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Wenn Jürgen Larisch durch seine Heimat fährt, sieht er vor allem Einsatzorte. „Hier links hat es gestern gebrannt“, sagt er und zeigt auf ein rötliches Haus im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Schwarz umrandete Löcher im Dach zeugen noch davon. „Hund und Katze des Ehepaars gehen noch ab. Vielleicht sind sie vor den Flammen abgehauen – aber ehrlich gesagt fürchte ich, dass sie sich verkrochen haben“, sagt der Feuerwehrmann und deutet damit an, dass sie verbrannt sein könnten.

Viele Einsätze prägen die Helfer

Seit mehr als 30 Jahren ist der 65-Jährige immer dann im Einsatz, wenn Menschen um ihr Hab und Gut oder gar um ihr Leben bangen. Hauptberuflich im öffentlichen Dienst tätig und seit Kurzem in Rente, packte er ehrenamtlich schon unzählige Male mit an. In seinen Erzählungen schwingt mit, wie gern er Menschen hilft – und was er schon alles gesehen hat. „Hier sind viele schwere Unfälle passiert“, erzählt Larisch, während er seinen Kommandowagen über die Bundesstraße in Richtung Bitburg lenkt. „Lkw gegen Lkw, Pkw gegen Lkw.“

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Es ist, als gäbe es nicht nur eine rosarote Brille, sondern auch eine Blaulicht-blaue. Nach und nach färbt sie den Blick ein, durch all das Brände-Löschen, Autos-Aufschneiden, Unfallstellen-Sichern. Viele der etwa 1,4 Millionen Ehrenamtlichen aus Feuerwehr, Sanitätsdienst, Bergwacht, Wasserrettung und THW dürften diese Brille bisweilen tragen. Und manche Einsätze brennen sich besonders in die Seele. Einen davon hat Jürgen Larisch mit Mitte 30 erlebt.

Hohe Belastung unter Ehrenamtlichen

Er war erst seit zwei Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr und mit Kollegen unterwegs zu einer Gefahrgutübung, als der Funkspruch kam: Stromunfall. Sie machten kehrt und fuhren zu einer Kläranlage neben einem Militärgelände. In der Dämmerung sahen sie einen Lkw-Kran.

Der Kranarm war in die Hochspannungsleitung geraten, einer der Arbeiter lag brennend auf den Fahrzeugstützen. Dieses Bild hat Larisch lange verfolgt. „Das wundert mich nicht“, sagt Prof. Dr. Tanja Michael. Die Psychotherapeutin von der Universität Saarland hat schon viele Rettungskräfte behandelt. Sie erforscht, was ihnen hilft, extremen Belastungen zu trotzen. „In dem Einsatz sind drei Faktoren enthalten, die die Verarbeitung schwierig machen können: das Ohnmachtsgefühl und die Todesangst.“ Und drittens: Neu im Rettungsdienst gingen Einsätze häufig noch besonders nahe. Gerade die Neulinge trauten sich aber oft nicht, darüber zu sprechen.

Bei der Feuerwehr galt lange, dass Heldinnen und Helden höchstens körperliche, keine seelischen Narben davontragen. Helden halten alles aus, das war auch lange die gesellschaftliche Annahme. „Und es stimmt auch, dass viele Einsatzkräfte eine hohe psychische Resilienz haben, also gute seelische Abwehrkräfte“, sagt Psychotherapeutin Michael. „Aber sie sind eben auch mehr Drama ausgesetzt als andere.“

20 % der Soldatinnen und Soldaten haben nach einem Einsatz psychische Leiden infolge der erlebten Gräuel. In Deutschland gibt es seit den 90er Jahren schätzungsweise 100.000 Betroffene

Das stille Leid nach dem Krieg

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Vor 26 Jahren rückte ein schweres Bahnunglück die Seele von Helfern und Helferinnen in den Fokus. Als am 3. Juni 1998 bei einem ICE-Unfall in Eschede 101 Menschen ihr Leben verloren, gerieten auch Rettungskräfte an ihre Grenzen. Selbst diejenigen, die schon viele Unglücke gesehen hatten, waren erschüttert, fühlten sich mit ihren Erlebnissen alleingelassen. Politik und Rettungsdienste reagierten und schufen eine psychosoziale Betreuung von Einsatzkräften.

Psychosoziale Notfallversorgung kümmert sich um Einsatzkräfte

Seither können sich Helfende an die Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E) wenden. Von psychosozialen Fachkräften geschulte Ehrenamtliche hören zu und geben Rat. „Dazu gehört, dass man sich in den ersten Tagen nach einem prägenden Einsatz nicht sorgen muss, wenn einem das Erlebte im Kopf herumspukt. Das ist eine normale Reaktion auf ein nicht normales Ereignis“, sagt Sandra Bergmann, die die PSNV für das Deutsche Rote Kreuz bundesweit koordiniert und in Freiburg in der psychosozialen Betreuung arbeitet.

Wenn allerdings Zeichen wie Schlaflosigkeit, sich aufdrängende Erinnerungen, ständige Gereiztheit oder Traurigkeit wochenlang anhalten, sollte man genauer hinsehen, rät Psychotherapeutin Tanja Michael. Ein anderes Warnzeichen sei, dass man sich permanent bedroht fühlt, wie abgeschnitten von seinen Mitmenschen. „Wenn der Gong oder der Piepser zum Einsatz ruft, ergibt diese Alarmbereitschaft Sinn, die Stresshormone helfen einem, schneller zu handeln als in Ruhe“, sagt Michael. Doch wenn der Körper dauerhaft im Martinshorn-Modus bleibt, spricht man von einer Traumafolgestörung.

Behandlungskosten bei PTBS könnten bald übernommen werden

Dass eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) durch Rettungseinsätze ausgelöst werden kann, hat im vergangenen Jahr auch das Bundessozialgericht in einem Urteil bestätigt. Eine PTBS kann demnach als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden und wird dann ähnlich behandelt, auch wenn sie derzeit nicht in der offiziellen Liste der Berufskrankheiten geführt ist. Geklagt hatte ein Rettungssanitäter, der 2009 beim Amoklauf in Winnenden vor Ort war.

Die Gerichtsentscheidung kann richtungsweisend sein für andere Urteile und macht Hoffnung für hauptamtlich wie auch ehrenamtlich Helfende. Für die Übernahme von Behandlungskosten muss die Diagnose in einem direkten Zusammenhang mit der Einsatztätigkeit stehen. Allerdings: „Bei psychischen Störungen ist die Ursache leider nicht immer so trennscharf abzugrenzen, wie wenn ein Feuerwehrmann von der Leiter stürzt und sich dabei verletzt“, so Bergmann.

Niemand sollte sich aber scheuen, Hilfe zu suchen. „Denn gerade zu Beginn sind Traumafolgestörungen oft innerhalb weniger Wochen heilbar“, sagt Michael. Unbehandelt können Verletzungen der Seele hingegen zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infekte verursachen.

Gefangen in den eigenen Erinnerungen

Jürgen Larisch wandte sich mit Mitte 30 an seinen Hausarzt. Immer hatte er den Brandgeruch von damals in der Nase, wenn er den Einsatzort des Stromunfalls passierte. Irritierend. Der Arzt riet ihm, den Ort wieder aufzusuchen und mehr über das Erlebte zu sprechen. Tatsächlich half ihm der Austausch mit Kollegen. „Kein Einziger reagierte komisch darauf.“ Es kostete ihn Überwindung, seine Sorgen anzusprechen – kaum einer tat das damals. „Zum Glück ist das heute anders“, sagt er. „Das liegt, denke ich, auch daran, dass heute mehr Frauen bei der Feuerwehr sind und die Kultur verändern.“

Marie Trappen ist eine davon. Als die quirlige 42-Jährige neben ihrer Arbeit im Marketing ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr in Müllheim in Baden-Württemberg anfing, waren sie und ihre Freundin die ersten weiblichen Mitglieder. Seit 15 Jahren ist sie nun dabei. Immer wenn sie umzog, ging sie gleich zur örtlichen Wehr. Das besondere Gemeinschaftsgefühl will sie nicht mehr missen, auch nicht das Helfen und die großen Fahrzeuge. Ihr letzter Umzug in die Wohnung direkt neben dem Feuerwehrgebäude in Kirchhain bei Marburg ist noch nicht lange her.

Ein Problem ist, dass wir keine gesetzliche Schweigepflicht haben. Die müsste dringend eingeführt werden. Deshalb trauen sich Einsatzkräfte nicht immer, mit uns über vermeintliche oder tatsächliche Fehler zu sprechen.

Auch Marie Trappen weiß, wie es sich anfühlt, wenn sich Erinnerungen ungefragt im Gehirn einnisten. Das Bahnunglück in Müllheim, mit seinem Geruch nach Eisen und Blut. Oder dieser schwere Autounfall auf der Landstraße. Das vordere Fahrzeug war leer. Alle dachten, die Fahrerin sei in der Aufregung weggelaufen, Trappen durchkämmte mit Kollegen das anliegende Feld, in der Erwartung, eine orientierungslose Verletzte zu finden. „Und dann erst fanden wir sie. Tot, unter ihrem eigenen Auto.“ Vermutlich war sie aus dem Wagen geschleudert worden. „Wir haben uns gefragt, ob wir ihr noch hätten helfen können, hätten wir sie früher gefunden.“

Solche Zweifel kratzen an der Seele, das weiß Sozialarbeiterin Sandra Bergmann. Und gerade hier stößt die Psychosoziale Notfallversorgung an ihre Grenzen. „Ein Problem ist, dass wir keine gesetzliche Schweigepflicht haben. Die müsste dringend eingeführt werden. Deshalb trauen sich Einsatzkräfte nicht immer, mit uns über vermeintliche oder tatsächliche Fehler zu sprechen.“

Hilfe nach dem Einsatz

Die Begleitung und Unterstützung von Ehrenamtlichen (PSNV-E) erfolgt durch speziell ausgebildete Fachkräfte. Meist wird das innerhalb der Einsatzorganisationen selbstständig geregelt.

Nach einem traumatischen Einsatz sollten sich Ehrenamtliche an die eigene Organisation wenden oder an den Unfallversicherungsträger des eigenen Bundeslandes. Dort erhalten sie in jedem Fall psychologische Hilfe.

Wird nach entsprechender Prüfung ein Arbeitsunfall anerkannt, übernimmt der Unfallversicherungsträger die Kosten für bestimmte Behandlungen und Rehamaßnahmen. Infos auf der Internetsseite der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Die eigene Seele schützen

Einmal einen großen Fehler zu machen, davor hat auch Dr. Thomas Ahne Respekt. Doch der 43-jährige Haus- und Notarzt aus Todtnau bei Freiburg scheint auch eine Art Schutzschicht um seine Seele zu haben. Wie Jürgen Larisch und Marie Trappen hat er schon viel erlebt. Er war gerade frisch ehrenamtlicher Rettungssanitäter, als Praktikant der dritte Mann am Einsatzort. Da rannte auf einmal ein Verwirrter mit einem Messer auf ihn zu. „Wahrscheinlich hat er mich ausgesucht, weil ich so dämlich mit offenem Mund dastand. Zum Glück hat ihn der Hundert-Kilo-Kollege gleich umgeschubst und ihm das Messer abgenommen.“ Prägend nennt Ahne solche Einsätze, nicht verstörend oder traumatisierend.

Was Thomas Ahne hilft, sind sein schwarzer Humor, seine Passion für die Notfallmedizin – und eine gewisse Demut: Er weiß, dass auch er nicht immer etwas tun kann. Gelernt hat er das in vielen Einsätzen in den vergangenen 25 Jahren als Rettungssanitäter, Rettungsassistent und Notarzt. Zum ersten Mal in seiner Sanitäterzeit, als sie zu einem Suizid gerufen wurden. Alle Angehörigen standen dabei. „Ich wollte unbedingt helfen. Aber manches kann man nicht besser machen, das muss man einfach nur aushalten“, sagt er. Dieses Aushalten wird schwerer, wenn zu viele oder zu schlimme Einsätze aufeinanderfolgen.

Nachbesprechungen könnten seelische Wunden therapieren

So wie man körperliche Verletzungen verarztet und schont, braucht auch die Seele Balsam. Das kann eine gemeinsame Nachbesprechung sein, ein Gespräch mit jemandem von der PSNV oder einer Therapeutin. Es kann aber auch ein Grillabend mit Freunden oder der Familie sein. Wichtig ist auch, sich schon während eines Einsatzes vom Geschehen abzugrenzen. Nur allzu leicht sieht man in einem verunglückten Mädchen die eigene Tochter oder denkt: Über diese Landstraße bin ich auch schon mit dem Rennrad gefahren. „Mit solchen Assoziationen gerät man schnell in einen falschen Film“, sagt Sandra Bergmann von der PSNV. Feuerwehrfrau Marie Trappen hört auf die Signale ihres Körpers: „Wenn ich merke, dass ich heute nicht gut genug drauf bin für den Angriffstrupp, bediene ich lieber als Maschinistin das Fahrzeug.“ All das beugt schwereren Verletzungen der Seele vor.


Quellen:

  • Deutscher Feuerwehrverband: Deutscher Feuerwehrverband Statistik, Anzahl der Mitglieder. online: https://www.feuerwehrverband.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • BGHW: Durchgangsarzt finden. Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik: https://www.bghw.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Versicherungsschutz im Ehrenamt. online: https://www.dguv.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Deutsches Rotes Kreuz: Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). online: https://www.drk.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: 25 Jahre Zugunglück Eschede. online: https://www.bbk.bund.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)