Senioren Ratgeber

Simonette H. erzählt von ihrer Fernbeziehung in Corona-Zeiten

"Vor allem morgens nach dem Aufwachen fühle ich mich manchmal wie im falschen Film. Kann das wirklich sein, dass wir nicht einfach wie bisher ins Auto steigen und uns besuchen können, Wolfgang und ich? frage ich mich dann. Habe ich das nicht vielleicht nur geträumt? Nach fünf Jahren, in denen das Hin und Her über Österreichs Grenze Routine für uns war, sind wir uns derzeit nur noch über unsere Handys nah.
An den Wochenenden etwa: Statt wie sonst lang auszuschlafen und dann beim Bäcker Brötchen zu holen, um den Vormittag zu zweit zu genießen, deckt sich jetzt jeder selbst den Tisch. Wenn alles fertig ist, rufen wir einander an und stellen die Geräte so, dass der andere sozusagen live dabei ist. Doch bei allen Bemühungen bleibt das virtuelle Zusammensein stets ein Stück weit unwirklich. Wie so vieles seit Corona.

Schon unser Abschied nach Wolfgangs letztem Besuch Anfang April war eine eigenartige Situation. Seit gut einer Woche war Deutschland im Lockdown, seit zwei Wochen waren die Grenzen dicht. Keine Möglichkeit also, weiter so tu tun, als beträfe uns das alles nicht. Wolfgang aber gab sich, als sei alles so wie immer, als würden wir uns schon ganz bald wiedersehen.

Er nahm seine Tasche, packte sie in den Kofferraum, legte sich wie gewohnt für die Fahrt eine Flasche Sprudel auf den Beifahrersitz. Dann kam er nochmal zurück und drückte mich lange und fest. Unzählige Male war es in der Vergangenheit genauso gewesen. Jedes Mal erlebe ich die Sekunden des Abschieds als besonders, sauge sie wie auf. "Das wird schon", sagte Wolfgang, der Positiv-Denker. Glaube ich nicht, dachte ich, die ich von Haus aus eher skeptisch bin.

Was aber wäre die Alternative gewesen? Hierbleiben? Wäre für Wolfgang genauso wenig in Frage gekommen wie mitgehen für mich. Grundsätzliche Fragen zum Thema Fernbeziehung, die es früher so nie gegeben hätte, tun sich auf. Plötzlich steht da dieses Virus zwischen uns, hat unser bis eben leichtes Miteinander wie mit einem Paukenschlag kompliziert gemacht.

Viel zurückgeschaut habe ich in der letzten Zeit, daran gedacht, wie alles angefangen hat mit uns. So unglaublich nämlich, dass ich es selbst manchmal bis heute kaum fassen kann. Wolfgang war mein Nebensitzer bei einem Flug nach Djerba gewesen und im zufällig auch im selben Hotel. Eine Woche später saßen wir dann tatsächlich auch auf dem Rückflug wieder in derselben Maschine. Ein Zeichen? Wir wurden ein Paar. Anders als mit zwanzig oder dreißig. Kein blumiges Zeichnen von Zukunftsszenarien, lass uns das Jetzt genießen, sagten wir. Das Neue – neben dem Alten wohlgemerkt. Da gab es schließlich so vieles, was man sich aufgebaut hatte, liebgewonnen hatte, von dem man sich nicht trennen wollte, auch für eine große Liebe nicht.

Wolfgang liebt seine Heimat: Den Bodensee, in nur fünf Minuten zu Fuß ist er da. Gern trifft er seine früheren Kollegen weiter zum Fachsimpeln in der Firma oder seine Freunde im Sommer auf ein kühles Radler am See. Seine Enkelkinder wohnen ganz in der Nähe. Auch ich bin im letzten Jahr Oma geworden und könnte mir das nie vorstellen: Den Kleinen wegen eines Umzugs nur noch selten zu sehen. Oder auch: Meinen Beruf aufzugeben oder mit meinen beiden Pferden einem Reitstall den Rücken zu kehren, der sowas wie meine zweite Heimat ist.

Liebende werden in den Grenzgebieten aufgehalten, wenn sie nicht verheiratet sind

"So gut wir zwei zusammenpassen – unsere Lebensumstände tun es nicht", waren wir uns einig. Doch über die Zeit haben wir uns arrangiert und seit Wolfgang vor einem Jahr in Rente gegangen ist, war er öfter auch mal länger bei mir. Sein Nachbar gießt dann die Blumen und holt die Post und die Enkel werden mit einem Opa vertröstet, der dann dafür nach seiner Rückkehr besonders viel Zeit für sie hat.

"Eigentlich ist es nicht das schlechteste, wenn reife Beziehungen so laufen", sind wir uns erst vor wenigen Wochen auf einer Bank in der Sonne sitzend einig gewesen. Und eigentlich würden wir das heute wohl noch genauso sehen. Ohne Corona.

Zunächst googelten wir. Was käme auf Wolfgang zu, wenn er nach Hause führe? Und was, wenn wir uns dann später wiedersehen wollten? Viel Widersprüchliches findet man. Von einzelnen Gemeinden, die den Grenzübertritt erlauben würden, lasen wir, von Sondergenehmigungen und herzzerreißenden Szenen, weil Liebende im Grenzgebiet aufgehalten worden seien.

Selten ist Wolfgang so lange bei mir gewesen wie beim letzten Mal, stetig haben wir den Abschied weiter hinausgezögert. Doch auf was warteten wir? Auf eine Klarheit, die es derzeit nirgendwo gab?

Schließlich – "die Enkel warten!", "diverse Arzttermine warten!", "das wird schon, Schatz" - ist er dann einfach los. Die Formulare, die er an der Grenze bekam, fand er "anstrengend", mehr nicht. Zweimal täglich Fiebermessen und eine genaue Selbstbeobachtung auf mögliche Symptome hin – so hat er die geforderten zwei Wochen Heimquarantäne nach seiner Rückkehr verbracht. Einem baldigen Wiedersehen stünde ja wohl trotz allem weiter nichts im Wege, blieb er zuversichtlich, wann immer wir telefonierten oder uns schrieben.

Und irgendwie will man das natürlich gerne glauben. Aber als Wolfgang zum Ende der Quarantäne zu planen begann, wann er kommen könne, wollte ich nicht weiter in der Ungewissheit sein. Es war schwer, ihm zu sagen, was ich auf den Seiten des Auswärtigen Amtes gefunden hatte und was da bis heute steht: "Reisende ohne triftigen Reisegrund dürfen zwischen Deutschland und Österreich nicht mehr ein- und ausreisen." Wären wir verheiratet, wäre unsere Situation eine andere (Wolfgang allerdings ist noch nicht mal geschieden!). Auch scheint es für mich als Deutsche mit der Einreise leichter zu sein als für ihn. Aber selbst, wenn: Die zwei Wochen in den eigenen vier Wänden beim Zurück, die wären auch bei mir gesetzt. Ganz klar: Sowas kann und will ich mir in dieser beruflich angespannten Zeit nicht leisten!

Das Smartphone ersetzt nicht die "echte" Nähe

Vor einer Woche schließlich ist es dann passiert. Ich war gerade im Stall als er schrieb, in drei Stunden sei er da, er wäre mit gepackten Koffern unterwegs. Große Vorfreude, bei ihm. Skepsis, bei mir. Und tatsächlich, kurz darauf dann die nächste Nachricht: "Fahre jetzt zur Autobahn. Habe es bei der ländlichen Grenze probiert. Hat nicht geklappt." Ich ahnte, was kommen würde und ich behielt Recht: Wolfgang musste umkehren. Nie habe ich ihn so niedergeschlagen und verzweifelt erlebt wie als er mir mitteilte, dass er wieder zu Hause sei. Mich selbst hat eine weiches, schmusiges Pferdemaul getröstet in diesem Moment.

Doch natürlich: Kein Tier macht das wett, wenn das Liebste fehlt. Sogar an Tagen wie Ostern oder wie letzte Woche an meinem Geburtstag. Wolfgang hat Blumen geschickt und ein hübsch verpacktes Schächtelchen. Wieder haben wir die Handys so gestellt, als seien wir uns "in Echt" ganz nah. Er wollte sehen, wie ich reagiere, wenn ich die Kette auspacke. Wie schön wäre es gewesen, er hätte sie mir umlegen können. Wie schade es war, am Geburtstag ohne ihn zu sein.

Wie es wird, wenn wir uns wiedersehen, möchte ich mir nicht ausmalen. Nur keine Erwartungen, die dann nicht in Erfüllung gehen.
Österreich hat für Ende des Monats zahlreiche weitere Lockerungen angekündigt. Werden die Grenzen dabei sein? Und Deutschland? Was, wenn hier anders entschieden wird?

Und was, wenn alles doch ganz anders kommt? Wenn eine zweite Welle kommt?

Merkwürdige Fragen kommen mitunter. Etwa, wenn ich jetzt beim Spazierengehen andere Paare sehe: Wieso dürfen die glücklich miteinander sein und wir nicht? Was hat eine Grenze damit zu tun?

Ist es falsch so zu fragen? Und wenn schon: Es ist das Herz, das so fragt. Ein Herz, dass keine Corona-Logik kennt."