Schönheits-Operationen bei Senioren

Auch im Alter spielt das Aussehen für viele Menschen noch eine wichtige Rolle
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Marie Kolstad arbeitet in Vollzeit als Liegenschaftsverwalterin. Ihr Kalender ist randvoll mit Terminen für Sport- und Kulturaktivitäten und Treffen mit der Familie. Die Dame aus Orange County im US-Bundesstaat Kalifornien ist 83 Jahre alt. Sie hat 12 Enkel und 13 Urenkel – und eine gewisse Entschlossenheit, sich gegen manche Begleiterscheinung des Alters zu wehren. Vor ein paar Monaten legte sie sich beim Schönheitschirurgen unters Messer. Drei Stunden Operation, danach hatte Marie Kolstad eine deutlich angehobene, durch Implantate gestärkte Brust. "Körperlich bin ich in Topform, ich fühle mich fit. Warum sollte ich nicht von diesen Möglichkeiten profitieren?", fragte sie kürzlich in der Tageszeitung New York Times.
Die Datenlage deckt sich mit der Situation in Deutschland, wie die kürzlich von der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) veröffentlichten "Trends in der Schönheitschirurgie" belegen. Danach liegt das Patientendurchschnittsalter von Frauen wie Männern bei rund 39 Jahren. Männer sind mit 15 Prozent über alle Altersstufen deutlich unterrepräsentiert. 7,4 Prozent aller Patienten, die sich einem Schönheitschirurgen anvertrauen, sind über 60 Jahre alt.
Der Anteil der Älteren wird nach Ansicht der Experten in Zukunft deutlich wachsen. Denn nun kommen die Baby Boomers in die Jahre. Diese Gruppe der geburtenstarken Jahrgänge 1946 bis 1964 tut einiges, um sich ihre Jugendlichkeit zu bewahren, in Kleidung und Freizeit, Fitness und Aussehen. Kein Wunder, dass bei den Frauen ab 60 das Hals-Stirn-Facelift, die Lidstraffung und die Faltenunterspritzung die häufigsten Eingriffe sind, wie die DGÄPC-Studie ergab. Bei den älteren Männern sind Lidstraffung und Bauchdeckenstraffung am meisten nachgefragt. "Die Eingriffe verlagern sich Richtung Gesicht, wenn man älter wird", sagt Dr. Joachim Graf von Finckenstein, früherer langjähriger Präsident der DGÄPC. "Eine 35-Jährige hat ja auch keinen Grund, ein Facelift zu machen."
Botulinum-Behandlung mit 45, Facelift mit 65, Bruststraffung mit 85. Was geht noch? Und wie lange geht es gut? Sind die gesundheitlichen Risiken in höherem Alter nicht viel zu groß? "Da muss man stark differenzieren", sagt von Finckenstein. "Manche Menschen sind mit 80 noch äußerst vital, andere mit Mitte 60 gesundheitlich schon recht angeschlagen." Wichtig sei, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen Nutzen und Risiko eines chirurgischen Eingriffs gewahrt bleibe. "Ein solcher Eingriff geht immer mit einer körperlichen Belastung einher. Je aufwändiger der Eingriff, desto größer die Gefahr", sagt der Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie. Eine Fettabsaugung etwa sei kein Bagatell-Eingriff. Hinzu komme, dass sich bei älteren Patienten die Haut auf dem Bauch oder an den Oberschenkeln nicht mehr elastisch zurückzieht, wenn das Fett weg ist. Sie wird faltig und muss operativ gestrafft werden. "Der Arzt muss im Gespräch mit dem Patienten erörtern, auf welche Weise das beste und nachhaltigste Resultat erzielt werden kann."
Bei Korrekturen des alternden Gesichts – die bei Patienten ab 65 naturgemäß häufiger vorgenommen werden – ist die Wundfläche vergleichsweise klein. "Wenn, wie beispielsweise bei Schlupflidern, der Eingriff in Lokalanästhesie erfolgt kann, ist die Gesamtbelastung gering", sagt von Finckenstein. Anders ist es bei einer Brust-Operation, dennoch wagen offenbar auch viele ältere Frauen diesen Eingriff. "Fast immer besteht bei diesen Patientinnen der Wunsch, die schweren und hängenden Brüste verkleinern zu lassen. Die Betroffenen wollen sich endlich unbeschwert bewegen, und sie wollen endlich im Badeanzug an den Strand gehen, ohne sich zu schämen", berichtet von Finckenstein. Viele seiner Patientinnen hätten hinterher gefragt: "Warum habe ich es nicht schon viel eher gemacht?"
Vielleicht, weil sie glaubten, zu den Begleiterscheinungen des Altern stehen zu müssen, sich abzufinden mit dem Unausweichlichen, anstatt der Jugend hinterherzujagen? Oder auch, weil ein solcher Eingriff nicht medizinisch notwendig ist, im Gegensatz zu Operationen, bei denen es um die Wiederherstellung der Körperformen oder Funktionen etwa nach einem Unfall, einer Brandverletzung oder einer Krebstherapie geht.
Für ästhetische Operationen, die medizinisch nicht notwendig sind, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen keine Kosten. "Die meisten ästhetischen Operationen führen Fachärzte für plastische und ästhetische Chirurgie durch. Im Gesicht sind es Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren", sagt von Finckenstein. Sie sollten die Zusatzqualifikation "plastische Operationen" haben. Hautärzte kennen den Umgang mit dem Laser und können auch Hautfalten unterspritzen". Der Titel "Schönheitschirurg" ist nicht gesetzlich geschützt. Wie viele Schönheitsoperationen in Deutschland jedes Jahr erfolgen, lässt sich nicht genau ermitteln. Der frühere DGÄPC-Präsident schätzt die Zahl der Eingriffe auf insgesamt etwa 500.000 pro Jahr.
"Das gesundheitliche Risiko einer Schönheitsoperation ist bei älteren Patienten im Prinzip nicht größer als bei den jüngeren", betont von Finckenstein. Die Wundheilung dauere zwar länger, wenn man älter werde, "beim Facelift ist dies aber sogar von Vorteil. Die Narben verheilen meist unsichtbar". Eine Studie an der Cleveland Clinic, deren Ergebnisse in der Fachzeitschrift Plastic and Reconstructive Surgery zu lesen waren, bestätigt die Erfahrung des deutschen Experten. Demnach kommt es bei Patienten über 70 nicht häufiger zu Komplikationen als bei Patienten im Altersdurchschnitt 57,6. Bestehende Gesundheitsprobleme wie Herz- und Lungenkrankheiten, Diabetes und Bluthochdruck, aber auch Rauchen und die Einnahme bestimmter Medikamente, zum Beispiel blutgerinnungshemmende Mittel, seien jedoch Risikofaktoren, die vor einem Eingriff ausführlich besprochen werden müssten. "Nicht die Chronologie ist entscheidend, sondern die Physiologie", resümiert Studienleiter Dr. James Zins.
Der plastische Chirurg Dr. Daniel Man in Boca Raton/USA, empfängt zunehmend Patienten über 70 in seiner Praxis. "Diese Menschen sind gesund und wollen ein aktiver Teil der Gesellschaft sein." So wie seine Patientin Mary Graham, die mit ihren 77 Jahren an sieben Tagen in der Woche ein Restaurant führt. "Wenn ich überhaupt mal zum Arzt gehe, dann ist es der plastische Chirurg", witzelt sie. "Ich möchte so alt aussehen, wie ich mich fühle."
Das darf sie in Florida ungeniert sagen. In Deutschland ist man eher zurückhaltend. Und empfindet offenbar die größte Genugtuung, wenn niemand bemerkt, dass man einen Chirurgen an seine Haut ließ.
"Die meisten Frauen und Männer haben, wenn sie sich für ein Facelift oder eine Lidkorrektur entscheiden, weniger die Absicht, eine Verjüngungskur zu machen", sagt Finckenstein. "Sie wollen frischer und erholter aussehen."
Nur reden wollen sie nicht gern darüber. Selbst unter guten Freundinnen nicht. Und auch bei den Baby Boomers – die mit Traditionsbrüchen, Technologiewandel, sexueller Freizügigkeit, Pille und Potenzpille groß und älter geworden sind – ist das Thema tabu. Die 65-Jährigen seien da noch ein bisschen "gschamig", wie der Starnberger Chirurg von Finckenstein beobachtet hat.
Derartige Gefühle sind der Kalifornierin Marie Kolstad fremd "Meine Mutter ist sehr alt geworden, das werde ich sicherlich auch. Ich möchte, dass meine Kinder stolz auf mein Aussehen sind", bekennt sie.