Corona-Hygiene: Lehren für die Zukunft

Ellbogencheck statt Handschlag: Wird die Begrüßung die Pandemie überdauern?
© iStock/fizkes
Maske tragen, Hände waschen, Kontakte beschränken: Viele Menschen sehnen das Ende der Corona-Maßnahmen herbei. An einige Veränderungen hat man sich inzwischen zwar gewöhnt, andere hingegen fallen nach wie vor schwer. Und wieder andere – wie zum Beispiel der eingeschränkte Schulunterricht – lassen sich auf Dauer gar nicht aufrechterhalten. Doch die strikten Hygieneregeln haben dazu beigetragen, dass Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern bislang gut durch die Pandemie gekommen ist. Die Infektionsrate ist niedriger als anderswo und weniger Patienten sind gestorben.
Die Maßnahmen wirken also. Und sie haben einen erfreulichen Nebeneffekt auf andere ansteckende Krankheiten. Strikte Alltagshygiene nämlich macht es Viren generell schwerer, von Mensch zu Mensch zu wandern. Daten des Robert-Koch-Instituts zeigen: Der landesweite Lockdown und die Verankerung von Hygieneregeln im Alltag blockiert die Übertragungswege für viele Erreger. Besonders die diesjährige Grippewelle endete mit dem Lockdown abrupt, wie das RKI feststellte. 434 Todesfälle mit laborbestätigter Influenzavirus-Infektion wurden an das Institut übermittelt. In der Grippesaison 2018/19 waren es 1674. Zudem endete die Grippewelle zwei Wochen früher als in den beiden Jahren davor: bereits Mitte März. Eine Analyse von MDR Wissen zeigte, dass dieser milde Verlauf mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie zusammenhängt.
Mehr körperliche Distanz, weniger Infektionen
Bei den landläufig als "Erkältung" bezeichneten grippeähnlichen Atemwegserkrankungen gab es eine ähnliche Tendenz. Und auch diesen starken Rückgang führen RKI-Forscher auf die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus zurück. Im Wochenbericht der 13. Kalenderwoche heißt es: "Die wegen der Covid-19-Pandemie geschlossenen Kitas und Schulen und die von der Bundesregierung beschlossenen Kontaktbeschränkungen scheinen zu einer deutlichen Verringerung der ARE-Aktivität (Anm: Akute Atemwegserkrankungen) vor allem in den jüngeren Altersgruppen beizutragen."
Als guter Marker für die Wirksamkeit der allgemeinen Hygienemaßnahmen gilt der Rückgang von Infektionen mit Noro- und Rotaviren, die heftige Magen-Darm-Entzündungen (Gastroenteritis) mit Erbrechen und Durchfall auslösen können. In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas, Schulen und Altenheimen – aber beispielsweise auch auf Kreuzfahrtschiffen – können sie Massenausbrüche verursachen.
Und auch hier zeigte sich laut den RKI-Daten ein Rückgang in den Wochen des Lockdown. "Viele Hygienemaßnahmen sind im Alltag zwar für die Meisten furchtbar lästig. Aber besser aufpassen und soziale Distanz führen tatsächlich zu weniger Infektionen", betont Bernd Salzberger. Er ist Professor für innere Medizin und Infektiologie an der Universitätsklinik Regensburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI).
Welche Hygienemaßnahmen beibehalten?
Für die Zukunft lässt sich aus den vergangenen Monaten also durchaus einiges lernen. Zumal Experten vermuten, dass nicht nur das SARS-CoV-2-Virus uns möglicherweise noch lange begleiten wird – genauso wie viele andere Viren und Bakterien. "Infektionen gehören zu den häufigsten Ursachen für Erkrankungen weltweit. Immer mehr Antibiotikaresistenzen, eine wachsende Zahl immungeschwächter Patienten und auch die Globalisierung sorgen dafür, dass Infektionskrankheiten in Zukunft kaum an Brisanz verlieren werden", warnt Salzberger. Unwahrscheinlich also, dass das Thema für künftige Generationen eine geringere Rolle spielen wird als für uns heute.
Einige der inzwischen eingeübten Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen sollte man deshalb – soweit möglich und praktikabel – auch über die aktuelle Pandemie hinaus beibehalten. Häufig lüften, sich viel im Freien aufhalten, gründlich Händewaschen, nicht unbedingt jedem zur Begrüßung gleich um den Hals fallen, öfter mal im Homeoffice arbeiten und Meetings, soweit möglich, auch mal online abhalten – das macht schon allein aus ökologischen Gründen Sinn.
Soziale Interaktion auf wenige, aber regelmäßige Kontakte beschränken
Wissenschaftlern der Universitäten Oxford und Zürich zufolge sollten wir außerdem unseren Umgang mit sozialen Kontakte noch eine ganze Weile verändern. Im Fachmagazin Nature verglichen die Forscher drei Arten, soziale Kontakte zu pflegen. Dabei stellten sie fest, dass das Schaffen sogenannter "Social Bubbles", also "sozialer Blasen" das geringste Risiko neuer Corona-Infektionen berge. Die Idee verbreitet sich mittlerweile vor allem in angelsächsischen Ländern. Dabei wird die soziale Interaktion auf nur wenige, aber regelmäßige Kontakte beschränkt, etwa zwei befreundete Familien oder Paare, die eine Art Quarantäne-Team bilden. Solche Mikrogemeinschaften seien für ein Virus schwerer zu durchdringen, berichten die Forscher.
Eine so starke Distanzierung, wie sie zur Zeit des Lockdowns stattfand, ist auf längere Sicht allerdings weder aus psychologischer noch aus soziologischer Sicht zu empfehlen: Die Schäden können vor allem bei Kindern und Jugendlichen sowie bei alten Menschen enorm sein.
Zu viel Hygiene kann der Gesundheit langfristig schaden
Neben dem Vermeiden von Kontakten bleibt aber auch das Vermeiden von Erregern nicht der Weisheit letzter Schluss. Zwar ist es eine positive Entwicklung, dass Kinder in Kitas und Schulen jetzt intensiver als früher lernen, wie man sich vor Ansteckungen schützt. Salzberger mahnt dennoch, es gerade bei Kindern mit der Hygiene nicht zu übertreiben und durchaus den Kontakt mit Bakterien und Viren zuzulassen. "Das ist vermutlich für die langfristige Gesundheit wichtig. Studien haben klar gezeigt, dass Kinder, die weniger Kontakt zu "Dreck" haben, häufiger Allergien und Störungen im Immunsystem entwickeln. Die Evolution hat uns nun mal mit einem aktiven Immunsystem ausgestattet – wenn das nur rumlungert, macht es mehr Unsinn. Vielleicht ist der Nicht-Kontakt mit Krankheitserregern nicht so harmlos wie wir derzeit meinen."
Tragisch ist auch, wenn sich Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten trotz teils lebensbedrohlicher Symptome nicht mehr in die Klinik wagen. Sei es aus Angst vor einer Ansteckung oder weil sie davon ausgehen, dass in den Krankenhäusern nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen. Ärzte in Deutschland und Europa hatten diese Entwicklung seit Beginn der Corona-Pandemie beobachtet, eine Studie des Universitätsklinikums Ulm hat diese Entwicklung nun bestätigt. Eine fatale Entscheidung, sagt auch Professor Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld: "Schlaganfall und Herzinfarkt sind immer Notfälle. Jede Minute des Zögerns erhöht das Risiko, dass der Patient stirbt oder dauerhaft beeinträchtigt bleibt. Betroffene oder Angehörige müssen deshalb immer sofort den Notruf 112 kontaktieren."