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Viele Patientinnen und Patienten in Deutschland haben nicht genügend Deutschkenntnisse, um sich zufriedenstellend behandeln zu lassen. An einen rechtlichen Anspruch auf Sprachmittlung in der Arztpraxis oder Klinik oder gar an eine Kostenübernahme der Krankenkassen ist derzeit aber nicht zu denken.

Woran das liegt und warum die Problematik auch deutsche Muttersprachler betrifft, erklärt Prof. Bernd Meyer im Interview. Er ist Leiter des Arbeitsbereichs Interkulturelle Kommunikation am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Prof. Bernd Meyer sprach im Rahmen einer Anhörung als Sachverständiger zum Thema Sprachmittlung 2023 vor dem Bundestag.

Prof. Bernd Meyer sprach im Rahmen einer Anhörung als Sachverständiger zum Thema Sprachmittlung 2023 vor dem Bundestag.

Prof. Meyer, eine Kinderarztpraxis in der Nähe von Stuttgart behandelt seit Kurzem nur Patientinnen und Patienten mit Deutschkenntnissen oder Dolmetscher. Ein entsprechendes Schild hängt an der Tür. Finden Sie das diskriminierend?

Nein, auf keinen Fall. Ärztinnen und Ärzte, die das machen, handeln einfach nur gemäß rechtlicher Vorgaben. Es ist nicht erlaubt, zu impfen oder andere Eingriffe ohne ein Aufklärungsgespräch durchzuführen. Und Aufklärung kann ja nur in einer gemeinsamen Sprache erfolgen. Es könnte sonst zu Komplikationen kommen. Rechtlich gesehen ist es Körperverletzung, wenn man ohne klare Einwilligung der Patientin oder des Patienten behandelt.

Zusätzlich handelt es sich um Abrechnungsbetrug gegenüber der Krankenkasse, wenn man ein Aufklärungsgespräch abrechnet, das man gar nicht geführt hat.

Wie kommt es, dass Menschen ohne Deutschkenntnisse oft ohne dolmetschende Person in die Arztpraxis gehen, obwohl das solche Probleme verursacht?

Bei migrantischen Familien, die schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, ist es fast schon üblich, dass Familienangehörige, die wenig Deutsch können, zum Arzt begleitet werden. Diese Begleitpersonen sind aber oft „involviert” in den Fall. Das ist nicht immer gut. Es geht da unter anderem um Datenschutz und vielleicht will man auch nicht alles mit allen in der Familie teilen.

Trotzdem muss man davon ausgehen, dass jeden Tag tausende Menschen in Deutschland in einer medizinischen Einrichtung für Verwandte und Bekannte sprachmitteln. So machen sie das Problem quasi unsichtbar und nehmen der Politik den Druck, weil es ja doch immer irgendwer macht.

Wie bestreiten geflüchtete Menschen ihre Arztbesuche?

Auch Geflüchtete kommen ohne die nötigen Sprachkenntnisse zu Ärztin oder Arzt. Sie kennen oft noch niemanden, den sie überhaupt mitnehmen könnten. Eventuell haben sie auch andere Vorstellungen von einer Behandlung, kennen es vielleicht nicht so, dass Ärzte ein Gespräch führen wollen.

Es geht darum, einen pragmatischen Umgang mit der Situation zu finden

Halten Sie Hilfe von Angehörigen oder Übersetzungs-Tools für ungeeignet?

Für einfache Gespräche sind Angehörige oder Übersetzungstools Möglichkeiten, die man nutzen sollte. Wenn es komplizierter wird, muss man anspruchsvollere Lösungen finden. Das sind dann zum Beispiel geschulte Sprachmittler, die es in manchen Kommunen gibt - ehrenamtlich oder auf Honorarbasis. Oder tatsächlich sogar professionelle Dolmetscher oder Telefondolmetscher.

Es geht darum, einen pragmatischen Umgang mit der Situation zu finden. Das bedeutet, dass man sich darüber klar wird, welche Möglichkeiten man überhaupt hat, um Kommunikation herzustellen. Das müssen sich alle Beteiligten fragen.

Sehen Sie also auch medizinisches Personal und Einrichtungen in der Pflicht?

Es wäre für alle medizinischen Fachkräfte gut, wenn sie sich über solche Möglichkeiten informieren würden. Meistens fällt das Problem ja nicht vom Himmel, sondern ist schon immer da gewesen und man hat improvisiert. Es wäre zum Beispiel sinnvoll, zu überlegen: Gibt es bei uns in der Kommune einen Helferkreis, der sich um Geflüchtete kümmert, von dem wir Dolmetscher beziehen können?

Wenn es da gar keine Möglichkeiten gibt, kann man wie bei dem Fall in Baden-Württemberg sagen, die Patientinnen und Patienten müssen selbst aktiv werden und jemanden mitbringen. Aber gerade im städtischen Umfeld gibt es eigentlich Alternativen.

Wie steht es um die Finanzierung von Sprachmittlung? Schrecken auch die Kosten ab?

Die Rechtslage ist aktuell so: Der Bezug von Leistungen einer Krankenkasse bedeutet nicht, dass Dolmetscherkosten übernommen werden. Die Bundesregierung hatte eigentlich eine Gesetzesinitiative versprochen, um Sprachmittlung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen. Dieser Vorstoß scheint aber untergegangen zu sein. So haben wir weiter eine ungeregelte Situation, in der alle Beteiligten improvisieren müssen.

Finden Sie es gerechtfertigt, dass die Kassen nicht für Sprachmittlung zahlen wollen?

Alleine aus den Beiträgen der Versicherten wäre eine flächendeckende Übernahme von Sprachmittlung wahrscheinlich nicht finanzierbar. Der Staat müsste Gelder zuschießen. So wie die Situation jetzt ist, darf sie aber nicht bleiben. Denn: Personen mit geringen Deutschkenntnissen bekommen aufgrund von Sprachbarrieren im Endeffekt nicht dieselben Leistungen wie deutschsprachige Patientinnen und Patienten, obwohl sie als Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer die gleichen Beiträge bezahlen.

Auch wenn derzeit kein bundesweit einheitlicher Anspruch auf Sprachmittlung besteht: Gibt es Bundesländer, die mit gutem Beispiel vorangehen?

In Thüringen hat man ein „Landesprogramm Dolmetschen“[1] aufgesetzt und es gibt einen Rahmenvertrag mit einem Anbieter für telefonisches Dolmetschen – schon seit etwa zwei Jahren. Das wird tatsächlich sehr stark nachgefragt, obwohl Thüringen ja kein Bundesland ist, in dem es sehr viele Migrantinnen und Migranten gibt. Gerade im Bereich der Flüchtlingsbetreuung ist die Sprachmittlung dort sehr gefragt, etwa unter ukrainischen Geflüchteten.

Das zeigt: Wenn man so ein Angebot macht und es professionell aufsetzt, wird es auch intensiv genutzt. Das ist schon sehr fortschrittlich. Auch im ländlichen Raum bekommt man so innerhalb weniger Minuten eine Sprachmittlerin oder einen Sprachmittler ans Telefon.

Würde das Recht auf Sprachmittlung gesetzlich verankert, gäbe es also einen enorm hohen Bedarf. Wer soll all die Einsätze übernehmen?

Die Personen mit den entsprechenden Sprachkenntnissen, die gibt es schon. Die haben häufig auch Zertifikate oder eine entsprechende Ausbildung oder können die Kompetenz anderweitig nachweisen, zum Beispiel weil sie sowieso zweisprachig sind.

Reicht es denn, wenn es Menschen sind, die ehrenamtlich sprachmitteln?

Ehrenamtliche sind ja nicht unbedingt weniger kompetent. Das Problem beim Ehrenamt ist nur, dass die Leute keinen Anreiz haben, das nachhaltig und fortlaufend zu machen.

Deshalb sind Sprachmittlelnde auf Honorarbasis die bessere Lösung. Leute, die auch ein Einkommen erzielen können mit dieser Tätigkeit. Man müsste sie nur nochmal fürs Gesundheitswesen zertifzieren, vielleicht ihre Kenntnisse des Gesundheitssystems und Basiswissen über medizinische Behandlungen nachschulen. Dann hätte man schnell einen Stamm an Personen, die diese Aufgabe übernehmen und damit ein Nebeneinkommen erzielen könnten.

Haben die Sprachbarrieren im Gesundheitssystem auch gesamtgesellschaftliche Folgen?

Natürlich! Durch die mangelnde Aufklärung ist der Schutz der Bevölkerung insgesamt geringer. Das hat man etwa während der Corona-Pandemie gesehen. Da gab es ja ganze Gruppen, die keinen Zugang zu verständlichen Informationen hatten. Wo kann ich mich impfen lassen? Warum soll ich mich überhaupt impfen lassen? Warum Masken tragen? Und es verursacht natürlich zusätzliche Zeit und Kosten, wenn medizinisches Personal erstmal eine Sprachbarriere überwinden muss, bevor es behandeln kann.

Unabhängig davon muss man aber auch sagen: Die Leistungen der Krankenkasse, für die man zahlt, vollumfänglich in Anspruch nehmen zu können, ist einfach ein Patientenrecht und sollte daher nicht an die Beherrschung der deutschen Sprache gebunden sein.


Quellen: