch Östrogen?

"Östrogen fördert die vermehrte Bildung von Interferonen und Immunglobulinen und damit eine bessere Immunantwort", erklärt Gebhard . "Es ist denkbar, dass das weibliche Immunsystem aufgrund dieser hormonellen Besonderheiten schon in einem frühen Stadium von COVID-19 aktiv wird und es daher seltener zu schweren Verläufen kommt." Zudem bliebe bei Frauen der bei schweren Verläufen oft beobachtete "Zytokinsturm" aus, eine aus dem Ruder laufende Überreaktion des Immunsystem, die massive Lungenschäden verursachen kann.

Nicht nur die Immunabwehr, auch Zelleigenschaften werden hormonell beeinflusst. Im Fokus ist hier vor allem das Protein ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2). Der ACE2-Rezeptor ist eine Andockstelle für SARS-CoV-2 und ermöglicht es dem Virus, in menschliche Zellen einzudringen. Der Rezeptor sitzt nicht nur in den Atemwegen und auf der Lunge, sondern kommt auch im Herzen, im Darm oder den Nieren vor. Bei Diabetikern und Herz-Kreislauf-Patienten ist die Konzentration von ACE2 im Blut erhöht, und auch bei Männern ist sie generell höher als bei Frauen. Ein Grund dafür sind wieder die Geschlechtshormone: Testosteron regelt das Protein hoch; Östrogen hemmt seine Verbreitung. Wie sich all das aber auf COVID-19 auswirkt, werden Studien erst noch im Detail zeigen müssen.

Catherine Gebhard will ab Juni in einer weiteren Studie mit dem RKI (Robert Koch Institut) und der Berliner Universitätsklinik Charité erforschen, welche Wirkung die Senkung des Testosteronspiegels auf den Verlauf der Erkrankung hat. Und eine Forschergruppe in den USA um die Infektiologin Sharon Nachman von der Stony Brook University in New York, will untersuchen, ob verabreichtes Östrogen an COVID-19 erkrankten Männern helfen kann.

Risikofaktor Lebensstil

Hormone allein dürften freilich nicht den Unterschied machen, denn dann
müsste dieser Schutz bei Frauen nach der Menopause versiegen. Das ist aber nicht der Fall. Auch in der Altersgruppe zwischen 50 bis 80 sterben hierzulande deutlich mehr Männer. Erst danach nähern sich die Kurven einander an. Viele der Vorerkrankungen, die COVID-19 verschlimmern, sind eine Folge des Lebensstils. Übergewicht, Diabetes oder langjähriges Rauchen und eine entsprechend vorgeschädigte Lunge sind klare Risikofaktoren. Und die sind bei älteren Männern in den meisten Bevölkerungen der Welt häufiger als bei Frauen, die tendenziell mehr auf gesunde Ernährung und ihr Gewicht achten. "Die COVID-19-Sterberate ist am höchsten bei älteren Männern mit Vorerkrankungen. Und bei den Vorerkrankungen gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern", erklärt Gebhard.

Frauen verfügen also über weniger Risikofaktoren. Das allerdings könnte sich in Zukunft ändern. Zwar sind Diabetes und Herzkreislauf-Erkrankungen bei Männern im Moment noch häufiger, doch ziehen Frauen nach, wie die Medizinerin beobachtet. Stress und ungesunde Lebensgewohnheiten sind zunehmend auch Teil des Frauenlebens. Zudem rauchen Frauen heute häufiger als in früheren Generationen. Möglich also, dass sich der veränderte Lebensstil in Zukunft auch auf den Verlauf von Infektionen auswirkt.

Folgen für die Therapie

Die Geschlechterunterschiede spielen auch bei der Behandlung eine Rolle. So weiß man aus früheren Studien, dass einige Medikamente, die zur Zeit gegen COVID-19 getestet werden, bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken, etwa das HIV-Mittel Remdesivir oder das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin: "Sowohl die Reaktionen auf das Medikament inklusive Nebenwirkungen als auch die Immunantwort selbst unterscheiden sich.

Hydroxychloroquin kann zum Beispiel Herzrhythmusstörungen auslösen. Und Frauen haben dafür generell ein höheres Risiko", berichtet Gebhard. (Laut neueren Studienergebnissen ist es aber wohl sowieso nicht wirksam bei der Behandlung von COVID-19.)

In künftigen Medikamententests sollten deshalb solche Unterschiede unbedingt mit bedacht und genau beobachtet werden, mahnt die Forscherin. Sie würden beim Infektionsgeschehen derzeit noch zu wenig berücksichtigt.