Vorsorgeuntersuchungen: Ihre Chance!

Männer gehen seltener zur Vorsorge als Frauen. Auch die Angst vor einer Diagnose spielt dabei eine Rolle.
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März 2020, ein neues Virus breitet sich in der Welt aus. Der Lockdown zwingt uns, in den eigenen vier Wänden zu bleiben, wir sollen den Kontakt zu anderen Menschen meiden. Aus Angst vor Corona meiden viele auch den Besuch in einer Arztpraxis – und vernachlässigen ihre Gesundheitsvorsorge. Um mehr als acht Millionen bricht im ersten Corona-Jahr die Zahl der Krebs-Früherkennungsuntersuchungen ein, so der Barmer Arztreport 2022.
Das ist doch fast drei Jahre her, das wird sich schon wieder geändert haben, könnte man denken. Doch so ist es leider nicht. „Die Deutschen sind teilweise Vorsorge-Muffel“, sagt Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Bereiches Medizin im AOK-Bundesverband. So haben auch im zweiten Pandemiejahr 2021 weniger Menschen Untersuchungen zur Krebs-Früherkennung wahrgenommen.
Früherkennung für bessere Heilungschancen
Und dieser Trend setzte sich in der Omikron-Welle Anfang 2022 fort, wie eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) zeigt. Nur ein Beispiel: Das Hautkrebs-Screening haben in den ersten Monaten 2022 fast 20 Prozent weniger Patientinnen und Patienten in Anspruch genommen als im gleichen Zeitraum 2019.
„Das Ziel von Früherkennung ist, eine schwere Erkrankung so frühzeitig zu erkennen, dass sie noch keine Symptome macht und die Heilungschancen möglichst hoch sind“, sagt Dr. Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Beim Hautkrebs zeigten sich bereits erste Auswirkungen der hinausgezögerten Termine. So seien sowohl bei niedergelassenen Dermatologinnen und Dermatologen als auch in Kliniken „im Jahr 2020 im Schnitt deutlich dickere Melanome als noch im Jahr 2019“ festgestellt worden, berichtete Dermatologe Dr. Peter Mohr beim Hautkrebskongress im September 2021.
Auch Susanne Weg-Remers macht sich Sorgen: „Erste Daten aus dem Saarland weisen darauf hin, dass im Pandemiejahr 2020 weniger Darmkrebsdiagnosen gestellt wurden. Daher ist zu befürchten, dass in den kommenden Jahren vermehrt Darmkrebserkrankungen in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden.“ Das sind erste Forschungsergebnisse.
Kassen übernehmen einige Untersuchungen
Insgesamt werde sich erst noch zeigen, ob Tumorarten, für die es funktionierende Früherkennungsuntersuchungen gibt, pandemiebedingt später festgestellt wurden. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Checks auf Darm-, Brust-, Gebärmutterhals-, Prostata- und Hautkrebs. Ob mehr Menschen an diesen Krebsarten versterben als vor der Pandemie, werde man in den Todesstatistiken erst noch sehen.
Warum die Menschen Früherkennungsangebote für Krebs nicht so stark in Anspruch nehmen, wie sie eigentlich könnten, beschäftigt Ärztinnen, Ärzte und Krankenkassen seit Langem. „Es gab schon vor der Pandemie Luft nach oben“, sagt AOK-Mediziner Schillinger. Schon vor 2020 war nur die Hälfte aller 65-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren bei der Darmspiegelung. Nur knapp ein Drittel der Männer zwischen 54 und 70 ließen die Prostata checken. Besser sah es bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs aus. Über 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 ließen sich den Empfehlungen entsprechend untersuchen, so eine Datenerhebung der AOK.
Frauen gehen eher zur Vorsorge
„Männer sind besonders vorsorgefaul“, bestätigt auch Dr. Ursula Marschall von der Barmer: „Frauen gehen zur Durchsicht, Männer zur Reparatur. Sie suchen oft erst eine Arztpraxis auf, wenn Schmerzen oder Beschwerden gar nicht mehr zu leugnen sind.“ Dabei halten insgesamt 83 Prozent der Menschen Krebsvorsorge für ein wichtiges Thema, so das Ergebnis einer großen Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK im September 2021. Doch auch hier zeigte sich: Besonders bei Männern unter 45 Jahren sieht es etwas anders aus. 30 Prozent von ihnen finden das Thema nicht so wichtig.
So überrascht es nicht, dass 78 Prozent der Frauen über sich sagen, dass sie regelmäßig oder eher regelmäßig zur Vorsorge gehen, das aber nur 54 Prozent der Männer angeben. „Die Teilnahme steigt mit dem Alter, und wir sehen auch, dass sozial benachteiligte, bildungsferne Gruppen die Früherkennung weniger in Anspruch nehmen“, sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
Die Frauen profitieren von der Früherkennung. Eine Erfolgsgeschichte sind die Früherkennungsuntersuchungen von Gebärmutterhalskrebs. 1971 war diese Krebsart mit 16 000 Neuerkrankungen pro Jahr noch der häufigste bösartige Tumor von jungen Frauen. Die Neuerkrankungsrate konnte inzwischen auf 4300 und damit fast auf ein Viertel reduziert werden. Im Rahmen der Früherkennung können viele Krebs-Vorstufen erkannt und entfernt werden.
Vernachlässigte Vorsorge aus Angst vor Diagnosen
Ähnlich gut funktioniert die Darmkrebs-Früherkennung. 180 000 Dickdarmkarzinome konnten in den ersten zehn Jahren nach Einführung der Untersuchung 2002 durch eine Darmspiegelung verhindert werden, so eine Auswertung des Krebsforschungszentrums. „Das entspricht einem Befund je 28 Untersuchungen“, erläutert Klauber.
Er befürchtet, dass die Pandemie beim Darmkrebs noch negative Folgen zeigen wird. „Die Darmspiegelungen sind in den vergangenen zwei Jahren auch stationär in einem Umfang eingebrochen, der wirklich gewaltig ist.“ Gleichzeitig war zu beobachten, dass viel weniger Darmkrebs-Operationen durchgeführt wurden. „Anteilig mehr schwere Fälle kamen dabei ins Krankenhaus, die leichteren, die noch keine Beschwerden haben, sind dort vermutlich noch nicht aufgeschlagen.“
Mit Angst bringt man die Menschen aber auch nicht zur Vorsorge. Darin sind sich alle Expertinnen und Experten einig. So gaben bei einer AOK-Umfrage 43,5 Prozent der befragten Versicherten an, Angst zu haben, dass bei einer Früherkennung tatsächlich Krebs entdeckt wird. Es komme selten auch zu Überdiagnosen, sagt Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst: „Man diagnostiziert Tumore, die zu Lebzeiten vielleicht nie Probleme gemacht hätten.“ Denn es kommt auch darauf an, ob es sich um eine schnell wachsende Tumorart handelt und wie wirksam die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten sind.
Zudem könne es mal zu einem falschen Alarm kommen, einem Befund, der weiter abgeklärt werden muss und der sich am Ende doch als harmlos herausstellt. Was nutzt, was schadet? „Um das für sich selbst entscheiden zu können, sollte man sich gut informieren“, sagt Weg-Remers. Die Früherkennungsuntersuchungen laufen ganz unterschiedlich ab. Es wird Blut abgenommen, abgetastet, bei der Mammographie der Brust sind Röntgenstrahlen im Spiel, eine Darmspiegelung erfolgt unter Gabe von Beruhigungsmitteln oder unter einer Kurznarkose. Wer sich Sorgen wegen Nebenwirkungen der Narkose oder Röntgenstrahlen macht, sollte vor der Untersuchung die behandelnde Ärztin oder den Arzt fragen.
Tatsächlich gibt es Untersuchungen, deren Nutzen infrage steht. Die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke etwa verbessere nicht die Heilungschancen eines entdeckten Tumors, so die Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das aus Mitteln der Mitgliederbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert wird. Umstritten ist auch der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs. Dabei wird die Menge an „Prostata-spezifischem Antigen“ im Blut bestimmt. Ein erhöhter Wert kann auf einen Tumor hindeuten. Den Test müssen Männer selbst zahlen, die gesetzlichen Kassen übernehmen ihn nicht.
Welche Vorsorge ist für mich sinnvoll?
Wie entscheidet man also, was für einen sinnvoll ist? Bei den Früherkennungsprogrammen zu Darmkrebs, Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs, die von der Krankenkasse bezahlt werden, sei der Nutzen wissenschaftlich gut geprüft, sagt Weg-Remers. Die Nebeneffekte der Untersuchungen sind gering, die Krebsarten werden zuverlässig entdeckt und es gibt für die Tumore im wenig fortgeschrittenen Stadium nachweislich wirksame Behandlungsmöglichkeiten. „Man sollte diese Angebote in Anspruch nehmen, wenn man sein persönliches Risiko, an Krebs zu versterben, senken möchte.“
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Quellen:
- Robert Koch-Institut: Impfempfehlungen der Stiko, Aktuell empfohlene Impfungen und Impfkalender. https://www.rki.de/... (Abgerufen am 13.12.2022)
- MedTriX GmbH: Hautkrebspatienten profitieren von neuen dermato-onkologischen Strategien, Verbesserte Prognosemöglichkeiten und Therapieinnovationen. Journal Onkologie: https://www.journalonko.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Dr. Gerhard Schillinger: Regelmäßige Inanspruchnahme von Krebs-Früherkennung: „Luft nach oben“. Wissenschaftliches Institut der AOK: https://www.aok-bv.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- WIdO: Versorgungs-Report Früherkennung, Caroline Schmuker, Ghassan Beydoun und Christian Günster. Wissenschaftliches Institut der AOK: https://www.wido.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Kai Behrens: Viel „Luft nach oben “ bei der Krebs-Früherkennung. Wissenschaftliches Institut der AOK: https://www.aok-bv.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- A. Starker ; A.-C. Saß: Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Springer-Verlag Berlin Heidelberg: https://edoc.rki.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- AOK-Bundesverband GbR: Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden. AOK: https://www.aok-bv.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Bundesministerium für Gesundheit: Verbesserte Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs seit Januar 2020 . Online: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Journal Onkologie: Rückgang der Krebsfrüherkennung und Nachsorge durch Pandemie. MedTriX GmbH: https://www.journalonko.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- AOK: Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden., Hintergrundinformation Krebsvorsorge. AOK-Bundesverband GbR: https://www.aok-bv.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Felix Burda Stiftung: 180.000 Darmkrebsfälle verhindert. darmkrebs.de: https://www.darmkrebs.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Eierstockzysten (Ovarialzysten). gesundheitsinformationen.de : https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- IGeL Monitor: Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung. igel-monitor: https://www.igel-monitor.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Thomas G. Grobe, Anna Braun, Joachim Szecsenyi et. al. : BARMER Arztreport 2022, Coronapandemie – Auswirkungen auf Gesundheit und Versorgung. BARMER : https://www.barmer.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung: Der Check-Up für Erwachsene. Online: www.kbv.de (Abgerufen am 20.12.2022)
- Technische Universität München: Lehre & Qualitätsmanagement. Online: https://www.tum.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Neuhauser H, Sarganas G , Robert Koch-Institut: Hoher Blutdruck: Ein Thema für alle, Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)
- Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL® Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention: Bluthochdruck in Zahlen. Online: https://www.hochdruckliga.de/... (Abgerufen am 20.12.2022)