Paare: Wie die Lust zurückkehrt
Die kleine blaue Pille für den Mann hat viel verändert, seit sie 1998 auf den Markt kam. Nicht nur im Bett – auch in den Sprechzimmern der Ärzte. "Früher hat kaum ein Mann von sich aus über Erektionsstörungen geredet", sagt Dr. Frank Merfort, Diabetologe in Grevenbroich. "Heute scheuen sich Männer nicht, den Arzt selbst anzusprechen, wenn es mit dem Sex nicht mehr klappt – auch weil sie wissen, dass es diese Tabletten gibt."
Über Sex reden fällt heute leichter – beim Arzt
Den Arzt bei Problemen mit dem Sex um Rat zu fragen fällt auch Frauen heutzutage leichter, bestätigt Marlene Schmidt, Frauenärztin in Müllheim. Inzwischen bieten viele Ärzte sogar sexualmedizinische Sprechstunden und Therapien an.
Dafür bleibt die Kommunikation meist da aus, wo sie am wichtigsten wäre: in der Partnerschaft. "Viele Paare scheuen sich, Probleme im Bett offen miteinander zu besprechen", sagt Frank Merfort. Ganz gleich, ob es dabei um Potenzprobleme, Lustlosigkeit oder einfach nur um unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse geht.
Kommunikationsprobleme bei Paaren
In die Lust- und Sprachlosigkeit stolpern Liebende dabei aus unterschiedlichsten Gründen. Ein typischer Fall: Ein Mann leidet unter Erektionsproblemen. Weil er sich schämt, vermeidet er intime Kontakte. Und seine Frau? Die befürchtet nun, ihr Mann fände sie nicht mehr attraktiv. Beide schweigen, im Bett herrscht Flaute. Ein anderes Beispiel: Eine Frau leidet, wie viele andere, nach den Wechseljahren häufig unter Scheidentrockenheit. Kein Wunder, dass Sex dann keinen großen Spaß mehr macht. Weil sie nicht darüber spricht, fühlt ihr Partner sich wenig begehrt.
Hinter sexuellen Störungen stecken oft körperliche Ursachen, die sich mit medizinischer Hilfe bessern lassen: Dazu gehören etwa diabetesbedingte Gefäß- und Nervenschäden oder, im Falle der Scheidentrockenheit, ein Rückgang der Hormone. Manchmal können Sexualstörungen auch Nebenwirkungen bestimmter Medikamente sein. Wer glaubt, dass das bei ihm der Fall ist – etwa weil Potenzstörungen kurz nach der ersten Einnahme eines neuen Wirkstoffs auftreten –, sollte seinen Arzt fragen, die Tabletten aber keinesfalls von sich aus absetzen.
Was passiert beim Sex im Körper?
Ein Blick, eine Berührung – und das Gehirn zündet ein wahres Feuerwerk an Hormonen und Botenstoffen. Adrenalin beschleunigt unseren Herzschlag. Puls und Blutdruck steigen, wir atmen schneller. Die Durchblutung nimmt zu, besonders im Genitalbereich. Bis zum Höhepunkt. Dann kehrt der Körper wieder in den "Normalzustand" zurück.
In jedem Fall hilft: darüber sprechen, mit dem Partner und mit dem Arzt. "Oft redet ein Paar in der Arztpraxis erstmals seit Monaten über Sex miteinander", sagt Merfort. "So ein Gespräch zu dritt ist schon fast eine Therapie." Auch wenn die Flaute im Bett seelische Hintergründe hat, hilft es, sich an Experten zu wenden. So können etwa Probleme mit sexuellen Erfahrungen in der Vergangenheit, eine Depression oder Konflikte mit dem Liebsten hinter sexuellen Problemen stecken.
Der Hausarzt, die Frauenärztin, der Urologe oder der Diabetologe sind für das Paar die richtigen Ansprechpartner oder wissen, an wen es sich wenden kann. Zum Beispiel an einen Sexualtherapeuten. Bei ihm lernen Paare, Schamgefühle abzubauen, offener über ihre sexuellen Wünsche zu reden und sich, zum Beispiel durch zärtliches Streicheln in entspannter Atmosphäre, wieder näherzukommen.
"Häufig wirkt der Alltagsstress als Lustkiller", weiß Frauenärztin Marlene Schmidt. Betroffenen Paaren rät sie dann, sich einen Abend in der Woche zu reservieren, den sie nur zu zweit verbringen. Ohne Fernseher oder Handy. Oder mal für eine Nacht ein Hotelzimmer zu buchen. Belasten Konflikte die Sexualität, empfiehlt Schmidt eine Paartherapie bei einem Sexual- oder Psychotherapeuten.
Wieder Lust auf Sex
Von Luststörungen sprechen Experten, wenn das sexuelle Verlangen zurückgeht. Das kann viele Gründe haben. Bei Frauen liegt es oft an den Wechseljahren: Die Bildung von Geschlechtshormonen lässt dann allmählich nach. Helfen kann ein Gespräch mit dem Arzt und vor allem mit dem Partner. Wenn nötig, in einer Sexualtherapie. Aber auch Diabetes oder Depressionen, die bei Diabetikern häufiger auftreten, können die Lust mindern. Wichtig ist, dass beide Krankheiten optimal behandelt werden. Eine gute Blutzuckereinstellung und, bei Depressionen, eine Psychotherapie, die eventuell den Partner mit einbezieht, können das Lustempfinden positiv beeinflussen.
Wenig hält Marlene Schmidt von einer neuen "Lustpille" für Frauen, die es seit August 2015 in den USA gibt. Das Medikament, ursprünglich gegen Depressionen entwickelt, konnte in Studien das sexuelle Verlangen steigern. Wegen möglicher starker Nebenwirkungen, zum Beispiel plötzlicher Blutdruckabfall, ist es jedoch umstritten und darf nur eingeschränkt verschrieben werden. "Zudem hat Lustlosigkeit oft eher psychologische Gründe", sagt Schmidt. "Da wirkt diese Tablette nicht." Die Zulassung in Europa ist derzeit noch nicht beantragt.
Was bei Scheidentrockenheit hilft
Scheidentrockenheit ist eine häufige Begleiterscheinung der Wechseljahre und erklärt sich ebenfalls aus dem natürlichen Rückgang der Hormonproduktion. Typische Symptome: Juckreiz, Brennen oder auch Schmerzen beim Sex. Helfen können Hormonpräparate in Form von Zäpfchen oder Cremes, die der Arzt verschreibt. Auch Diabetes kann eine Rolle spielen. Denn hohe Zuckerwerte beeinträchtigen auf Dauer die Durchblutung der Schleimhaut. "Die Scheide muss aber gut durchblutet sein, damit sie beim Geschlechtsverkehr feuchter wird", erklärt Expertin Schmidt. Abhilfe schaffen Gleitmittel aus der Apotheke – und Geduld. Schmidts Tipp: Beim Sex mehr Zeit lassen!
Sex ohne Schmerzen
Auch Pilzinfektionen können schuld sein, wenn Geschlechtsverkehr wehtut. Bei Diabetes kommen sie häufiger vor. Vermehrter Ausfluss, Jucken und Brennen der Scheide sind mögliche Symptome. Den Pilz kann der Arzt in einem Abstrich der Schleimhaut unter dem Mikroskop erkennen. Mithilfe von Medikamenten klingt die Infektion rasch ab.
Hinter Schmerzen beim Sex können auch seelische Gründe liegen, wenn es zum Beispiel in der Beziehung ernsthaft kriselt oder eine Frau Missbrauchserfahrungen gemacht hat. Eine Sexual- oder Psychotherapie hilft, diese Gründe aufzudecken. Dafür können beispielsweise der Hausarzt oder die Frauenärztin einen geeigneten Therapeuten vermitteln.
Unterzucker beim Sex?
Normale sexuelle Aktivität ist keine sportliche Höchstleistung und dauert auch nicht stundenlang. Beim Sex in den Unterzucker zu rutschen ist daher sehr unwahrscheinlich. "Das könnte allenfalls passieren, wenn man eine beginnende Unterzuckerung hat und sie nicht bemerkt", sagt Diabetologe Merfort. Die Anstrengung beim Sex werde aber häufig überbewertet.
Lustvoll zum Höhepunkt
"Orgasmus-Störung" heißt: Frauen erreichen beim Sex erst nach längerer Zeit einen Höhepunkt – oder gar nicht. "Bei jüngeren Frauen liegt das oft daran, dass sie ihren Körper zu wenig kennen", sagt Frauenärztin Schmidt. "Sie haben sich noch nie selbst befriedigt, weil das in ihrer Erziehung oder ihrem Glauben tabuisiert wurde. Diese Frauen brauchen Informationen und die Ermutigung, sich mehr mit ihrem Körper zu beschäftigen." Bei älteren Frauen können die Wechseljahre und der Diabetes den Orgasmus verzögern. Auch hier gilt: Frauen benötigen oft einfach mehr Zeit für guten Sex – und eine entspannte Atmosphäre.
Potenzprobleme: Oft stecken Krankheiten dahinter
Erektionsstörungen haben in vier von fünf Fällen körperliche Ursachen: in erster Linie Gefäßverkalkungen und Diabetes. Durchblutungsstörungen und diabetesgeschädigte Nerven verhindern, dass sich die Schwellkörper des Penis mit Blut füllen. Abhilfe schaffen meist die sogenannten PDE-5-Hemmer. "Bis zu 80 Prozent der Männer mit Diabetes lassen sich damit erfolgreich behandeln", sagt Diabetologe Frank Merfort. Die volle Wirkung der Tabletten entfaltet sich übrigens erst nach sechs- bis achtmaliger Einnahme, da die Schwellkörper ein gewisses "Training" brauchen, bis sie sich wieder ausreichend dehnen können.
Wichtig: Erektionsprobleme weisen häufig auf verengte Gefäße auch anderswo im Körper hin, zum Beispiel am Herzen – ein Warnzeichen, das man unbedingt ernst nehmen sollte. Und: Für Männer mit verengten Herzkranzgefäßen sind PDE-5-Hemmer möglicherweise nicht geeignet; das muss der Arzt entscheiden.
Hilfsmittel bei Erektionsstörungen
Männer, die PDE-5-Hemmer nicht einnehmen dürfen oder bei denen sie nicht wirken, können ihre Erektionsfähigkeit auf andere Weise verbessern. Eine Lösung ist die Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT). Dazu spritzt sich der Mann eine gefäßerweiternde Substanz in den Schwellkörper. Ein Piks, so Diabetologe Merfort, der genauso wenig wehtut wie der Einstich mit einem Insulinpen am Bauch. Die Spritze gibt man sich etwa zehn Minuten vor dem Sex, ohne dass es die Partnerin sehen muss.
Eine weitere Möglichkeit ist die Vakuumpumpe: Ein Kunststoffzylinder wird über den Penis gestülpt. Mithilfe einer kleinen Pumpe erzeugt man im Zylinder Unterdruck, sodass Blut in die Schwellkörper fließt. Damit die Erektion bestehen bleibt, wird ein Stauring auf den Penis gestreift. Eine Prozedur, die sich nicht vor der Partnerin verbergen lässt. Deshalb ist die Vakuumpumpe eher etwas für Paare, die sich lange und gut kennen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen einen Großteil der Kosten für die Vakuumpumpe, SKAT und Tabletten muss man selbst bezahlen.
Nicht mehr zu früh kommen
Von vorzeitigem Samenerguss sprechen Ärzte, wenn der Mann ungewollt schon nach 20 bis 30 Sekunden zum Orgasmus kommt. Dahinter steckt wahrscheinlich eine Störung im Zusammenspiel der Gehirnbotenstoffe. Betroffen sind vor allem jüngere Männer. "Hier kann der Arzt ein Medikament verschreiben, das auf diese Botenstoffe wirkt und die Zeit bis zum Erguss auf etwa zwei Minuten verlängert", sagt Experte Merfort. Die Nachteile: Spontaner Sex ist nicht mehr möglich, weil man das Medikament einige Stunden vorher einnehmen muss – und es hat Nebenwirkungen. Alternativ kann das Paar in einer Sexualtherapie Techniken erlernen, die den Samenerguss verzögern.
Samenerguss in die Blase
Bei manchen Männern entleert sich der Samen beim Orgasmus in die falsche Richtung: in die Blase. Häufigste Ursache ist die Operation einer vergrößerten Prostata. Verantwortlich können unter anderem aber auch diabetesbedingte Nervenschäden sein. Ein Problem ist der fehlgeleitete Samen nur, wenn Paare sich ein Kind wünschen. In diesem Fall lässt sich Sperma aus dem Urin gewinnen und in die Gebärmutter der Partnerin übertragen. Auf sexuelle Lust, Erektion und Orgasmus hat der Samenerguss in die Blase keine Auswirkung.