An den Wünschen der Menschen vorbei

Dem Bundestag ist es nicht gelungen, einen verbindlichen Rechtsrahmen für assistierten Suizid festzulegen.
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Die Beihilfe zum Suizid bleibt vorerst ungeregelt. Nach jahrelangem Ringen um eine gesetzliche Regelung der begleiteten Selbsttötung wurde damit eine große Chance vertan, einen verbindlichen Rahmen für assistierten Suizid festzulegen und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2020 umzusetzen. Nach dem damaligen Urteil des höchsten Gerichts hat grundsätzlich jeder Mensch, egal ob krank oder gesund, das Recht seinem Leben ein Ende zu setzen und hierbei medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Dass die Neuregelung nun gescheitert ist, hat bittere Konsequenzen. Ärzte und Ärztinnen bewegen sich weiterhin in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie sterbenskranken Menschen helfen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Schwerkranke, die sich Hilfe zur Selbsttötung wünschen, werden die dafür benötigten Medikamente in vielen Fällen weiter nicht erhalten.
Wertschätzender Austausch im Bundestag
Die Debatte im Parlament war geprägt von einem wertschätzenden Austausch, von hohen moralischen Werten, vom Anspruch, mehr dafür zu tun, Suizide zu vermeiden und einen Missbrauch bei begleiteten Selbsttötungen zu verhindern. Ein Glanzstück in Sachen Moral und Demokratie, fernab von politischen Showkämpfen, so wie man sich das auch bei anderen Themen mitunter wünschen würde.
An der Realität von schwerkranken Patientinnen und Patienten, an den Wünschen der Menschen in diesem Land, ging diese Debatte allerdings vorbei. Die überwiegende Mehrheit der Menschen hierzulande wünscht sich liberale Gesetze zur Sterbehilfe und ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Natürlich ist es wichtig, Risiken in den Blick zu nehmen und Missbrauch zu verhindern. Doch diese Aspekte dürfen nicht den Kern der Debatte bestimmen und verhindern, dass das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes endlich umgesetzt wird.
Um die Risiken von Missbrauch durch liberale Gesetze zur Sterbehilfe realistisch zu beurteilen, hilft ein Blick in andere Länder. Hier zeigt sich, dass liberale Regelungen zur Sterbehilfe weder dazu führen, dass Schwerkranke systematisch unter Druck gesetzt werden, sich doch bitte endlich umzubringen, noch dazu, dass Sterbehilfe-Organisationen in Pflegeheimen auf Werbetour für ihre Dienste gehen.
In den US-Staaten Oregon und Washington etwa können Menschen, deren Lebenserwartung weniger als ein halbes Jahr beträgt, seit mehr als zehn Jahren Medikamente erhalten, um sich selbst das Leben zu nehmen. Die Gesetze sind seit 1997 (Oregon) und 2009 (Washington) in Kraft. Eine Auswertung bis 2017 zeigt, dass in beiden Bundesstaaten bis dahin circa 3300 Menschen Beihilfe zum Suizid in Anspruch genommen haben. In etwa 75 Prozent der Fälle litten sie an Krebs im Endstadium, gefolgt von neurologischen Erkrankungen wie etwa ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) oder Lungenkrankheiten wie COPD, die mit Atemnot am Lebensende verbunden ist. Fast 90 Prozent hatten eine Krankenversicherung, die für Therapie und palliativ-medizinische Betreuung aufgekommen wäre. Nach systematischem Missbrauch klingt das jetzt nicht gerade.
Wir brauchen bald eine Lösung
Ich weiß nicht, wie mein Leben einmal enden wird und ich habe keine Ahnung, ob Beihilfe zum Suizid für mich jemals eine Option wäre. Aber ich möchte die Wahl haben. Will ich palliativmedizinisch betreut und im Sterbeprozess sediert und schmerzfrei sein? Will ich, wenn es soweit ist, den Zeitpunkt für meinen Tod selbst wählen und Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen? Wir brauchen jetzt nicht wieder jahrelange Debatten. Die Verantwortlichen sollten sich rasch erneut gemeinsam an einen Tisch setzen und einen konsensfähigen Gesetzesentwurf vorlegen, der vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben kann und einerseits das Recht auf selbstbestimmten Tod ermöglicht, anderseits aber Missbrauch verhindert.