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Manchmal scheint der Blutzucker ein seltsames Spiel mit einem zu treiben. Abends vor dem Schlafengehen liegen die Werte noch im grünen Bereich. Doch am Morgen folgt das böse Erwachen: Das Messgerät zeigt ein deutlich zu hohes Ergebnis an. Und das, obwohl man in der Zwischenzeit gar nichts gegessen hat.

Zuckerhochs am Morgen häufig bei Diabetes

Dieses Szenario dürfte vielen Menschen mit der Zuckerkrankheit bekannt vorkommen. Hohe Morgenwerte sind sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes ein häufiges Problem. "Nüchtern sollte der Blutzuckerspiegel idealerweise zwischen 90 und 120 mg/dl liegen", sagt Dr. Helmut Pillin, Diabetologe in München. Liegen die Werte morgens regelmäßig darüber, lohnt es sich, seinen Arzt darauf anzusprechen und gemeinsam nach den Gründen zu forschen. Denn es kommen mehrere Ursachen infrage. Hier erfahren Sie, wie es zu hohen Morgenwerten kommen kann und wie Sie Abhilfe schaffen:

1. Zu wenig Insulin oder Medikamente

Spritzt ein Patient nicht genug Basalinsulin oder ist die Dosis an blutzuckersenkenden Medikamenten zu niedrig, kann nachts der Blutzucker ansteigen.

Das hilft: Erhöhen Sie in Absprache mit dem Arzt die Medikamentendosis. "Bei Metformin-Tabletten kann es helfen, diese kurz vorm Schlafengehen einzunehmen, denn nach acht bis zehn Stunden lässt die Wirkung von Metformin nach", sagt Diabetologe Dr. Ralf Kolassa aus Bergheim. Bessern sich die Werte trotzdem nicht, brauchen Sie vielleicht Insulin.
Wenn Sie Insulin spritzen und hohe Morgenwerte haben, können Sie versuchsweise die Dosis erhöhen (erst den Arzt fragen!). Bei Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin) kann das aber zu einer nächtlichen Unterzuckerung führen. Möglicher Ausweg: später spritzen oder auf ein lang ­wirkendes Analoginsulin umsteigen.

2. Dawn-Phänomen

Bei manchen Menschen schüttet der Körper in der Nacht verstärkt Hormone aus, die dem Insulin entgegenwirken und dadurch den Blutzucker in den frühen Morgenstunden ansteigen lassen ("Dawn" ist englisch für "Morgenröte"). Stress oder Schlafstörungen können diesen Effekt verstärken. Bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes tritt das Dawn-Phänomen oft besonders deutlich auf.

Das hilft: Wenn Sie Verzögerungsinsulin (NPH-­Insulin) verwenden, sollten Sie es möglichst spät spritzen, etwa um 23 Uhr. So erreicht es seine maximale Wirkung frühmorgens. "Ansonsten kann der Wechsel auf ein lang wirkendes Analoginsulin helfen — oder auf eine Insulinpumpe", sagt Diabetesberaterin Wiebke Kurzawa aus Wolfratshausen. Diese lässt sich so programmieren, dass sie in den frühen Morgenstunden mehr Insulin abgibt.

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3. Späte Mahlzeiten:

Wer spätabends noch viel isst, dessen Werte können nachts im Schlaf ansteigen. Vor allem fett- und eiweißreiches Essen können zu einer unangenehmen Überraschung am Morgen führen, da Fett und Eiweiß den Übergang von Kohlenhydraten aus dem Darm ins Blut verzögern.

Das hilft: "Probieren Sie, ob sich die Zuckerwerte bessern, wenn Sie früher zu Abend essen", sagt Diabetesberaterin Kurzawa. Bei einer ­Insulintherapie: Fragen Sie den Arzt, wie Sie die Dosis auf den Fett- und Eiweiß­gehalt der Mahlzeit abstimmen können.

Brauchen Sie einen Morgengupf?

Bei manchen Menschen ist der Nüchternwert normal, doch kaum verlassen sie das Bett, steigt der Blutzucker. Der Grund für dieses Aufsteh-­Phänomen sind zuckererhöhende Hormone. Ein Morgengupf kann den Anstieg verhindern. Das ist eine kleine Dosis schnell wirkendes Insulin (z. B. ein, zwei Einheiten), die Sie sich nach dem Aufwachen geben. Im Einzelfall kann der Gupf auch vor dem Morgensport nötig sein. Fragen Sie vorab den Arzt, ob das für Sie sinnvoll ist.

4. Nächtliche Unterzuckerungen

Hat ein Mensch mit Diabetes zu viel Insulin gespritzt oder abends anstrengenden Sport getrieben, können die Werte nachts tief fallen, sodass der Betreffende im Schlaf eine Unterzuckerung erleidet. "Der Patient wacht in der Regel nicht auf und merkt nichts davon", sagt Professor Jochen Seufert, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie an der Uniklinik Freiburg. Diese Unterzuckerung löst eine Gegenregulation des Körpers aus, die die Werte ansteigen lässt. Ärzte sprechen hier vom Somogyi-Effekt.

Das hilft: Fragen Sie den Arzt, wie Sie Ihre Therapie an­passen, um nächtlichen Tiefs vorzubeugen, etwa durch Senken der Basalinsulindosis.

5. Andere Medikamente

Manche Arzneimittel ­verringern die Insulinempfindlichkeit und können so den Nüchternblutzucker erhöhen. Das gilt besonders für Kortisontabletten, aber auch für manche Medikamente gegen psychische Erkrankungen, etwa Depressionen. "Auch die blutdrucksenkenden Entwässerungsmittel und Beta­blocker sowie Schilddrüsenpräparate können den Blutzucker beeinflussen", sagt Apotheker Christian Bauer aus Burg­­lengenfeld.
Das hilft: Fragen Sie Ihren Arzt, was am sinnvollsten ist: die Dosis des Präparats zu senken, es zu wechseln oder die Diabetestherapie anzupassen. Setzen Sie auf keinen Fall das Mittel einfach ab! Ihr Apotheker prüft gerne für Sie, ob Medikamente, die Sie wegen anderer Krankheiten einnehmen, den Blutzucker beeinflussen können.

6. Fehler beim Spritzen

Mit einer langen Pen-Nadel spritzen Sie Ihr Basalinsulin eventuell in den Muskel. So gelangt es schneller ins Blut, der Zucker sinkt zu stark (siehe "Nächtliche Unterzuckerung"). Zudem ist das Insulin rascher verbraucht. Das kann zu hohen Morgenwerten führen. Ähnlich ist es, wenn Sie Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin) statt in den Oberschenkel oder Po in den Bauch spritzen. "Bei lang wirkenden Analoginsulinen beeinflusst die Spritzstelle die Wirkung meist nicht", sagt Diabetesberaterin Wiebke Kurzawa. Wechseln Sie die Nadel zu selten oder spritzen oft in dieselbe Stelle, können sich Gewebsverhärtungen bilden, die die Insulinaufnahme behindern: noch ein Grund für hohe Morgenwerte.

Das hilft: Überprüfen Sie die Nadellänge und Spritztechnik mit Ihrem Diabetesteam. Spritzen Sie NPH-Insulin in den Oberschenkel. Bilden Sie eine Hautfalte, um eine Injektion in den Muskel zu vermeiden. Wechseln Sie die Einstichstelle und Nadel bei jeder Injektion. Spritzen Sie sich nicht in verhärtete oder verdickte Stellen.

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7. Krankheiten und Stress

Fieber erhöht den Insulinbedarf und treibt den Blutzucker in die Höhe. "Auch eine Schlafapnoe – nächtliche Atemaussetzer, die einen erholsamen Schlaf verhindern – kann den Zucker über Nacht erhöhen. Ebenso andere Schlafstörer, etwa Schmerzen und Sorgen", sagt Diabetologe Kolassa.

Das hilft: Klären Sie beim Arzt, wie Sie Ihre Diabetestherapie bei einem Infekt anpassen und was Sie bei Schlafstörungen tun können, um besser zu schlafen. Lassen Sie sich bei Verdacht auf eine Schlafapnoe untersuchen.

Ursachenfindung: Nachts die Werte messen

"Wer am Morgen zu hohe Werte hat, sollte seinen Blutzucker einmal in der Nacht um zwei Uhr messen", rät Professor Jochen Seufert. Am besten alle abends, nachts und morgens ermittelten Blutzuckerwerte notieren und zum Diabetologen mitnehmen. Das erleichtert dem Arzt, dem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Der nächtliche Blutzuckerspiegel gibt einen Hinweis darauf, was die Ursache für das Morgenhoch sein könnte. Sind die Werte um zwei Uhr zu hoch, steckt möglicherweise eine zu späte Mahlzeit oder falsche Medikamentendosis dahinter. Sind sie um diese Zeit dagegen eher im niedrigen Bereich, könnte eine nächtliche Unterzuckerung oder das Dawn-Phänomen für die hohen Zuckerspiegel nach dem Aufstehen verantwortlich sein. Oft befragt der Arzt sein Gegenüber zudem nach dessen Ernährungsgewohnheiten am Abend.

Reicht das alles nicht aus, um der Ursache auf die Spur zu kommen, kann der Arzt dem Patienten auch ein Gerät geben, das den Zucker in der Nacht fortlaufend misst. Bei diesen CGM-Systemen (continuous glucose monitoring) trägt der Betreffende einen Sensor am Körper, der in regelmäßigen Abständen die Zuckerwerte im Unterhautfettgewebe misst. "Auf diese Weise lässt sich genau feststellen, wann in der Nacht die Zuckerwerte nach oben oder nach unten ausschlagen", sagt Diabetologe Pillin.

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