Logo der Apotheken Umschau

Momo ist ein echter Herzensöffner. Der sommerlich kurz geschorene Großpudel ist neugierig, wer da gerade ins Haus kam, aber letztlich nur mäßig am Besuch interessiert. Man spürt, dass er hier, zu Hause bei Nadine Raschke und ihren zwei Kindern in einer hessischen Kleinstadt, wahrlich Besseres zu tun hat, als um die Gunst von Fremden zu buhlen.

Diabeteshund Momo schlägt Alarm

Momo erledigt hier einen wichtigen Job. Und zwar als Diabetes-Warnhund von Sophie Raschke. Die 14-Jährige ist eines von knapp 32.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die an Typ-1-Diabetes erkrankt sind. Bei drohender Unterzuckerung macht Momo sich bei Sophie mit Fiepen bemerkbar. Oft schon, bevor der Sensor Meldung macht. „Das funktioniert sehr gut!“, sagt Sophie. Ihre Mutter stimmt zu: „Wenn Momo bei Sophie nicht durchkommt, etwa nachts, weil sie so fest schläft, dann kommt er zu mir.“ Der Hund sei für sie eine enorme Beruhigung: „Wenn er bei Sophie ist, kann ich mich entspannen.“

Ein Zustand, der vor vier Jahren noch undenkbar schien. Damals, als mit der Diagnose der Tochter die ewige, oft berechtigte Sorge um den Blutzuckerspiegel von Sophie begann. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Die ständige Angst, das Kind allein zu Hause oder aus dem Haus zu lassen — mit Freundinnen, zum Spielen, zu Kindergeburtstagen. „Nach einem halben Jahr hatte ich Augenringe bis auf den Boden. Ich konnte nicht mehr.“

Zuverlässigkeit von Warnhunden ist umstritten

Erst nach etwa zwei Monaten Wartezeit bekommt Sophie einen Sensor. Dennoch ist ihre Mutter in ständiger Alarmbereitschaft. Auf der Suche nach weiterer Hilfe wird sie online fündig: Manche Hunde können Unter- und Überzuckerungen bei Menschen erkennen und warnen. Wie genau das funktioniert, darüber gibt es verschiedene Theorien. Wissenschaftlich bestätigt ist bisher keine. Sicher ist, dass längst nicht jeder Hund diese offenbar angeborene Fähigkeit mitbringt.

Nadine Raschke erfährt aber auch, dass Warnhunde nicht von der Krankenkasse bezahlt werden. Prof. Karsten Müssig, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Hardenberg der Niels-Stensen-Kliniken in Georgsmarienhütte, erklärt, warum: „In den wenigen Studien, die es zum Thema gibt, sind manche Hunde zwar auf eine Zuverlässigkeit von 90 Prozent gekommen.“ Im Mittel habe die Verlässlichkeit aber nur knapp über der Zufallsquote gelegen. Also weit entfernt von dem Punkt, an dem man getrost auf technische Messmethoden wie eine kontinuierliche Glukosemessung verzichten könnte.

Eine echte Supernase: Momo warnt manchmal schon früher als Sophies Glukosesensor.

Eine echte Supernase: Momo warnt manchmal schon früher als Sophies Glukosesensor.

Verbesserte Lebensqualität durch Therapiehunde

Dennoch gäbe es vermutlich einigen Warnhund-Benefit, so Karsten Müssig: „Bei wissenschaftlichen Befragungen gaben die meisten Betroffenen an, dass sie bessere Blutglukosewerte und weniger Unterzuckerungen hätten, außerdem einen deutlichen Vorteil hinsichtlich ihrer Lebensqualität.“ Als Ursache vermutet er, dass man mit Hund regelmäßig Bewegung habe, mehr unter Menschen komme, und dass ein Vierbeiner gerade bei Kindern und Jugendlichen die Psyche stabilisiere.

An die Warnleistung des Hundes sollte man aber keine übertriebenen Erwartungen haben. Er ist kein Ersatz für technische Hilfsmittel. Ideal ist bei Typ-1-Diabetes eine Insulinpumpe, kombiniert mit einem Gerät zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Solche Systeme haben eine Unterzucker-Warnfunktion.

Auch was die psychische Gesundheit betrifft, könnte man Warnhunde als Medizin auf vier Pfoten bezeichnen. Studien zeigen, dass sie das Selbstvertrauen und die Kommunikationsfähigkeit ihrer Zweibeiner stärken. Hunde sind gleichzeitig aber auch anspruchsvolle Haustiere mit eigenen Bedürfnissen, die viele Verpflichtungen mit sich bringen. Sie brauchen viel Aufmerksamkeit und müssen zuverlässig versorgt werden. Das kostet jeden Tag mehrere Stunden Zeit. Genauso sollte man sich über die ein Hundeleben lang anfallenden Kosten im Klaren sein — Tierarztbesuche, Impfungen, Futter, gegebenenfalls Hundesteuer und Zubehör.

Das Wichtigste in Kürze

Diabetes-Warnhunde melden sich bei Herrchen oder Frauchen, wenn der Blutzucker zu stark sinkt oder steigt. Ein Hund motiviert außerdem zu viel Bewegung an der frischen Luft.

Bitte beachten! Ein Warnhund kann helfen und wohltun. Man sollte sich aber nicht allein auf das Tier verlassen — und auch den Bedürfnissen des Vierbeiners gerecht werden.

Teure Ausbildung der Warnhunde

Nadine Raschke weiß das, sie ist mit Hunden aufgewachsen. Sie möchte diese Option für ihre Tochter und sich und sucht nach einem geeigneten Tier. Unterstützt wird sie vom Deutschen Assistenzhundezentrum. Hier ist Petra Köhler Teil des Teams. Die 47-Jährige ist unter anderem „Fachkraft für Tiergestützte Therapie/Intervention“ und sie bildet auch selbst Assistenzhunde-Trainer und -Trainerinnen aus. Sie sagt, es gebe zwar in jeder Rasse Hunde, die sich aufgrund ihrer Veranlagung als Warnhund eignen. Es brauche zusätzlich aber etwas mindestens ebenso Wichtiges: „ein Assistenzhunde-Wesen.“

Ein Kriterium, das vor allem auf unaggressive und stressresistente Golden Retriever, Labradore und Pudel zuträfe. Die sozialen Fähigkeiten bringt der Hund mit, den Rest muss er lernen. Das ist zeitintensiv und teuer. Oft kostet ein Hund nach zweijähriger Ausbildung bei einer Trainerin wie Petra Köhler eine fünfstellige Summe. Eindeutig zu viel für Nadine Raschke. Den hohen Kaufpreis für einen geeigneten Hund stemmt sie mit Unterstützung einer Stiftung. Und sie beschließt, Momo gemeinsam mit dem Deutschen Assistenzhundezentrum selbst auszubilden. Vielleicht rührt auch daher das innige Verhältnis zwischen dem Pudel und seiner Menschenfamilie.

Wie Therapiehunde traumatisierten Soldaten helfen

Die Zahl der im Einsatz traumatisierten Soldatinnen und Soldatensteigt seit Jahren. Viele schaffen es erst nach langer Zeit, sich Hilfe zu suchen. Bei der Therapie können auch speziell ausgebildete Hunde unterstützen zum Artikel

Hunde lernen, in stressigen Situationen ruhig zu bleiben

Momo lernt, bei Lärm, Unruhe und auch inmitten großer Menschenmengen stoisch zu bleiben, seinen Jagdtrieb und allzu ausgeprägte Beschützerinstinkte zu unterdrücken. Und sein Warnverhalten wird verstärkt. Zwei Jahre lang geht es regelmäßig zu Ausbildungs-Terminen, erst in Mainz, dann in Frankfurt.

Vor Kurzem hat Momo seine Assistenzhundeprüfung als Warnhund bestanden — „mit Prädikat!“. Jetzt darf er als offizieller Warnhund mit Weste ausgestattet Sophie in der Öffentlichkeit begleiten, vielleicht bald auch zur Schule. Nadine Raschke sagt, natürlich werde immer auf Momo Rücksicht genommen. Theoretisch könnte er auch ins Kino mitkommen. „Aber das ist zu laut, da gehe ich dann mit.“

Daheim ist für Momo sowieso alles entspannt. Das liege auch an der besonderen Seelenverwandtschaft mit Sophie. „Momo ist wie ich“, sagt die und streichelt liebevoll seine blonden Locken. „Er hat seinen eigenen Kopf, ist aber auch nett und locker.“ Und er hilft der Jugendlichen, eine ganz normale 14-Jährige mit einem Faible für Punk, Hip-Hop, Pferde und Ausschlafen zu sein.


Quellen: