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Schon im ersten Quartal 2024 verzeichneten die Krankenkassen nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums ein Minus von 776 Millionen Euro, es droht ein Milliardendefizit. Der GKV Spitzenverband, der die Krankenkassen vertritt, warnt vor massiven Beitragserhöhungen von mindestens 0,5 Prozentpunkten und mehr. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet höhere Beiträge. Das verunsichert viele. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie finanziert sich die gesetzliche Krankenversicherung?

Die deutsche gesetzliche Krankenversicherung basiert auf drei Säulen:

  • Dem allgemeinen Beitragssatz. Er wird gesetzlich festgelegt und beträgt seit 2015 unverändert 14,6 Prozent des Einkommens.
  • Dem Zusatzbeitrag, den jede Krankenkasse individuell festlegen kann, wenn sie mit den Beiträgen der Versicherten nicht auskommt. Er beträgt derzeit durchschnittlich 1,7 Prozent. Ob, und wenn ja, wie stark, eine Krankenkasse ihre Zusatzbeiträge anhebt, entscheidet jede Kasse selbst.
  • Den aus Steuergeldern finanzierten Bundeszuschüssen. Damit finanzieren die Krankenversicherungen die von der Politik vorgeschriebenen, aber eigentlich versicherungsfremden Leistungen wie zum Beispiel das Mutterschaftsgeld oder die Krankenversicherung von Bürgergeld-Empfängern. Wie hoch diese Zuschüsse ausfallen, entscheidet die Politik.

Was sind die Ursachen für das Defizit der Krankenkassen?

Die Aufregung ist momentan zwar groß, doch das Problem selbst ist nicht neu. „Schon seit rund 25 Jahren hat die gesetzliche Krankenversicherung ein strukturelles Defizit, das bislang noch nicht von der Politik behoben wurde“, sagt Gesundheitsökonom Prof. Dr. Stefan Greß von der Hochschule Fulda.

Vereinfacht gesagt, wachsen die Einnahmen der Krankenkassen langsamer als die Ausgaben, sodass automatisch ein Minus entsteht. Ein Grund dafür ist, dass die Beiträge nicht auf das gesamte Einkommen der Versicherten erhoben werden, sondern nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die 2024 bei brutto 62.100 Euro pro Jahr beziehungsweise 5.175 Euro pro Monat liegt.

Außerdem wird für bestimmte Einkommensarten, beispielsweise für Kapitalerträge oder Mieteinnahmen, überhaupt kein Krankenkassenbeitrag fällig. Die Folge: „Steigt das Bruttoinlandsprodukt beispielsweise um 5 Prozent, steigen die Einnahmen der Kassen dennoch nur um 3 Prozent“, erläutert Greß.

Auf der anderen Seite erhöhen sich bei der Krankenversicherung – wie überall – die Kosten, zum Beispiel wenn die Löhne im Gesundheitswesen steigen und durch den medizinischen Fortschritt.

Ein weiterer Grund für das Defizit der Krankenkassen sind nicht gedeckte Ausgaben für die Empfänger von Bürgergeld. Für diese Menschen zahlt die öffentliche Hand derzeit nach Berechnungen des IGES Instituts nämlich nur rund 108 Euro pro Monat an die Krankenkassen. Notwendig wären jedoch gut 311 Euro pro Monat. Allein diese Schieflage führt, so ein weiteres Ergebnis der Studie, zu einer Unterfinanzierung in Höhe von 9,2 Milliarden Euro. Das entspricht nach Angaben des GKV-Spitzenverbands rund 0,5 Beitragspunkten.

Oft liest man in diesem Zusammenhang, dass der Zuzug der Bürgergeld-berechtigten Menschen aus der Ukraine für dieses Minus verantwortlich ist, doch tatsächlich besteht dieses Problem schon seit vielen Jahren. Außerdem sind die zugewanderten Menschen mehrheitlich sehr jung und verursachen deshalb nach Einschätzung von Experten kaum Kosten.

Die demographische Entwicklung dagegen kostet deutlich weniger Geld, als viele vermuten. „Zwar werden wir alle tatsächlich immer älter, aber wir bleiben auch länger gesund, sodass sich die Kosten größtenteils nur weiter nach hinten verlagern“, sagt Gesundheitsökonom Greß.

Wo könnte die Krankenversicherung sparen?

Die einfachste Lösung wäre: weniger Leistungen und damit eine schlechtere Versorgung der Versicherten – doch das hat die Politik bislang ausgeschlossen.

„Es gibt jedoch viele Ansatzpunkte, um das Gesundheitssystem effizienter und damit kostengünstiger zu gestalten“, sagt Greß. Zum Beispiel hat Deutschland zu viele teure Krankenhausbetten, die Digitalisierung steckt noch in den Kinderschuhen, die Zusammenarbeit von Hausärzten, Fachärzten und Krankenhäusern funktioniert oft nicht gut und nach wie vor lohnen sich Untersuchungen mit teuren technischen Geräten für die Ärzte oft mehr als ausführliche Patientengespräche.

„Tatsächlich sind hier schon einige Reformen auf dem Weg, doch die Umsetzung dauert ihre Zeit, sodass kurzfristige Einsparungen dadurch kaum möglich sein dürften“, sagt Greß. Der GKV-Spitzenverband fordert zudem, den Mehrwertsteuersatz für Medikamente von 19 Prozent auf 7 Prozent abzusenken, was aber geringere Steuereinnahmen für die öffentliche Hand bedeuten würde.

Womit müssen Versicherte rechnen, wenn Kostensenkungen nicht möglich sind?

„Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge erhöhen“, so Gesundheitsökonom Greß. Die Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes dagegen müsste der Gesetzgeber beschließen. Allerdings scheut die Politik erfahrungsgemäß solche unpopulären Entscheidungen, vor allem, wenn Wahlen vor der Tür stehen.

Auch höhere Steuerzuschüsse sind angesichts der aktuellen Haushaltslage unwahrscheinlich. Der GKV-Spitzenverband fordert einen regelmäßigen Inflationsausgleich bei dem seit 2016 unveränderten regulären Bundeszuschuss und außerdem, dass zumindest die Beiträge für die Bezieher von Bürgergeld kostendeckend sein sollen. Da beide Probleme aber seit vielen Jahren bestehen, ist es offen, ob hier Anhebungen erfolgen.

Was können Versicherte tun?

Auch beim Zusatzbeitrag müssen die Versicherten nur die Hälfte selbst zahlen, die andere Hälfte trägt der Arbeitgeber beziehungsweise die Rentenkasse. Ein Rechenbeispiel: Steigt der Zusatzbeitrag um 0,6 Prozentpunkte, zahlt der Versicherte 0,3 Prozent mehr Beitrag. Das bedeutet bei einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro Mehrkosten von neun Euro pro Monat. Erhöht die Krankenkasse den Zusatzbeitrag, haben Versicherte ein Sonderkündigungsrecht und können zu einer günstigeren Krankenkasse wechseln. Die aktuellen Zusatzbeiträge finden Sie hier.

Kassenwechsel leicht gemacht

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Doch Vorsicht, ein Wechsel sollte gut überlegt werden. Zum einen ist nicht sicher, ob die neue Kasse nicht auch wenig später den Zusatzbeitrag erhöht, denn das Defizit betrifft alle Kassen. Zum anderen sollte es bei der Krankenversicherung nicht nur nach dem Preis, sondern auch nach der Leistung gehen. Zwar sind die allermeisten Kassenleistungen gesetzlich vorgeschrieben. Bei den sogenannten Zusatzleistungen, zum Beispiel Reiseimpfungen oder Zuschüssen zur Zahnreinigung, kann es Unterschiede geben.

Außerdem sollte man bedenken, dass manche Leistungen bei der Kasse beantragt und ausdrücklich bewilligt werden müssen, beispielsweise bei Hilfsmitteln, Vorsorge- oder Rehamaßnahmen. Hier haben die Kassen einen gewissen Ermessensspielraum und es ist nicht garantiert, dass die neue Kasse dann dieselben Leistungen genehmigt wie die bisherige.


Quellen: