Diabetes und der Risikofaktor Umwelt
Sie haben Typ-2-Diabetes? Dann wird Ihnen Ihr Arzt sicher schon gesagt haben, was Sie tun sollten: anders essen und trinken und sich mehr bewegen. Neben einer erblichen Veranlagung sind ungesunde Ernährungsweise, Übergewicht und Bewegungsmangel die Hauptursachen für die Krankheit. Aber auch unsere Umwelt hat einen Einfluss — auf die Entstehung von Diabetes und möglicherweise auf seinen Verlauf. Wir haben Forscher gefragt, was sie darüber wissen und wie jeder selbst gegensteuern kann.

Prof. Dr. Annette Peters ist Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München
© Helmholtz-Gemeinschaft/Christian Kielmann
Luftschadstoffe – die größten Übeltäter: Feinstaub und Stickstoffdioxid
Man sieht sie nicht, man spürt sie nicht, aber man atmet sie ein: Schadstoffe in der Luft. Sie stammen aus Kraftwerken, Industriebetrieben, Heizungen und, vor allem in Ballungsgebieten, aus Auspuffen und Reifenabrieb. Besonders ungesund sind Stickstoffdioxid und Feinstaub.
Stickstoffdioxid, ein ätzendes Reizgas, dringt tief in die Lungen ein und schädigt die Schleimhäute in den Atemwegen. "Die Entzündung, die dadurch entsteht, kann sich auf den ganzen Körper ausbreiten", erklärt Professorin Dr. Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München. Das Risiko nicht nur für Asthma, sondern auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes steigt.
Anders als Stickstoffdioxid, das erst ab einem bestimmten Gehalt in der Luft gefährlich wird, richtet Feinstaub schon in kleinsten Mengen Schaden an. Größere Teilchen bleiben in den oberen Atemwegen hängen, Partikel bis zu zehn Mikrometer Durchmesser (PM10) dagegen gelangen bis in die Lungenbläschen, ultrafeine sogar ins Blut. "Dort führen sie zur Entzündung der Gefäßwände, fördern Gerinnungsstörungen und Arteriosklerose", sagt Peters.
Die Folgen: Das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall nimmt zu, die Insulinempfindlichkeit der Körperzellen lässt nach, und die Blutzuckerwerte steigen. Studien legen den Verdacht nahe, dass Menschen, die mit hoher Feinstaubbelastung — etwa an einer Hauptverkehrsstraße — leben, häufiger an Typ-2-Diabetes erkranken.
Was kann ich tun? Halten Sie sich möglichst nur kurze Zeit an stark befahrenen Straßen auf. Suchen Sie sich insbesondere zum Laufen oder Radfahren verkehrsarme Nebenstraßen: Bei körperlicher Aktivität atmen Sie schneller und tiefer und damit auch mehr Schadstoffe ein. Achten Sie auf gute Blutzuckerwerte, gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung — so sind Sie besser gefeit gegen verschmutzte Luft!

Ein Vergleich der Durchmesser eines menschlichen Haares mit Feinstaubpartikeln
© W&B/Dr. Ulrike Möhle
Lärm – Flugzeuge, Autos, Züge: Lautstärke erzeugt Stress
Verkehrslärm ist die Nummer zwei unter den Umweltbelastungen — gleich nach den Luftschadstoffen. Als Spitzen-Störer hat sich dabei der Flugverkehr erwiesen, der allerdings weniger Menschen betrifft, gefolgt vom Straßen- und Schienenverkehr.
In zahlreichen Studien konnten Forscher belegen, dass die Häufigkeit von Erkrankungen mit dem Geräuschpegel zunimmt. "Das gilt vor allem für Bluthochdruck, Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Herzinfarkt und Schlaganfall", sagt Dr. Ute Kraus vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München. Aber auch das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht sich: laut einer aktuellen kanadischen Studie um acht Prozent pro zehn Dezibel mehr Straßenverkehrslärm.

Dr. Ute Kraus arbeitet am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München
© Michael Haggenmueller/Institut für Epidemiologie II
Lärm setzt uns unter Stress. Das bedeutet: Der Körper schüttet Hormone wie Adrenalin und Cortisol aus, die Blutdruck, Herzschlag und Blutzucker steigen lassen. Dauerlärm und damit Dauerstress begünstigt Herzprobleme und Diabetes. Lärm stört zudem den Schlaf. Und auch schlechte Nächte wirken sich negativ auf den Zuckerstoffwechsel aus. Ein Trost aus der kanadischen Studie: Ältere Menschen hatten weniger Probleme mit dem Lärm — sie hören einfach nicht mehr so gut.
Was kann ich tun? Minimieren Sie den Einfluss hoher Lärmpegel zumindest für die Nacht. Legen Sie Ihr Schlafzimmer nicht zur lauten Straße hin. Lassen Sie sich Schallschutzfenster einbauen, teilweise gibt es Kostenzuschüsse. Lüften Sie vor dem Zubettgehen gut durch, dann schließen Sie das Fenster. Auch individuell angepasste Ohrstöpsel schaffen Stille.

Dr. Christoph Buck vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie BIPS in Bremen
© privat
Ungünstiges Wohnumfeld – Warum "Fußläufigkeit" so wichtig für die Gesundheit ist
Sie würden ja gern zu Fuß einkaufen, aber den Bürgersteig nutzen auch die Radfahrer? Am Spazierweg fehlen die Bänke, die nächste Grünfläche ist zu weit weg? Ob Menschen im Alltag körperlich aktiv sind, hängt häufig davon ab, was ihnen ihr Wohnumfeld bietet. Forscher haben dafür das Konzept der "Walkability", zu Deutsch etwa "Fußläufigkeit", entwickelt. Wo die Wohndichte hoch ist, in Innenstädten oder Stadtvierteln, und die Bewohner Geschäfte, Cafés, Kinos oder auch die Arbeitsstelle zu Fuß oder mit dem Rad erreichen können, bewegen sie sich mehr.
"Vorausgesetzt, es gibt sichere Fuß- und Radwege oder wenigstens eine Bus- oder Tram-Haltestelle in der Nähe", sagt Dr. Christoph Buck vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie — BIPS in Bremen. "Solche Angebote sind der Schlüssel zu mehr körperlicher Aktivität." Fehlen sie, nehmen die Menschen für ihre täglichen Wege lieber das Auto. Auch wenn Grünflächen oder Spielplätze rar sind, ist das schlecht für die Gesundheit. Denn Bewegungsmangel kann Übergewicht und Diabetes begünstigen.
Natürlich sind für ein bewegteres Leben weitere Faktoren wichtig, so Buck. Etwa das Verhalten von Eltern und Freunden. Die Aufgabe, ein Wohngebiet bewegungsfreundlicher zu gestalten, liegt vor allem bei Städten und Kommunen. Trotzdem: Werden Sie selbst aktiv!
Was kann ich tun? Unübersichtliche Fuß-, fehlende Radwege, ungesicherte Zebrastreifen, schlechte Beleuchtung: Informieren Sie Ihr Stadtteil- oder Bürgerbüro. Tun Sie sich mit anderen zusammen, dann hat Ihr Anliegen mehr Gewicht. Erkunden Sie neue Wege, finden Sie Läden oder Cafés, die den Ausflug dorthin zu Fuß oder mit dem Rad attraktiver für Sie machen!

Professor Dr. Dirk Müller-Wieland ist Diabetologe und Endokrinologe am Universitätsklinikum der RWTH Aachen
© Dirk Michael Deckbar
Klimawandel – Mit heißen Sommern leben lernen
Temperaturen über 40 Grad, wochenlange Hitzewellen: Die Sommer 2018 und 2019 gehörten zu den heißesten, die wir je hatten. Infolge des Klimawandels müssen wir uns auch künftig auf heiße Sommermonate einstellen. Was bedeutet das für Menschen mit Diabetes?
Je höher die Temperatur, desto stärker steigt die Durchblutung. "Dadurch kann gespritztes Insulin schneller wirken als sonst", sagt Professor Dr. Dirk Müller-Wieland, Diabetologe und Endokrinologe vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen. "So kommt es möglicherweise zu Blutzuckerschwankungen und Unterzuckerungen."
Die Hitze macht auch dem Herzen Probleme — wichtig zu wissen für Diabetiker, die gleichzeitig an Bluthochdruck erkrankt sind, verengte Herzkranzgefäße oder Herzrhythmusstörungen haben. Viele nehmen Entwässerungstabletten (Diuretika) ein. Sie bewirken, dass vermehrt Flüssigkeit aus dem Körper geschwemmt wird, um das Herz zu entlasten. "Bei großer Hitze schwitzt man zudem meist stark", erklärt Experte Müller-Wieland. "Beides zusammen kann dazu führen, dass man zu viel Flüssigkeit verliert." Einen ähnlichen Effekt haben bestimmte Medikamente gegen Typ-2-Diabetes, die SGLT-2-Hemmer. Informieren Sie sich frühzeitig bei Ihrem Arzt.
Was kann ich tun? Ihr Arzt sagt Ihnen, ob Sie bei hohen Temperaturen weniger Insulin spritzen und die Dosis bestimmter Arzneimittel reduzieren sollten: zum Beispiel von Diabetes-, Blutdruck- oder Herzmedikamenten. Messen Sie an heißen Tagen häufiger den Blutzucker und den Blutdruck. Trinken Sie ausreichend, am besten Leitungs- oder Mineralwasser.
Hormonaktive Substanzen– Gesundheitsschädliche Stoffe in Kunststoffen, Kosmetika, Pestiziden
Wir begegnen ihnen ständig im Alltag. Sie stecken als Weichmacher in Folienverpackungen von Lebensmitteln, in kunststoffbeschichteten Kaffeebechern und Konservendosen, aber auch als Konservierungsstoffe in manchen Kosmetika sowie in Pflanzenschutzmitteln. Wissenschaftler sprechen von "hormonaktiven Substanzen". Dazu gehören zum Beispiel Bisphenol A, Phthalate, Parabene oder polychlorierte Biphenyle (PCB), die zwar verboten, aber immer noch in der Umwelt nachweisbar sind.
Hormonaktiv heißt: Diese Stoffe wirken im Körper wie Hormone. "Schon niedrige Konzentrationen genügen, um unser Hormonsystem zu stören", sagt Seniorprofessor Dr. Josef Köhrle vom Institut für Experimentelle Endokrinologie an der Berliner Charité.
Studien an Tieren und menschlichen Zellkulturen belegen, dass es Zusammenhänge zwischen der Wirkung hormonaktiver Substanzen und einer höheren Empfindlichkeit für bestimmte Erkrankungen gibt. "Möglicherweise können sie das Risiko für Übergewicht und Typ-2-Diabetes erhöhen", sagt Diabetologe Müller-Wieland.
Bisphenol A etwa, so Forscher Köhrle, bewirkt, dass beim Ungeborenen mehr Fett- als Muskelzellen angelegt werden und sich die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse nicht richtig entwickeln. Mehr Körperfett sorgt zudem dafür, dass die Körperzellen weniger empfindlich auf Insulin reagieren. Ein ähnlich schädlicher Einfluss ließ sich für Phthalate und PCB feststellen. Es spricht einiges dafür, sagt Köhrle, dass hormonaktive Substanzen auch einen bestehenden Diabetes verschlechtern.
Was kann ich tun? Versuchen Sie die Belastung mit hormonaktiven Substanzen so gering wie möglich zu halten. Bei der Auswahl von Kosmetika hilft die kostenfreie App "ToxFox" des BUND, enthaltene Schadstoffe zu erkennen. Trinken Sie Kaffee nicht aus beschichteten Pappbechern. Kaufen Sie Lebensmittel frisch statt in Plastik verpackt und Eingemachtes lieber im Glas als in der Dose.