„Anfeindungen gegen Fachkräfte schaden dem Ruf Deutschlands“
Han Steutel ist Vorstandsvorsitzenden des vfa – dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. Der Verband vertritt einen großen Teil der Arzneimittelhersteller in Deutschland. Im Interview spricht Steutel über die Bedeutung von Migration für den Pharmastandort Deutschland, auf welche Probleme ausländische Fachkräfte stoßen und, was ihn persönlich bei dem Thema beschämt.
Herr Steutel, welche Rolle spielt Migration für die Pharmaforschung in Deutschland?
In der pharmazeutischen Industrie geht es nicht im direkten Sinne um Migration. Wir sind wissenschaftsgetrieben und Wissenschaft läuft immer global. Da ist es egal, wo die Studien geschrieben werden und woher die Autoren stammen. Auch bei der Zusammensetzung von Teams ist Diversität wichtig: sowohl beim Berufsabschluss, als auch bei der Art, wie gedacht wird. Denn, wenn alle gleich denken, kommt am Ende selten Gutes raus. Wenn wir über Migration sprechen, müssen wir den Fokus auf andere Bereiche richten.
Auf welche?
Vor allem auf die klinische Forschung und die Produktion. Zwar kann auch klinische Forschung global sein, sie muss aber national stattfinden. Und wenn man ein Produkt und die Zulassung hat, geht es in die Produktion. Hier braucht man vor Ort hervorragende Fachkräfte, die das lokal ausführen können.
Aber es heißt doch immer, die Medikamentenproduktion finde in Ländern wie China und Indien statt.
Das gilt vor allem für Generika-Medikamente – also Nachahmerpräparate. Aber zum Beispiel wurden mRNA-Impfstoffe in Deutschland hergestellt. Eines unserer Verbandsmitglieder hat dafür sogar in Portugal nach Fachkräften gesucht. Das zeigt: Wir denken überhaupt nicht national. Und es wäre auch nicht möglich, alle nötigen Fachkräfte – egal ob im Bereich Forschung oder zum Beispiel im Marketing – in Deutschland zu finden. Da ist es essenziell, dass wir im Ausland für uns werben. Doch da gibt es noch Probleme.
Welche?
Für ausländische Fachkräfte können die Vorgänge in Deutschland zu bürokratisch sein. Oft dauert es lange, bis Abschlüsse anerkannt werden. Das betrifft vor allem Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland. Es wollen aber viele Firmen in Deutschland investieren – und die brauchen Fachkräfte. Der Fachkräftemangel ist daher ein großes Thema für unsere Mitgliedsunternehmen. Und wir sehen nicht, dass wir den Mangel mit den in Deutschland zur Verfügung stehenden Fachkräften beheben können.
Weiß die Regierung um die Probleme?
Die Bundesregierung und die Union haben verstanden, welche Bedeutung die forschende Pharmaindustrie für die Weiterentwicklung der Volkswirtschaft und der Sicherung unseres Wohlstands hat. Aber das können wir alles nur bewahren, wenn wir Fachkräfte ohne Hürden rasch nach Deutschland holen. Auch die Willkommenskultur muss sich dafür hier ändern.
Es gibt immer wieder Berichte, dass Fachkräfte aus dem Ausland rassistisch angegangen werden und wieder gehen. Sehen Sie hier Probleme?
Natürlich, dem Ruf Deutschlands wird dadurch geschadet: Das, was wir an Anfeindungen in der Öffentlichkeit sehen, ist kontraproduktiv für den Standort Deutschland und beschämt mich persönlich. Es ist zwar nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung und der Politik, die sich negativ äußern – aber die sind rabiat. Doch wir müssen bedenken: Deutschland braucht für die Wirtschaft etwa 400.000 Menschen pro Jahr durch Zuwanderung. Das gilt für alle Bereiche. Ohne die ist unser Wohlstand in Gefahr. Das haben viele Menschen in Deutschland verstanden. Aber leider noch nicht alle.