Alle tragen einen Mund-Nasen-Schutz, der Kontakt zu Mitmenschen ist plötzlich stark eingeschränkt, und über dem Alltag schwebt die Angst vor dem Virus. Die Corona-Pandemie, ihre Dauer und Folgen sind schwer einschätzbar, was in der Bevölkerung diffuse Ängste weckt. Unsichere Zeiten wirken sich auf die Seele aus – das ist normal.

Es können sich aber auch Angststörungen entwickeln, die zu den psychischen Erkrankungen zählen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts erkranken etwa 15 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren an einer behandlungsbedürftigen Form, Frauen häufiger als Männer.

Krisenhotline: Telefonieren kann helfen

Dr. Zuzanna Tkaczynska, psychologische Psychotherapeutin an der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, betreut die Corona-Angst-Hotline des Klinikums. Diese wurde speziell für Menschen eingerichtet, die sich durch die Corona-Auswirkungen belastet fühlen. Sie können sich seit April an das Krisentelefon wenden, um in einem maximal 20-minütigen Gespräch ihre Probleme zu besprechen.

Die meisten berichten laut Tkaczynska nicht von einer Vorerkrankung, leiden aber unter einer starken Angstsymptomatik: Sie fürchten, an Covid-19 zu erkranken oder jemanden anzustecken. Es gebe jedoch auch Anrufer, die bereits eine psychische Diagnose haben und zum Beispiel von kreisenden Gedanken und Panikattacken erzählen.

Fehltage wegen der Seele

Fehltage wegen der Seele

Während es in Deutschland noch keine valide Datenlage über eine eventuelle Steigerung der Angsterkrankungen durch Corona gibt, liegen dem DCAPP (Alumni-Fachnetz für psychosomatische Medizin und Psychotherapie) bereits Informationen aus Wuhan vor, der Stadt in China, die als Ursprungsort der Pandemie gilt. Demnach haben sich im Februar 2020 mehr als 2000 Menschen beim dortigen Krisentelefon gemeldet, die sich durch die Lage seelisch belastet fühlten. 47 Prozent berichteten von Angstsymptomen, 20 Prozent kämpften mit Schlafproblemen, und 15 Prozent klagten über Anzeichen einer Depression.

Tkaczynska vermutet für Deutschland ähnliche Zahlen und arbeitet gerade an einer Online-Umfrage, um fest­zustellen, wie sich so ein Ausnahmezustand auf die psychische Gesundheit und bestehende Angststörungen auswirken kann.

Angst und Furcht haben verschiedene Gesichter

Doch was genau ist eigentlich eine Angststörung? Professor Michael Kellner, Chefarzt der Klinik für Psychia­trie, Psychotherapie und Psychoso­matik des Klinikums Herford und Wissenschaftlicher Beirat der Deutschen Angstselbsthilfe, erklärt: "Angst ist ein Grundgefühl, das jeder gesunde Mensch kennt. Durch sie wird man auf mögliche Gefahren hingewiesen und erhöht körperlich seine Bereitschaft, auf diese zu reagieren, zum Beispiel durch Flucht oder Kampf."

Bei Angsterkrankungen gibt es laut Kellner aber folgenden Unterschied: "Die Ängste sind übersteigert und unangemessen, schränken damit die Lebensqualität vielfältig ein und führen zu persönlichem Leid."

Mehr Schlaf- und Angststörungen

Mehr Schlaf- und Angststörungen

Es gibt dabei verschiedene Formen und Ausprägungen: Phobien wie die Platzangst im Fahrstuhl oder die so­ziale Phobie, bei der die Furcht vor Beschämung, Peinlichkeit und Versagen im Kontakt zu anderen Menschen im Vordergrund steht. Das akute Zeichen der Panikstörung ist laut Kellner dagegen die Panikattacke, bei der sich sehr plötzlich ein intensives Angst­­gefühl mit verschiedenen körper­lichen Zeichen wie Herzrasen oder ­­Erstickungsgefühlen einstelle.

Und bei der sogenannten generalisierten Angststörung gebe es anhaltende Sorgen, die von Nervosität, Schlafstörungen und anderen körperlichen Anspannungszeichen begleitet werden. Häufig verkomplizieren Depressionen oder Suchtleiden diese Erkrankungen.

Mit anderen über die Sorgen sprechen

In Zeiten von Corona rät Experte Kellner Betroffenen dazu, ihren Medienkonsum rund um die Pandemie bewusst einzuschränken, um nicht andauernd neu "Öl ins Feuer" zu gießen. Zudem können soziale Kontakte und sportliche Aktivitäten stabilisierend wirken, und Angsterkrankte sollten auf genügend Selbstfürsorge achten. Viel Schlaf, gesunde Ernährung und eine feste Tagesstruktur können vorbeugend wirken.

Reichen die Maßnahmen nicht aus, sollte man sich Hilfe suchen. Der erste Ansprechpartner ist meist der Hausarzt, der nach einer körperlichen Abklärung zu einem niedergelassenen Psychiater oder psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten überweist. Bei schweren oder komplizierten Angststörungen ist möglicherweise ein erster, intensiver Therapieblock in einer Klinik sinnvoll. Auch eine Selbsthilfegruppe kann unterstützen.

Akute Angst oder Panik?

Das können Sie tun:

Medikamente gegen die Angst

Behandlungsmöglichkeiten gibt es verschiedene, wie Kellner erklärt: "Medikamente wie Psychopharmaka und ­eine Psychotherapie sind anerkannt wirksam." Er empfiehlt die kognitive Verhaltenstherapie, bei der Patienten lernen, ihre Angstkreisläufe und deren Hintergründe zu verstehen, und Wege finden, damit umzugehen.

Bei vielen Angststörungen wirken Antidepressiva, zum Beispiel die modernen und nebenwirkungsarmen Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Sie müssten mehrere Wochen eingenommen werden, bis der erwünschte Effekt einsetzen kann, so Kellner. Danach folge eine längere sogenannte Erhaltungstherapie. Doch viele Erkrankte haben bei Medikamenten Angst vor einer Abhängigkeit.

Für die Serotonin-Wiederaufnahme- Hemmer gibt Kellner Entwarnung: "Vorsicht und Zurückhaltung ist aber bei sogenannten Benzodiazepinen angesagt. Diese wirken zwar sehr schnell, können aber abhängig machen und sollten nur in Ausnahmefällen verabreicht werden." Bei leichten Formen der Angst können zum Beispiel auch Lavendelextrakte helfen. Dazu berät auch gerne die Apotheke vor Ort.

Leiden Sie unter den Symp­to­men einer Angsterkrankung?
Hier finden Sie Hilfe: https://psychologische-coronahilfe.de