Wir sprechen mit Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie, Internistische Onkologie, Palliativmedizin, Chirotherapie und Naturheilkunde am Universitätsklinikum Jena über falsche Heilsversprechen in Zeiten von COVID-19.

Warum sind die Menschen derzeit noch empfänglicher für fragwürdige Heilsversprechen als sonst?

Wir haben es mit einem völlig neuartigen Virus zu tun über das wir vieles nicht oder noch nicht wissen – damit müssen wir klarkommen. Dass das schwerfällt, ist verständlich. Genau wie die Allgemeinheit sehnen auch wir Ärzte uns danach, das aktuelle Geschehen zu verstehen und damit Lösungen zu entwickeln. Patienten erwarten von uns, dass wir sie gesund machen und ihnen auch in der Therapie die Sicherheit geben, dass sie gesund werden. Für Forschende in der Wissenschaft sind ungeklärte Fragestellungen und offene Forschungsthemen zwar genau das Spannende – aber für das eigene Leben möchten die meisten Menschen das nicht. Sie möchten Gewissheit haben.

Als Onkologin dürfte das für Sie Alltag sein: Dass Sie Patienten nicht sicher sagen können, wie es weitergeht.

Tatsächlich ziehe ich Parallelen zum Umgang mit Corona. Bei Krebs wird etwas individuell als bedrohlich erlebt, bei Corona ist die Bedrohung gesamtgesellschaftlich da. Als Onkologin setze ich mich für eine ehrliche Medizin und eine transparente Aufklärung ein. Im Zusammenhang mit Corona sollte dasselbe gelten.

Was ist eine ehrliche Medizin?

Sie möchte, dass der Patient umfassend aufgeklärt wird. Dazu gehört es, verschiedene Therapiemöglichkeiten zu erklären, Ungewissheiten des jeweiligen Ausgangs zu besprechen und unterschiedliche Erfolgsaussichten zu erklären. Was meist nur als Risikokommunikation betrachtet wird, ist immer eine Chancen- und Risikokommunikation, denn eine Therapie werde ich nur empfehlen, wenn sie mehr Chancen als Risiken hat.

Ist die Kommunikation der alternativen Medizin denn nicht ehrlich?

Oft wird behauptet, Heilung mit Methoden zu erreichen, für die es keine Beweise aus wissenschaftlichen Untersuchungen und oftmals noch nicht mal eine wissenschaftliche Plausibilität gibt. Bei der Homöopathie beispielsweise werden Wirkstoffe so stark verdünnt, dass sie gar nicht nachweislich im Körper wirken können. Statt wissenschaftlicher Beweise wird in der alternativen Medizin in der Regel das Vertrauen in den Arzt oder Heilpraktiker eingesetzt.

Wie wird das Vertrauen gewonnen?

Häufig treten kommunikativ sehr begabte, überzeugend wirkende Heiler, Heilpraktiker oder Ärzte auf, die dem Patienten zum Beispiel mitteilen, dass sie mit dieser Methode schon sehr große Erfolge gehabt haben. Oft wird dies noch damit verbunden, dass gesagt wird, die Methode hätte praktisch keine Nebenwirkungen. Ein weiteres Element, mit dem Vertrauen erzeugt wird, ist die Aussage, dass man ja erst einmal diese sanfte Methode probieren, aber natürlich immer noch auf die Schulmedizin zurückreifen könne. Das ist aber bei ernsthaften Erkrankungen gerade nicht der Fall. Die Alternativmedizin benutzt also in der konventionellen Medizin längst verlassene paternalistische Herrschaftssysteme, bei denen der Arzt als Halbgott in Weiß sagt, wo es langgeht. Patienten vertrauen in diese Persönlichkeiten, da sie sich eigentlich eine Lenkung und Leitung wünschen – oft, um aus einer bedrohlichen Situation herauszukommen.

Beim Deutschen Zentralverein Homöopathischer Ärzte heißt es, die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Eindämmung der Pandemie hätten "Vorrang vor eventuellen homöopathischen Maßnahmen". Ist es denn nicht verantwortungsbewusst, wenn Vertreter alternativer Heilmethoden sich so äußern?

Die Formulierung beschreibt ein typisches Beispiel der Alternativmedizin. Man stellt sich zwar scheinbar hinten an, aber erweckt damit gerade ein besonders hohes Vertrauen in die Aussage. Impliziert wird ja zum Ausdruck gebracht, dass die Homöopathie in irgendeiner Weise hilfreich sein kann bei COVID-19 - und genau dies ist weder bewiesen noch in irgendeiner Weise annehmbar.

Homöopathen weisen gerne darauf hin, dass man schon in ähnlichen schwierigen Situationen wie bei der Spanischen Grippe sehr gute Heilungsergebnisse erreicht hätte. Hierzu seien Berichte gesammelt worden.

Ja, so wird häufig argumentiert. Der Unterschied zu den wissenschaftlichen Berichten und Erkenntnissen der konventionellen Medizin aus Pandemiezeiten liegt darin, dass diese Berichte in keiner Weise systematisch erfasst worden sind, sondern dass einfach nur gut verlaufende Einzelfallbeispiele zusammengestellt wurden. Auch in der wissenschaftlichen Medizin arbeiten wir in Pandemiezeiten mit Erfahrungsdaten, aber sie werden nach ganz bestimmten festgelegten Regeln kritisch analysiert und sie werden vor allem auch von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen untersucht und diskutiert, so dass wir damit Fehlschlüsse möglichst vermindern oder vermeiden.

In Zeiten von COVID-19 wollen viele Menschen sich fit halten, ihr Immunsystem stärken. Auch dafür wird auf alternative Methoden zurückgegriffen…

Generell lässt sich sagen: Sowohl im Hinblick auf COVID-19, aber auch im Hinblick auf alle anderen Erkrankungen ist es natürlich wichtig, weiterhin alles zu tun, um gesund zu bleiben. Verlassen wir uns hierbei auf Methoden, bei denen die Studienlage eindeutig ist. Zu COVID-19 gibt es beispielsweise erste Daten, die zeigen, dass eine Mangelernährung bei Erkrankten mit einer wesentlich schlechteren Prognose einhergeht. Insgesamt sind eine gesunde, ausgewogene Ernährung und Bewegung die wohl am besten erforschten Maßnahmen, um gesund zu bleiben.

Kommen wir dennoch nochmal auf mögliche andere Methoden zurück. Was ist beispielsweise von der Pflanzenmedizin zu halten?

Der Einsatz von Heilpflanzen hat in der Medizin zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten eine wichtige Rolle gespielt. In Europa hat die Medizin der Heilpflanzen eine ganz besondere und gute Entwicklung genommen. Zu COVID-19 müssen wir allerdings sagen, dass es derzeit keine gesicherten Erkenntnisse zu Wirksamkeiten von Heilpflanzen gibt. Zu warnen ist insbesondere vor Meldungen aus China, nach denen Heilpflanzenmischungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gegen das Virus wirken. Diese Berichte sind wissenschaftlich nicht haltbar.

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