Baby und Familie

Prof. Dr. Schroten, Sie sind Direktor der Kinder- und Jugendklinik an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) und leiten die Studie. Wie ist die Befragung angelegt?

Horst Schroten: Wir arbeiten mit 14 Kinderkliniken in ganz Deutschland zusammen. Sie sollen jeden Monat Blutproben von 1500 Kindern einsammeln, die aus anderen Gründen als wegen einer Covid-19-Erkrankung abgenommen wurden. Der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten (Anm. d. Red.: Institutsdirektor der Virologie an der Charité Berlin) testet die anonymisierten Proben dann auf SARS-CoV-2 Antikörper. Zudem füllen die Eltern einen Fragebogen zum Gesundheitszustand ihres Kindes aus. Ziel ist, zum Ende der Studie rund 18.000 Proben analysiert zu haben – und wichtige Rückschlüsse ziehen zu können.

Was erhoffen Sie sich?

Wir wünschen uns mehr verlässliche Daten und weniger Spekulationen. Also, wie viele Kinder tatsächlich das Virus in sich getragen haben, wie viele von ihnen an Covid-19 erkranken und wie schwer. Das wären wichtige Erfahrungswerte in Zeiten voller Unsicherheit und Verschwörungsmythen. So können wir dazu beitragen, ein wissenschaftliches Fundament zu stärken und die Politik zu beraten. Das ist entscheidend, um dauerhaft die größtmögliche Sicherheit zu bieten.

Prof. Dr. Horst Schroten ist Direktor der Kinder- und Jugendklinik an der Universitätsmedizin Mannheim

Prof. Dr. Horst Schroten ist Direktor der Kinder- und Jugendklinik an der Universitätsmedizin Mannheim

Sie untersuchen nur das Blut von Kindern, die im Krankenhaus sind. Was ist mit Kindern, die möglicherweise asymptomatisch, also ohne Beschwerden, erkranken? Ist die Studie überhaupt repräsentativ, weil Sie ja nur eine bestimmte Zielgruppe untersuchen?

Ein berechtigter Einwand. Gleichzeitig bietet der alltägliche Klinikalltag eine Art interne Kontrollgruppe, die eine gewisse Repräsentativität sichert. Denn zu uns kommen natürlich nicht nur infektiöse, eventuell an SARS-CoV-2 erkrankte Kinder, sondern auch kleine Patienten mit gebrochenen Armen durchs Skaten oder welche, die operiert oder anders behandelt werden müssen. Letztlich mussten wir eine pragmatische und praktikable Lösung finden, um effizient an belastbare Zahlen zu kommen.

Dieses Studiendesign war aus unserer Sicht der beste Weg, um zuverlässige Daten zu generieren. Durch unsere breite regionale Streuung – die beteiligten Kliniken sind flächendeckend in ganz Deutschland verteilt – haben wir zudem einen aussagekräftigen Querschnitt. Die Blutproben kommen entsprechend aus starken und weniger stark betroffenen Bundesländern. Wir können so auch Rückschlüsse zur bereits bestehenden Durchseuchung der Bevölkerung ziehen.

Die Aussagekraft von Antikörper-Tests ist umstritten. Warum nutzen Sie diese Diagnoseform?

Das stimmt, es gibt aber keine 100-prozentige Sicherheit. Auch bei einem Nasen-Rachen-Abstrich kann es zu falsch-negativen Ergebnissen kommen – da entscheidet ebenfalls der Test-Zeitpunkt. Dennoch werden die Resultate von Prof. Dr. Christian Drosten die größtmögliche Aussagekraft haben. Denn er arbeitet zusätzlich exemplarisch mit einem sogenannten Neutralisationstest, der nur spezifische SARS-CoV-2-Viren nachweist – und nicht zum Beispiel ältere Corona-Varianten. Das ist wichtig und gut.

Wie lange läuft die Studie? Und wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?

Die Studie ist am 1. Mai 2020 gestartet und endet am 30. April 2021. Die Auswertung wird dann weitere sechs Monate in Anspruch nehmen. Wir rechnen also im Oktober 2021 mit der Veröffentlichung der Resultate.

Selbst vorsichtige Experten vermuten, dass wir bis dahin einen Impfstoff gegen das Coronavirus haben werden. Kommen Ihre Erkenntnisse dann nicht zu spät?

Das glaube ich nicht. Die Studie war von Anfang an prospektiv, also vorausschauend und die Zukunft betreffend, konzipiert. Selbst wenn es bis dahin tatsächlich einen Impfstoff geben sollte, sind die Erkenntnisse lehrreich. Denn SARS-CoV-2 wird mit großer Wahrscheinlichkeit leider nicht die letzte Pandemie sein. Daher brauchen wir dringend diese Art von Forschung. Und falls wir bereits nach einigen Monaten spannende und verlässliche Informationen erhalten, werden wir diese selbstverständlich nach gewissenhafter Prüfung auch schon vor Ende der Studie veröffentlichen.

Auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V. (DGPI) führen Befragungen durch. Was unterscheidet Ihre Studie?

Zum Teil arbeiten wir zusammen. Die Kinderklinik des UKE macht auch in unserer Studie mit. Für die zum Teil dort laufende C19.Child-Studie werden rund 6000 gesunde und chronisch kranke Kinder und Jugendliche mit und ohne Symptome einer SARS-CoV-2-Infektion untersucht, um festzustellen, inwieweit sie das Virus an Erwachsene weitergeben. Auf aussagekräftige Ergebnisse warten wir noch. Der größte Unterschied liegt in der Zeit. Durch die lange Datenerfassung von einem Jahr können wir Entwicklungen erkennen, etwa wie schnell sich die Pandemie entwickelt oder ob es saisonale Einflüsse gibt.

Verraten Sie uns bitte noch eines: Warum gibt es selbst unter Ärzten und Wissenschaftlern so unterschiedliche Meinungen, wie gefährlich das neuartige Coronavirus für Kinder sein kann? Auch im Hinblick auf die neu aufgetretene Entzündungskrankheit bei an Covid-19 erkrankten Kindern, die dem Kawasaki-Syndrom ähnelt?

Auch hier liegt das Problem in der fehlenden Grundlagenforschung. Wir wissen schlicht noch zu wenig. Aber ich kann Ihnen meine Meinung mitteilen: Aus heutiger Sicht sind Kinder wenig bis überhaupt nicht symptomatisch von SARS-CoV-2 betroffen. Auch der Zusammenhang mit dem Kawasaki-Syndrom ist noch fraglich und muss erst sauber erforscht werden. Ich habe bisher kaum schwere Krankheitsverläufe bei Kindern erlebt. Selbst in Italien mussten nur wenige Kinder coronabedingt in der Klinik versorgt werden. Im italienischen Hotspot Bergamo wurde sogar eine Kinderklinik geräumt, um an Covid-19 erkrankte Erwachsene zu behandeln. Nichtsdestotrotz können auch Kinder in seltenen Fällen schwer erkranken oder sterben. In Deutschland waren das bisher drei Personen im Alter zwischen drei und 20 Jahren, alle hatten eine Vorerkrankung.

Derzeit fordern fünf Fachgesellschaften, unter anderem auch der Bundesverband der Kinder und Jugendärzte in Deutschland, alle Kitas und Schulen wieder zu öffnen. Was halten Sie davon?

Ich unterstütze grundsätzlich diese Forderung – unter Einhaltung aller Hygienebedingungen und immer mit einem Blick auf die neuen Erkenntnisse und Entwicklungen. Wir sollten angesichts der guten Situation nicht mehr zu einschränkend sein, sondern Kitas und Schulen wieder öffnen.