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Was sind die Gründe für Übergewicht? Wie kommt der Körper wieder in eine gesunde Balance? Wissenschaftler und Menschen, die es geschafft haben, geben Tipps
Haben Sie schon mal eine dicke Giraffe gesehen? Oder ein Eichhörnchen mit Kugelbauch? Vermutlich nicht. Wildtiere haben offensichtlich keine Figurprobleme. Wie viel und was sie fressen, das scheint auf geheimnisvolle Weise ihr Leben lang perfekt zu stimmen. Für uns Menschen ist Übergewicht dagegen ein Problem. Wieso?
Könnten wir virtuell ein paar Hundert Jahre in die Vergangenheit reisen, würden wir dort dicken Menschen nur selten begegnen. Haben sich womöglich unsere Erbanlagen seither gewandelt und viele Zeitgenossen zu "guten Futterverwertern" gemacht?
Nein, betonen Wissenschaftler übereinstimmend. "Den Einfluss der Gene darf man nicht überbewerten", sagt Professorin Dr. Annette Schürmann. Sie leitet die Abteilung Experimentelle Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Gene verändern sich nicht innerhalb weniger Generationen, erklärt sie. Es gebe zwar durchaus eine familiäre Veranlagung dafür, eher schlank oder füllig durchs Leben zu gehen. "Aber die meisten der bisher bekannten Gewichts-Gene wirken sich nur aus, wenn eine entsprechende Ernährung dazukommt."
Olaf S., 51 Jahre:
Mein Wohlfühlgewicht hat sich meinem steigenden Gewicht angepasst. Für mich waren 80 Kilo genauso okay wie später 115. Zugenommen habe ich, weil ich einfach keine Lust hatte, mir irgendwas zu versagen. Ich bin ein Genussmensch. Die Wende brachte ein Blick auf die Waage, die plötzlich 118 Kilo anzeigte. Da dachte ich mir, wenigstens drei Kilo sollten wieder runter. Ein kleines Ziel — und der Anfang von allem. Ich probiere gerne Neues aus, also habe ich mir eine Abnehm-App installiert. Und schnell gemerkt, dass ich zu viel und das Falsche esse.
Heute bin ich 30 Kilogramm leichter. Anfangs habe ich nur süßes Gebäck weggelassen, später Feierabendbiere und Fertigprodukte. Ich gehe regelmäßig joggen. Gerade bin ich zum ersten Mal zehn Kilometer gelaufen! Ich nehme mir mehr Zeit für mich selbst und achte darauf, genug zu schlafen.
Warum werden wir immer dicker?
Erbanlagen geben einen Rahmen vor — bei gleicher Ernährung wird der eine schlanker sein als der andere. Auch Einflüsse im Mutterleib scheinen sich auf das spätere Körpergewicht auszuwirken, legen Studien nahe. Zum Dicksein ist jedoch keiner per Geburt verurteilt.
Mit den Lebensjahren legen viele Menschen an Pfunden zu. "Früher konnte ich essen, was ich wollte", beklagen sie sich. Ist Übergewicht vielleicht eine Altersfrage? Teilweise schon, sagt Annette Schürmann. "Mit dem Alter ändert sich der Stoffwechsel, man bewegt sich weniger und baut Muskeln ab." Deshalb können — und dürfen — im Lauf des Lebens ruhig ein paar Kilogramm dazukommen.
Etwas ganz anderes ist es, schon in jüngeren Jahren viel zuzunehmen. Dieses Problem haben immer mehr Menschen. Spätestens wenn ihre Gesundheit unter den Pfunden leidet, fühlen sich die meisten nicht mehr wohl in ihrem Körper. Sie würden gerne weniger wiegen, schaffen es aber nicht. Sie machen Diät, nehmen ab und wieder zu. So geht das immer weiter.
Das Regelwerk, das Wildtiere schlank hält, scheint bei vielen Menschen aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Dabei kann eigentlich auch unser Körper sein Gewicht perfekt regulieren. Ein Bereich des Gehirns, der Hypothalamus, dient dabei als Steuerzentrale; zahlreiche Hormone sind die Botenstoffe, darunter Insulin. Je nachdem, welche Hormonsignale im Gehirn ankommen, wird der Stoffwechsel angepasst. Hunger bekommen, essen, satt sein, dabei stets so viel Energie verfügbar haben, wie gebraucht wird: All das funktioniert in einem gesunden Körper und in einer intakten Umwelt ohne Nachdenken. Das Gewicht wird dabei relativ konstant gehalten, ähnlich wie Blutdruck oder Körpertemperatur.
Doreen B. (45), Feuerwehrfrau
Mein Wohlfühlgewicht wären 70 Kilo. Aktuell wiege ich 78. Zugenommen habe ich im Lauf von drei Schwangerschaften und nach meiner Diagnose Typ-1-Diabetes vor zwei Jahren. Kohlenhydrate essen, Insulin spritzen: Damit legte ich auf 97 Kilo zu. Die Wende brachte, dass ich mich mit meiner Körperfülle irgendwann nicht mehr leiden mochte. Und ständig kreisten meine Gedanken um den Diabetes und die Therapie. Da habe ich für mich beschlossen: Jetzt ist Schluss!
Heute bin ich froh, dass ich damals den Fitness-Tanz Zumba ausprobierte. Das hat so richtig Spaß und den Kopf frei gemacht. Ich trainiere zweimal pro Woche, fahre viel Rad, bin bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Meine Ernährung habe ich umgestellt. Ich koche und backe mit frischen, gesunden Zutaten. Fertigkost schmeckt mir nicht mehr. Der Diabetes ist mit weniger Insulin super eingestellt.
Wir essen rund um die Uhr
"Die unbewusste Gewichtskontrolle klappt nicht mehr, wenn Menschen in einer veränderten Umwelt leben, in der Nahrung rund um die Uhr unbegrenzt verfügbar ist", erklärt Professorin Dr. Dr. Anja Bosy-Westphal, Ernährungswissenschaftlerin und Ernährungsmedizinerin von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie beschreibt, was unsere Ernährung heute kennzeichnet:
Wir essen nicht nur zu den Hauptmahlzeiten, sondern oft zwischendurch, nur nebenbei und bis spät in den Abend
Unsere Nahrung ist energiedicht (viele Kalorien pro Gramm)
Wir essen, obwohl wir nicht hungrig sind
Wir konsumieren hochverarbeitete Lebensmittel mit viel Zucker und Fett
Wir bewegen uns wenig
So finden Sie Ihr Wohlfühlgewicht: Tipps unserer Experten
Unsere Essensvorlieben sind per Zufall entstanden. Wären wir in Japan aufgewachsen, würden wir Reis frühstücken statt Brötchen. Nach der gleichen Logik können wir uns neue, gesündere Vorlieben angewöhnen, etwa Vollkornbrot statt Weißmehlbrötchen. Das klappt nicht sofort. Bleiben Sie dran! Sie werden feststellen: Plötzlich schmeckt's!
Manche Getränke enthalten Unmengen "leerer" Kalorien, die dick, aber nicht satt machen. Entwöhnen Sie sich von verzuckerten Durstlöschern! Dazu zählen Limonaden und Cola, aber auch Milchgetränke, Fruchtsäfte und die vermeintlich gesunden Smoothies.
Zucker ist der Dickmacher schlechthin. Machen Sie sich bewusst, wo wie viel drinsteckt, indem Sie beim Einkauf die Nährwertangaben auf dem Etikett lesen. Wählen Sie gezielt zuckerärmere Alternativen.
Essen Sie sich satt beim Frühstück, Mittagessen, Abendessen, aber lassen Sie die Snacks zwischendurch weg. Ideal sind Pausen von etwa fünf Stunden zwischen den Mahlzeiten, damit Ihr Insulinspiegel sinken und die in den Fettzellen gespeicherte Energie freigesetzt und verbrannt werden kann.
Versuchen Sie Ihre tägliche "Dosis" Rohkost und Gemüse auf 500 Gramm zu steigern. Sie werden sehen: Das ist eine ganze Menge! Es fördert nicht nur die Gesundheit, sondern macht durch viele Ballaststoffe auch so richtig satt.
Falls Sie Ihren Diabetes mit Insulin behandeln: Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, wie Sie die Dosis so niedrig wie möglich halten können. Vielleicht kommen moderne Diabetesmedikamente für Ihre Therapie infrage, die einen positiven Effekt auf das Gewicht haben?
Wenn Sie Obst mögen, essen Sie am besten die unverarbeiteten Früchte. Eine Orange oder ein Apfel zum Beispiel macht satt und stillt auch die Lust auf Süßes. Als Saft getrunken wäre ein Stück Obst aber nur eine sehr kleine Menge, und der Zucker darin gelangt schnell ins Blut und erhöht den Insulinspiegel. Essen Sie Zucker daher mitsamt seiner natürlichen "Verpackung", dann konsumieren Sie automatisch weniger.
Als Diabetiker profitieren Sie von Bewegung gleich mehrfach: Sie senkt den Blutzucker, verbessert die Empfindlichkeit Ihrer Körperzellen für Insulin. Sie wirkt dem Abbau von Muskelmasse entgegen. Und für übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes besonders vorteilhaft: Regelmäßige körperliche Aktivität senkt den Blutdruck und verbessert die Blutfettwerte.
Fördern Sie die Fettverbrennung, indem Sie das Zeitfenster fürs Essen beschränken. Das klassische Intervallfasten lässt acht (oder für den Anfang auch zehn) Stunden Zeit zum Essen. Beispiel: morgens um 8 Uhr die erste Mahlzeit, nachmittags um 16 Uhr die letzte. Oder — für Frühstücksmuffel — zwischen 12 und 20 Uhr essen, danach nichts mehr. Aber Vorsicht: Bitte sprechen Sie zuvor mit Ihrem Arzt, und passen Sie gegebenenfalls die Diabetestherapie an.
Dieser Lebensstil setzt im Körper einen ungesunden Kreislauf in Gang: Viele schnell verfügbare Kohlenhydrate gelangen ins Blut. Als Reaktion wird Insulin freigesetzt. Es bewirkt, dass Glukose verwertet und überschüssige Energie in Fettzellen deponiert wird. Weil der Kohlenhydrat-Nachschub nie versiegt, bleibt der Insulinspiegel hoch. Die Zellen schützen sich gegen das "Dauerfeuer" des Hormons, indem sie dessen Signal ignorieren. Sie werden insulinresistent. Mit noch mehr Insulin versucht der Organismus gegenzusteuern. Die Fettpolster wachsen, oft entwickelt sich Typ-2-Diabetes.
Bei einem Typ-2-Diabetes sind die Zuckerwerte im Blut erhöht. Wer den Lebensstil ändert und ggf. Medikamenten nimmt, kann Langzeitfolgen verhindern
Politik der kleinen Schritte
Kurzfristige Diäten bringen nichts. "Unser Körper drosselt als Reaktion auf Nahrungsmangel den Grundumsatz und bleibt im Sparmodus, wenn wir längst wieder normal essen", warnt der Hamburger Ernährungsmediziner und Sachbuchautor Dr. Matthias Riedl. Schnell steigt das Gewicht wieder. Sein Rat: "Setzen Sie sich als Ziel nicht ein Kalorienlimit oder einen bestimmten Gewichtsverlust pro Zeit, sondern eine gesündere Ernährung. Nähern Sie sich diesem Ziel in kleinen Schritten. Mit dem Vorsatz ‚Ab morgen mache ich alles anders‘ auf Genuss zu verzichten bringt nichts."
Durch den Abbau von Übergewicht lässt sich ein Typ-2-Diabetes messbar lindern und in einigen Fällen sogar heilen. Betroffene sollten sich aber nicht mit Hungerkuren oder Crash-Diäten quälen. Auf Dauer