Baby und Familie

Wegen der Corona-Pandemie kommt der Grippeschutzimpfung in diesem Jahr eine ganz besondere Bedeutung zu. Denn: Die Symptome von Grippe und Covid-19 ähneln sich stark. Mit einer Impfung ließen sich wahrscheinlich schwerere Grippefälle reduzieren. In der Folge wären Ambulanzen und Kliniken weniger durch Influenza-Patienten belastet. Zudem sind die Risikogruppen, die mit einem schweren Krankheitsverlauf rechnen müssen, bei Influenza und Covid-19 ähnlich. Würden sie zeitgleich an Grippe und Covid-19 erkranken, kann das laut Einschätzung von Experten fatale Folgen haben.

Jedes Krankenhausbett könnte zählen

Zwar gehören Kleinkinder nach jetzigem Wissenstand nicht zu den Risikogruppen, aber sie spielen eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des Influenza-Virus. "Eine zu erwartende hohe Zahl an Arztbesuchen oder sogar Aufenthalten im Krankenhaus durch Kinder können zu einer Überforderung unseres Gesundheitssystems führen", befürchtet Prof. Dr. Johannes Hübner von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Durch eine Immunisierung und die bestmögliche Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen könnte die Grippe-Saison dagegen deutlich harmloser verlaufen und schneller zu Ende gehen, wie es auch in diesem Frühjahr der Fall war, vermutet Hübner. Sind Kinder gegen Grippe geimpft, könnten Eltern bei Symptomen wie Fieber und Husten schneller auf einen Test auf SARS-CoV-2 drängen, weil dann die Infektion mit Corona wahrscheinlicher wäre. Beide Erkrankungen nur anhand der Symptome zu unterscheiden, ist dagegen sehr schwer.

Aus diesem Grund sprechen sich verschiedene Kinder- und Jugendärzte sowie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) dafür aus, alle Kinder gegen Grippe impfen zu lassen – andere Experten aber auch dagegen. Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen wolle, könne das tun, rief Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Grippe-Präventionsmaßnahme auf. Im Allgemeinen müssen die Kosten, die etwa zwischen 25 und 30 Euro liegen, laut Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) aber privat von den Eltern bezahlt werden. Eine vorherige Frage bei der Krankenkasse lohnt sich dennoch, denn einige Kassen unterstützen die Forderungen, indem sie bezahlen.

Prof. Dr. Johannes Hübner ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie

Prof. Dr. Johannes Hübner ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie

Auch Kinder können an Grippe erkranken

Hübner sieht weitere Vorteile, wenn mehr Kinder geimpft würden: "Erstens versprechen wir uns einen Individualeffekt. Denn im Gegensatz zu Corona, wo Kinder im Normalfall kaum oder nur wenig erkranken, sieht es bei Influenza anders aus. In der letzten Grippe-Saison mussten 43.000 Kinder zwischen null und 14 Jahren ins Krankenhaus. Der Krankheitsverlauf ist auch bei den Kleinen nicht voraussehbar. Er kann von milde bis sehr schwer verlaufen. Einige mussten beatmet werden, neun starben." Der Großteil der Zahlen, darauf weist auch das RKI hin, beruht aber auf Schätzungen, da nur labordiagnostisch erfasste Infektionen und Todesfälle meldepflichtig sind und erfasst werden. In der Influenza-Saison 2018/19 waren die Null- bis Vierjährigen laut Robert Koch-Institut (RKI)  mit etwa 440.000 Fällen wahrscheinlich sogar am stärksten betroffen. So viele Besuche beim Kinderarzt gingen auf Grippe-Erkrankungen zurück.

Warum besonders Kinder bis zum vierten Lebensjahr erkranken, hat laut Hübner epidemiologische Gründe: "Viele Kinder besuchen Kitas. In diesem Alter spielen sie noch sehr nah zusammen und können sich kaum an die Abstands- und Hygieneregeln halten", erklärt Hübner, der als Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität arbeitet.

Die Empfehlung der STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) bleibt bei ihrer bisherigen Empfehlung, weiterhin nur Risikogruppen wie Kinder mit bestimmten Grunderkrankungen impfen zu lassen.
Dazu zählen:

  • chronische Krankheiten der Atmungsorgane,
  • Herz- oder Kreislauferkrankungen,
  • Leber- oder Nierenkrankheiten,
  • Diabetes oder andere Stoffwechselkrankheiten,
  • chronische neurologische Krankheiten wie multiple Sklerose,
  • angeborene oder später erworbene Störungen des Immunsystems, wie zum Beispiel eine HIV-Infektion.

Bereits Säuglinge ab dem sechsten Lebensmonat können geimpft werden. Gehören Kinder nach Einschätzung des Kinderarztes zu den Risikogruppen, übernimmt die Krankenkasse die Impfkosten. Säuglinge und Kleinkinder bis zu 36 Monate erhalten in der Regel die halbe Erwachsenendosis eines sogenannten Totimpfstoffes, also eines inaktivierten Impfstoffes. Bis zum neunten Lebensjahr und ohne vorherige Grippeimpfung bekommen die Kinder den Piks zur Grundimmunisierung häufig zweimal im Abstand von vier Wochen. Alternativ gibt es auch für Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 17 Jahren einen Lebend-Impfstoff, der als Nasenspray verabreicht wird. Etwa wenn Kinder große Angst vor Spritzen haben. Bei bestimmten Erkrankungen wie schwerem Asthma, sollte der nasale Impfstoff dagegen nicht verwendet werden.

Prof. Dr. Bernd Salzberger ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI)

Prof. Dr. Bernd Salzberger ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI)

Ältere über Jüngere schützen

Hübners Annahme: Wären viele Kinder gegen Grippe geimpft, ließen sich auch Eltern und Großeltern besser schützen. "Studien zeigen, dass in Ländern mit einer hohen Kinder-Impfquote, weniger Erwachsene an Grippe sterben", so Kinder- und Jugendarzt Hübner. Prof. Dr. Bernd Salzberger von der DGI pflichtet bei: "Kinder gegen Grippe zu impfen, bedeutet alle vor der Grippe zu schützen."

Das sieht Prof. Dr. Thomas Mertens, Leiter der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut anders: "Wir beschäftigen uns seit langem mit der Frage einer allgemeinen Impfempfehlung für Kinder. Vor allem wegen der Hypothese, dass damit der Gemeinschaftsschutz erhöht werden könnte. Dieser Ansatz ist alt und derzeit nicht durch Daten ausreichend bewiesen. Bevor man aber eine so eingreifende Impfempfehlung ausspricht – alle Kinder zu impfen, ist ja keine kleine Sache – muss man sicher sein, dass der gewünschte Effekt auch eintritt."

Zudem können sich ältere Risikogruppen selbst gegen Grippe impfen lassen. Die STIKO empfiehlt die jährliche Influenza-Impfung für alle Personen ab 60 Jahren, sofern keine individuellen medizinischen Gründe dagegensprechen.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Nebenwirkungen oder gar Impfschäden müssen Eltern nicht besonders fürchten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das RKI weisen darauf hin, dass die Grippeimpfung gut verträglich sei. Beim Tot-Impfstoff könne es in seltenen Fällen zu einer Schwellung oder Rötung an der Einstichstelle kommen, auch zu Impfreaktionen wie Müdigkeit, Frösteln oder Muskelschmerzen. Beim Lebend-Impfstoff zähle eine verstopfte oder laufende Nase zu den am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen. Dennoch sollten Eltern wissen, dass die Kosten für mögliche Impfschäden nur dann vom Bund übernommen werden, wenn eine Impfung von der STIKO empfohlen wird.

Dr. Thomas Fischbach ist Präsident des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte e.V.

Dr. Thomas Fischbach ist Präsident des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte e.V.

Reicht der Impfstoff?

Auch Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Bundesvorstandes des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte befürwortet grundsätzlich eine Influenzaimpfung für alle Kinder. Dennoch hat er Bedenken: "Für die Umsetzung in 2020 sehe ich es als unmöglich an alle Kinder zu impfen, unter anderem angesichts der Impfstoffkapazitäten." Denn für alle Menschen in Deutschland wird der Impfstoff nicht reichen – nicht einmal für die etwa 37 Millionen Risikopatienten, die es laut RKI in Deutschland gibt.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als deutsches Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel hat inzwischen rund 14 Millionen Influenza-Impfstoff-Dosen freigegeben. Weitere werden folgen. Prof. Dr. Salzberger: "Angesichts der allgemeinen und bedauerlichen Impfmüdigkeit in Deutschland habe ich keine Angst, dass die Menge nicht reichen könnte, selbst wenn jetzt auch viele gesunde Kinder geimpft würden." Zudem könne für gesunde Kinder ab zwei Jahren vor allem der Nasenspray-Impfstoff verwendet werden, ergänzt Hübner, denn dieser sei ausschließlich für Kinder und Jugendliche zugelassen und gehe im Zweifel nicht zu Lasten von Risikogruppen.

Fazit: Wer zu einer Risikogruppe gehört, sollte sich möglichst bald um einen Termin für die Influenza-Impfung kümmern. Zum einen, um sich frühzeitig zu schützen. Zum anderen, um auf jeden Fall eine Dosis Impfstoff zu erhalten. Bei allen anderen Kindern und Erwachsenen kann individuell entschieden werden.