Zehenfehlstellungen bei Diabetes
Gymnastikstunden beginnen oft mit einer Übung, in der die Füße erst mal festen Halt finden sollen: gerade hinstellen, mit etwas Abstand zwischen den Füßen, dann das Gewicht zwischen Ferse, Fußballen und Zehen gleichmäßig auf dem Boden verteilen.
Kein Problem bei gesunden Füßen, aber eine Wackelpartie, wenn man, wie viele Menschen mit Diabetes, die Füße nicht mehr richtig spürt und sich die Zehen verformt haben. Bei etwa jedem dritten Diabetiker entwickelt sich im Lauf des Lebens eine Neuropathie — ein Nervenschaden. Denn über längere Zeit erhöhte Blutzuckerwerte können die Nerven angreifen. Betroffen sind häufig die langen Empfindungs- und Bewegungsnerven der Beine. Die Folgen sind zum einen Kribbeln und Schmerzen, aber auch ein Gefühlsverlust in Füßen und Beinen. Zum anderen lässt die Kraft in den Fußmuskeln, die von den Nerven gesteuert werden, nach. Die Schäden breiten sich von der Fußspitze nach oben aus. Erste Leidtragende: die Zehen.
Zug an den Zehen
Die Grundglieder unserer Zehen bewegen wir mithilfe von Muskeln im Fuß, die Mittel- und Endglieder über Muskeln an der Wade. "Eine Neuropathie legt in der Regel zuerst die Muskeln im Fuß lahm", erklärt Dr. Dirk Hochlenert, Diabetologe in Köln. Die Muskeln an der Wade arbeiten dagegen noch. Das heißt: Sie ziehen an den vorderen beiden Zehengliedern, die diesem Zug aber mangels Muskelkraft nichts mehr entgegenzusetzen haben. In der Folge krümmen sich die Zehen zunehmend mehr nach unten, bis die Kuppen auf dem Boden stehen.
"Fast alle Diabetiker mit Neuropathie an den Füßen haben solche Krallenzehen", sagt Hochlenert. Das Gefährliche daran: Die Belastung des Fußes verändert sich. Es bilden sich Druckstellen — unter den Zehengrundgelenken, an den Kuppen und den hochstehenden Mittelgelenken. Weil die Betroffenen aber wegen der Neuropathie keine Schmerzen spüren, bleiben Schwielen oft unbemerkt und können sich rasch zu offenen Wunden entwickeln. Mit Diabetes-Schutzschuhen, einer diabetesadaptierten Fußbettung und speziellen Polsterungen für die Zehen lassen sich Druckstellen und Wunden entlasten und Zehen strecken. "Voraussetzung ist allerdings, dass die Schuhe konsequent getragen werden", sagt Daniel Günther, Orthopädie-Schuhmachermeister aus Darmstadt. Das tun jedoch viele Menschen nicht.
Bei etwa zwei Dritteln der Patienten treten nach einigen Jahren erneut Geschwüre auf. Um Krallenzehen dauerhaft zu beseitigen, befürwortet Diabetologe Hochlenert deshalb einen einfachen, aber höchst effektiven Eingriff. Dabei durchtrennt der Fußchirurg einen Teil der Sehnen an den gekrümmten Zehen. Dadurch strecken sich die Zehen, Wunden und Druckstellen verschwinden. "In vielen Fällen reicht diese Maßnahme völlig aus", sagt Hochlenert. "Eine Operation braucht es dann nicht mehr."
Zehenfehlstellungen bei Diabetes
OP durchs Schlüsselloch
Sind Krallenzehen bereits versteift, kann eine Schlüsselloch-Operation an den Kleinzehen helfen — "ohne größere Schnitte, die bei Diabetes schlechter heilen", sagt Professor Dr. Alexander Mehlhorn, Spezialist für den diabetischen Fuß am Zentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie der Schön Klinik München-Harlaching. Dazu entnimmt der Fußchirurg aus den Grund- und Mittelgliedern Knochenkeile und beseitigt so die Krümmung.
Oft stellt sich bei Krallenzehen der Mittelfußknochen steil und drückt nach unten. Durchtrennt und verkürzt der Chirurg den Mittelfußknochen, richtet dieser sich neu aus, der Druck ist weg. "Unter den Ballen entstehen dann meist keine Wunden mehr", so Mehlhorn.
Ein komplizierterer Fall ist der große Zeh. Er kann sich nicht nur nach unten krallen, sondern auch verdrehen. Das Kappen von Sehnen streckt ihn und macht die Drehung rückgängig. Oft weicht der Zeh jedoch zusätzlich nach außen ab ("Hallux valgus"). Der Chirurg begradigt diese Fehlstellung, etwa indem er einen Teil des Mittelfußknochens entfernt und den Knochen in der korrigierten Position mit Draht oder Schrauben fixiert. So lässt sich Druckstellen und Wunden vorbeugen.
Wichtig: Gute Zuckerwerte
Zwei Bedingungen gibt es für Operationen an den Zehen: Die Blutzuckerwerte sollten möglichst gut sein, und eine Durchblutungsstörung, etwa durch eine verengte Beinarterie, sollte ausgeschlossen oder beseitigt werden. Sonst ist die Heilung gefährdet.
Damit alle Eingriffe dauerhaft Erfolg haben, ist danach vor allem eines nötig: "Die verordneten Schutzschuhe und Einlagen, die optimal an den Fuß angepasst sind, auch wirklich tragen", mahnt Orthopädie-Schuhmachermeister Günther. Und die Füße sorgfältig auf Veränderungen kontrollieren. "Wer seine Füße nicht mehr spürt, verliert sie leicht aus den Augen. Kümmern Sie sich jeden Tag bewusst um sie!"