Diabetes Ratgeber

Maximal 850 Kilokalorien am Tag in Form von Flüs­­signahrung, drei bis fünf Monate lang. Keinerlei festes Essen über so lange Zeit? Was wenig verlockend klingt, haben im Jahr 2016 knapp 150 Menschen in Großbritannien im Rahmen einer medizinischen Studie durchgehalten. Mit dieser Radikalkur, einer sogenannten Formuladiät, wollten sie ihren Typ-2-Dia­betes auf Dauer zum Verschwinden bringen.

Die Idee dazu hatte der britische Diabetologe Professor Dr. Roy Taylor. Seine These: Wer noch nicht sehr lange an Typ-2-Diabetes erkrankt ist, kann die Diagnose rückgängig machen, wenn er es schafft, deutlich abzuspecken und das Gewicht dauerhaft zu halten. Studienziel war 15 Kilo Gewichtsabnahme.

Im Anschluss an die Diätphase absolvierten die Studienteilnehmer ein Programm, das ihnen helfen sollte, bei der Rückkehr zu einer normalen Kost nicht wieder zuzunehmen. Unterstützt wurden sie dabei von Ernährungsberatern und Psychologen.

Die Ergebnisse gaben Taylor recht. Nach einem Jahr wogen die Teilnehmer im Durchschnitt zehn Kilo weniger. Bei fast der Hälfte von ihnen hatten sich die Blutzuckerwerte normalisiert — ohne Medikamente. Diese hatten die Probanden bereits in der ersten Studienphase abgesetzt. Am besten wirkte das Programm bei denjenigen, die im Lauf des Jahres 15 Kilo oder mehr abgenommen hatten.

Heilung oder Remission?

Seit der Veröffentlichung der Studie im Jahr 2017 ist in Fachartikeln und auf medizinischen Kongressen im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes immer häufiger von "Heilung" die Rede — eine kleine Revolution. Galt in der Vergangenheit doch unter Ärzten der Glaubenssatz: "Einmal Diabetes, immer Dia­betes."

Die Bestimmung des Blutzuckerwerts hilft, einen Diabetes zu erkennen:

Blutproben

Laborwerte: Blutzucker (Glukose)

Die Bestimmung des Blutzuckerwerts hilft, eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) zu erkennen. Diabetes-Patienten und ihre Ärzte können anhand der regelmäßigen Glukose-Messung überprüfen, wie erfolgreich ihre Therapie ist

Aber kann man Diabetes tatsächlich heilen? Ohne Tabletten, ohne Operation? Einfach durch eigenes Handeln? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, was man ­unter Heilung versteht. Roy Taylor bezeichnet seine Probanden nicht als geheilt, er spricht von einer "Remission", vom vorübergehenden Nachlassen des Diabetes. Ärzte verwenden diesen Begriff, wenn sie zum Ausdruck bringen wollen, dass eine Krankheit zwar im Moment nicht da ist, aber jederzeit wiederkommen kann.

Privatdozentin Dr. Julia Szendrödi, Leiterin des Klinischen Studienzen­trums am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf, erklärt: "Remission ist nicht identisch mit Heilung. Es ist eine Heilung auf Zeit. Betroffene können zwar aus einem Diabetes wieder herauskommen — aber nur so lange, wie sie einen gesunden Lebensstil beibehalten."

Diabetesdauer spielt eine Rolle

Nicht alle erfolgreichen Teilnehmer der britischen Studie haben das geschafft. Bei einem Drittel meldete sich der Diabetes innerhalb von zwei Jahren zurück. Sie hatten wieder Gewicht zugelegt. Allerdings: Bei zwei Dritteln blieb der Diabetes verschwunden. Eine langfristige Re­mission ist demnach möglich.

Einerseits macht Roy Taylors Studie Hoffnung, andererseits zeigt sie, dass sich der Diabetes auch durch eine starke Gewichtsabnahme nicht immer abschütteln lässt. "Entscheidend ist zum Beispiel, wie lange ein Patient die Erkrankung schon hat", sagt Szendrödi. Je kürzer die Diagnose zurückliegt, desto eher ist eine Remission möglich. "In den ersten drei bis vier Jahren geht es sehr gut, nach acht Jahren ist es vielleicht noch möglich, nach zehn Jahren eher nicht mehr", sagt die Ärztin.

Neben der Dauer der Erkrankung spielen offenbar noch andere Faktoren für den Erfolg der Abnehm­therapie eine Rolle. Typ-2-Diabetes kann unterschiedliche Ursachen haben. Manche Betroffene sind fettleibig, andere schlank, wieder andere erkranken erst im hohen Alter. Daher fordern einige Mediziner, bei der Diagnose des Typ-2-Diabetes künftig genauer hinzuschauen. So könne man eine passgenaue Therapie für jeden einzelnen Patienten entwickeln.

Betagten Menschen mit nur milden Symptomen würde sie nicht unbedingt empfehlen, stark abzunehmen, erläutert Szendrödi. Von einem deutlichen Gewichtsverlust könnten dagegen besonders Menschen profitieren, die stark übergewichtig sind und an einer Fettleber leiden.

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Krankheitsfaktor Fettgewebe

Dass zu viel Fett im Körper krankmachen kann, liegt an der Funktion des Fettgewebes, erklärt Julia Szendrödi. ­Jeder Mensch speichert Fett im Körper, etwa unter der Haut oder als "viszerales" Fett im Bauchraum. Das Problem dabei: Dieses Gewebe ist stoffwechsel­aktiv. Es bildet Botenstoffe, die Krankheiten wie Herzinfarkt oder Diabetes begünstigen. Eine Gewichtsabnahme kann diese unheilvolle Entwicklung bremsen.

Besteht der Diabetes noch nicht sehr lange, trägt eine deutliche Gewichtsabnahme auch dazu bei, dass sich die Zellen in der Bauchspeicheldrüse erholen. Und die Körperzellen reagieren wieder besser auf das Insulin. Beides sorgt dafür, dass die Balance zwischen Insulinbedarf und -produktion wieder stimmt. Folge: Die Betroffenen kommen in die Remission.

Wie viele Kilogramm man dafür abnehmen muss, sei individuell verschieden, sagt Szendrödi. Bei manchen Menschen könnten auch fünf Kilo ausreichen. Die Expertin warnt Betroffene, beim Abnehmen zu ehrgeizig zu sein. Eine Formuladiät beispielsweise, wie in der eingangs beschriebenen Studie von Roy Taylor, sollte nie in Eigenregie erfolgen, sondern immer unter ärztlicher Kontrolle. Nach dem Abnehmen lässt sich das Gewicht meist nur halten, wenn man sich Unterstützung durch ­einen Ernährungsberater holt.

Besser als Radikalkuren eignet sich zum Abnehmen eine Veränderung der Ernährung, die man auf Dauer durchhalten kann. Wichtig dabei: Die Menge an stark verarbeiteten Kohlenhydraten wie Weißmehl oder weißer Reis und vor allem auch von Zucker und gesüßten Getränken reduzieren.

Diabetes heilen mit dem Messer

Wenn stark übergewichtige Dia­be­tes­patienten es nicht schaffen, ihr Gewicht auf ein gesundes Maß zu reduzieren, kann in Einzelfällen der Chirurg helfen: Durch eine bariatrische Operation lässt sich ebenfalls die Remission eines Typ-2-Diabetes erreichen. "Die häufigsten Verfahren sind der Schlauchmagen, also eine Magenverkleinerung, und der Magen-Bypass, bei dem ein Stück des Dünndarms von der Verdauung ausgeschaltet wird", erklärt Dr. Anne Lautenbach, Oberärztin am Universitären Adipositas-Centrum Hamburg.

Nach der Operation verlieren die Patienten sehr schnell Gewicht. Nicht nur, weil sie deutlich weniger essen können, sondern auch, weil sich die Verdauungsvorgänge ändern. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Hormonen zu, die in Magen und Darm produziert werden. Sie steuern den Stoffwechsel sowie Appetit und Sättigung. Nach einer bariatrischen Operation stellt der Körper deutlich kleinere Mengen davon her. Auch hier gilt: Je früher der Eingriff erfolgt, desto höher sind die Chancen auf eine Diabetes-Remission.

Wer durch eine bariatrische Operation seinen Diabetes zum Verschwinden bringt, muss aber trotzdem weiter auf das Gewicht achten. "Bei etwa 35 bis 50 Prozent der­jenigen, die anfangs eine Diabetes-­Remission erreichen konnten, tritt die Krankheit nach einiger Zeit wieder auf", sagt Dr. Anne Lautenbach. "Adipositas, also eine krankhafte Fettleibigkeit, muss lebenslang therapiert werden. Wenn ein Patient aufhört, sich ausgewogen zu ernähren, wird das Gewicht wieder nach oben gehen."

Adipositas als chronische Erkrankung mit ihren verschiedenen Ursachen ernst zu nehmen und zu behandeln ist eine wichtige Voraus­setzung, wenn es darum geht, den Diabetes wieder loszuwerden.

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