Trotz positivem Corona-Test das Haus verlassen und auch zur Arbeit oder Schule gehen – das geht in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein schon seit einiger Zeit. Diese Länder haben die Isolationspflicht für Infizierte Mitte November abgeschafft. Hessen zog etwas später nach, das Saarland schließt sich zum 10. Dezember an. Dafür mussten die Länder zunächst ihre Corona-Verordnungen überarbeiten. Wer mit Corona infiziert ist, darf zwar offiziell Haus oder Wohnung verlassen, muss aber in Innenräumen außerhalb der Wohnung eine Maske tragen und darf Krankenhäuser oder Pflegeheime nicht betreten. Personal im Gesundheitswesen darf bei positivem Corona-Test nicht zur Arbeit.

Und wie geht es in den anderen Bundesländern weiter? In einer ersten Reaktion ließen etwa Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen und Bremen Mitte November erkennen, dass sie an der Isolationspflicht festhalten wollen. Sachsen zeigte sich offen für ein Aus der Regel, Thüringen will das weitere Vorgehen prüfen. Andere Länder gaben sich zurückhaltend und forderten ein gemeinsames Vorgehen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte davor, die Isolationspflicht aufzuheben. Was spricht dafür, was dagegen?

CONTRA

  • Es gibt zurzeit „keinen medizinischen Grund“, die Isolationspflicht zu kippen, bei etwa 1000 Todesfällen pro Woche, einer bevorstehenden „wahrscheinlich schweren Winterwelle“ und „am Vorabend einer ansteckenderen Variante“ – so argumentiert der Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach. „Das kommt jetzt zur Unzeit und findet nicht die Billigung der Bundesregierung“, sagte der SPD-Politiker. Lauterbach argumentierte mit der BQ.1.1-Variante des Omikron-Typs, die sich stärker ausbreite.
  • Auch wolle er, dass der Arbeitsplatz sicher bleibe. Es müsse zudem verhindert werden, dass Menschen infiziert zur Arbeit gedrängt werden, so der Minister.
  • Zudem drohe ein „Flickenteppich“ mit verschiedenen Isolationsregeln in den Bundesländern.
  • „Wenn jetzt Eltern ihre coronainfizierten Kinder in Kitas und Schulen schicken dürfen, steigt dort logischerweise die Ansteckungsgefahr“, kritisierte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Schleswig-Holstein, Astrid Henke, Mitte November. Das gefährde die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften.
  • Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sagte, sie halte es „epidemiologisch für grundfalsch, mitten im dritten Pandemieherbst“ auf die Isolationspflicht für Corona-Infizierte zu verzichten. „Auch Personen, die keine Symptome haben, können das Virus weitertragen und andere Menschen anstecken“, warnte sie.
  • Die Deutsche Stiftung Patientenschutz übte ebenfalls Kritik. Die Isolationspflicht verhindere die unkontrollierte Ausbreitung des Virus, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Das schützt vor Leiden und Sterben“, betonte er. Wenn jetzt in jedem Bundesland in dieser zentralen Frage unterschiedliche Regelungen gelten sollen, ist das aus Bryschs Sicht chaotisch. „Schließlich überqueren allein Millionen Pendler täglich Ländergrenzen. Nicht selten sind das nur wenige Schritte.“

PRO

  • Viele Menschen sind geimpft oder hatten Corona, die aktuelle Omikron-Variante verursacht in der Regel keine schweren Krankheitsverläufe – so argumentieren die Bundesländer, die die Isolationspflicht aufheben. Zurückgehende Infektionszahlen, eine Basisimmunität innerhalb der Bevölkerung von mehr als 90 Prozent sowie wirksame antivirale Medikamente rechtfertigten aus Sicht der vier ersten Länder, die die Isolationspflicht abgeschafft haben, diesen Schritt, teilte das baden-württembergische Gesundheitsministerium stellvertretend Mitte November in Stuttgart mit.
  • Die aktuellen eher kurzen Wellen im Sommer und in diesem Herbst weisen nach Ansicht der vier Länder auf den Übergang in eine endemische Phase hin. Als endemisch gilt eine Krankheit, wenn sie in einer Region mit relativ konstanter Erkrankungszahl dauerhaft auftritt, wie etwa die Grippe.
  • Viele EU-Staaten verzichten mittlerweile auf Isolationspflichten für Corona-Infizierte, negative Auswirkungen seien nicht bekannt.
  • Es gehe um einen neuen Umgang mit Corona mit mehr Eigenverantwortung der Menschen. Grundsatz soll sein: „Wer krank ist, bleibt zu Hause“.
  • Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), nannte den Schritt „verantwortbar und geboten“, so lange die derzeitige Virusvariante nicht von einer anderen verdrängt wird, die das Gesundheitssystem überlasten könnte.
  • Virologe Hendrik Streeck ist der Ansicht, mit der Isolationspflicht sei es bei der hohen Dunkelziffer nicht zu schaffen, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Man solle „zu einem Isolationsgebot übergehen. Wer sich krank fühlt, sollte zu Hause bleiben“, sagte er der „Fuldaer Zeitung“.
  • Auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit findet die Aufhebung der Isolationspflicht für Corona-Infizierte „aus medizinischer Sicht nachvollziehbar“ und „in der aktuellen Pandemiesituation auch vertretbar“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. In Einrichtungen, in denen es eine größere Gefahr gebe – wie Krankenhäuser oder Altenheime – habe man gute Hygienekonzepte und Fachkräfte, die verhinderten, dass es zu einem problematischen Infektionsgeschehen komme, sagte Schmidt-Chanasit. „Aber eine allgemeine Regelung für alle Bereiche ist in dieser aktuellen Situation nicht mehr angebracht und sorgt ja auch für problematische Einschränkungen in dem Bereich der kritischen Infrastruktur.“
  • Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt hat die Ankündigung begrüßt. Angesichts der zurückgehenden Infektionszahlen und überwiegend milden Krankheitsverläufe sei der Schritt medizinisch vertretbar, sagte er der „Rheinischen Post“ am Dienstag. „Isolationspflichten sind weitreichende freiheitseinschränkende Maßnahmen, die zum jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig sind.“ Reinhardt zufolge wäre es wünschenswert, wenn sich die Länder auf einbundesweit einheitliches Vorgehen einigen. Auch der Deutsche Hausärzteverband sah dem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge kein Problem in der Lockerung.

Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek schrieb dazu bei Twitter: „Es gibt politische und gesellschaftliche Argumente dafür und dagegen.“ Was ihr wichtig sei zu betonen: „Keine Isolationspflicht mehr zu haben bedeutet nicht, dass Covid-19 für jeden ab jetzt völlig harmlos und nur ein Schnupfen ist.“

Die Entscheidung, wie sie mit der Isolationspflicht umgehen, liegt in der Hand der einzelnen Bundesländer. Vom Bund gibt es lediglich die Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) zur fünftägigen Isolation, dies hatten die Länder bisher aber geschlossen umgesetzt. Angeraten wird außerdem, die Selbstisolation danach erst nach einem negativen (Selbst-)Test zu beenden. Beschäftigte des Gesundheits- und Pflegewesens sollen zudem 48 Stunden vor der Testabnahme symptomfrei gewesen sein.