„Wegen Diabetes benachteiligt“
Warum ist Inklusion wichtig?
Inklusion heißt, dass alle Kinder in Kita oder Schule gleichberechtigt an Bildung teilhaben. Dieses Recht auf Bildung ist u. a. in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert. Es ermöglicht etwa, dass auch Kinder mit Diabetes eine Regelschule besuchen.
Wie sieht denn eine ideale Betreuung für sie aus?
Wenn sich Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und Erzieher mit um den Diabetes kümmern und der Personalschlüssel das zulässt. Ansonsten sollten Inklusionskräfte, die zur Einrichtung gehören, die Kinder betreuen.
Wie läuft das im Moment?
Ganz verschieden. Es gibt in Deutschland auch keine einheitliche Regelung, wie und wo man Helfer oder Begleiter beantragt. Im Zweifel können sich Eltern an die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche wenden, angesiedelt im Sozial- oder Jugendamt. Manchmal zahlt auch die Krankenkasse Pflegedienste, die ein paarmal täglich kommen. Das ist meist nicht die beste Lösung, da sie schwer zu finden und nicht immer beim Kind sind. Das Modell bringt auch viel Unruhe in den Alltag. Kitas erhalten für Kinder mit Diabetes oft einen Integrationsstatus und somit mehr Stunden, um sich gut kümmern zu können.
Wie oft gibt es Probleme bei der Betreuung?
Viel zu häufig. Das ergab 2019 eine deutschlandweite Befragung von Müttern und Vätern, die Kita- oder Schulkinder mit Diabetes haben. Fast die Hälfte der 1189 Eltern gab an, dass ihr Kind nicht gleichberechtigt die Schule besuchen kann. Manche Schülerinnen und Schüler dürfen aufgrund des Diabetes nicht an Klassenfahrten, Sportveranstaltungen oder Festen teilnehmen. Auch 30 Prozent der Kitakinder wurden von Fahrten ausgeschlossen. In zahlreichen Fällen bleibt Eltern aber nur der Rechtsweg, um den Anspruch des Kindes auf gleichberechtigte Bildung umzusetzen.
Erhalten denn alle Kinder mit Typ 1 einen Kitaplatz?
Wo Kitaplätze rar sind, haben es Kinder mit Diabetes ungleich schwerer, einen Platz zu bekommen.
Und wenn sie einen Platz haben …
… reduziert meist trotzdem mindestens ein Elternteil von Kitakindern mit Typ 1 die Arbeitszeit. Knapp 27 Prozent geben ihren Job auf. Das zeigt: Die Betreuung der Kinder läuft häufig nicht reibungslos. Eltern müssen den Nachwuchs früher abholen oder ihn begleiten, etwa wenn das geschulte Personal ausfällt.
Warum zögern Lehrer und Erzieher manchmal, ein Kind mit Diabetes zu betreuen?
Weil sie das Gefühl haben, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, wenn sie Fehler machen. Die Angst ist unbegründet. Für Aufklärung sorgen Broschüren des Spitzenverbands der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zur Medikamentengabe in Kitas oder Schulen. Das Personal ist versichert und kann nicht belangt werden, wenn Fehler passieren. Nur wer vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt oder es im Notfall unterlässt, die Rettung zu rufen, kann Probleme bekommen.
Welche Herangehensweise hilft?
Eltern argumentieren oft mit dem Bildungsauftrag und überrennen das Personal. Das hilft nicht weiter, obwohl sie im Recht sind. Sie sollten ihr Gegenüber abholen, Wege aufzeigen, wie die Betreuung ablaufen könnte. Wenn die Kinder in einem Diabeteszentrum behandelt werden, können Diabetesberater oder Sozialarbeiter oft vermitteln. Wichtig ist auch, dass die Betreuer geschult werden. Das nimmt Ängste und gibt Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung.

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Unsere Expertin:
Michaela Heinrich-Rohr ist Sozialarbeiterin am Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité Berlin und Mitglied der AG Inklusion der Deutschen Diabetes Gesellschaft