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Einsamkeit kann das Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen erhöhen. Das ist bekannt. Aber nicht nur das: Durch Isolation und fehlendes Vertrauen anderen gegenüber, sind einsame Menschen häufig offener für extreme politische Sichtweisen. Warum das so ist, erläutert Dr. Janosch Schobin. Der Soziologe forscht am Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main zum Thema Vereinsamung als gesellschaftlichem Problem.

Herr Dr. Schobin, das Einsamkeitsbarometer 2024 zeigt, dass jeder Fünfte über 75 Jahren und ein Drittel der jüngeren Menschen zwischen 18 und 29 Jahren einsam ist. Ist jeder, der sich einsam fühlt, auch wirklich einsam?

Dr. Janosch Schobin ist Soziologe an der Universität Kassel. Er forscht am Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main.

Dr. Janosch Schobin ist Soziologe an der Universität Kassel. Er forscht am Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main.

Dr. Janosch Schobin: Einsamkeit ist schwer zu greifen. Es gibt ja keine objektiven Anzeichen, die anzeigen, dass sich ein Mensch wirklich einsam fühlt. Was man von außen sehen kann, das sind die Kontakte. Wenn jemand objektiv wenige Kontakte hat, dann sprechen wir von sozialer Isolation. Für die Empfindung des Einsamseins sind neben der Zahl der Kontakte aber vor allem die Beziehungsbedürfnisse eines Menschen relevant, die sehr individuell sein können. Früher ging man eher davon aus, dass Einsamkeitsgefühle sich einstellen, wenn eine Person einen großen Unterschied zwischen ihren Beziehungsbedürfnissen und den tatsächlichen Beziehungen bemerkt. Einsamkeit entstand, so gesehen, in einer inneren Abwägung über längere Zeit.

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Was gegen Einsamkeit hilft

Einsamkeit kann weh tun und krank machen. Das Thema rückt immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Politik. Was man darüber weiß – und dagegen tun kann. zum Artikel

Wie sieht die aktuelle Forschung die Einsamkeit?

Schobin: Heute wissen wir, dass Einsamkeitsempfindungen oft viel plötzlicher sind. Sie werden eher wie ein Schmerz verstanden, der sich einstellt, wenn man sich abgewiesen oder ausgeschlossen fühlt. Einsamkeit ist dann so etwas, wie eine Reaktion auf die akute Verletzung des sozialen Körpers der Person. Man vermutet, dass sich dieses Gefühl mit der Zeit verselbständigen kann. Die Empfindung wird dann immer unabhängiger von akuten Auslösern wie Trennungen oder Zurückweisungen. Wichtig ist, dass lang andauernde Einsamkeit ein heftiger Stressor ist, der schlimmstenfalls psychische und körperliche Erkrankungen begünstigen kann.

Kann denn dieser Einsamkeitsschmerz dazu führen, dass Menschen offen sind für politisch extreme Positionen?

Schobin: Schon seit den 90er-Jahren ist bekannt, dass Menschen, die lange einsam sind, anderen zunehmend weniger vertrauen. Das Umfeld erodiert langsam und die soziale Wahrnehmung verzerrt sich. Irgendwann vertraut man nicht nur dem nächsten Umfeld immer weniger, sondern auch Institutionen wie der Polizei oder dem politischen System. Studien zeigen, dass einsame Menschen dazu neigen, die Demokratie weniger zu unterstützen. Sie sind offener für Verschwörungsdenken und glauben auch eher, dass sie überwacht werden. Eine Erhebung von 2017 verdeutlicht, dass einsame Menschen auch weniger an eine Partei gebunden sind und weniger zu Wahlen gehen. Diejenigen, die noch wählen, denken aber polarer und machen ihr Kreuz eher bei Parteien, die sich am rechten oder linken Rand bewegen. Diese Polarisierung kann zunehmen.

Warum wählen einsame Menschen ausgerechnet ganz rechts oder links?

Schobin: Einsamkeit ist ein Faktor von vielen, die zu Extremismus führen. Wenn Parteien vom Schutz der Heimat und einer Volksgemeinschaft sprechen, machen sie soziale Versprechen, die besonders die Bedürfnisse der Gruppe von einsamen Menschen nach Zugehörigkeit ansprechen.

Ein wachsendes Einsamkeitsgefühl der jungen Menschen ist aber für extreme Parteien eine Gelegenheit, um Wähler zu gewinnen, sie politisch zu binden und ihnen ein Ort der Zugehörigkeit anzubieten

Laut aktueller Daten fühlt sich knapp die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen einsam. Eine andere Studie zeigt, dass jeder dritte dieser Gruppe der einsamen jungen Menschen Gewalt gegen Politiker befürwortet und an Verschwörungstheorien glaubt. Woher kommt diese Entwicklung?

Schobin: Die Auslöser von Einsamkeitsgefühlen sind abhängig vom Lebensalter. Bei jungen Menschen war sicher die Pandemie einschneidend. Ist bei älteren Menschen eher das Versterben des Partners und der Freunde ein Aspekt, spielen bei Jüngeren andere Belastungen mit rein. Sie sind angewiesen auf stabile Orte wie die Schule, Universität oder die Ausbildungsstätte, um sich Freundeskreise aufzubauen. Doch das war in der Pandemie gestört. Die sozialen Bedürfnisse der Zugehörigkeit konnten nicht mehr abgedeckt werden. Ein wachsendes Einsamkeitsgefühl der jungen Menschen ist aber für extreme Parteien eine Gelegenheit, um Wähler zu gewinnen, sie politisch zu binden und ihnen ein Ort der Zugehörigkeit anzubieten. Die sozialen Medien sind hier ein Kanal, um junge Erwachsene und Jugendliche mit entsprechenden Botschaften zu erreichen.

In England gibt es seit 2018 ein Einsamkeitsministerium. Nach diesem Vorbild hat der Bund vergangenes Jahr einen Katalog von 111 Maßnahmen angekündigt und in diesem Sommer eine Aktionswoche „Gemeinsam gegen Einsamkeit“ gestartet. Reicht das aus oder müsste noch mehr gemacht werden, um die Einsamkeit zu bekämpfen?

Schobin: Wichtig ist, dass Einsamkeit nicht stigmatisiert wird, dass darüber diskutiert wird. Es gibt inzwischen viele Träger und genügend Angebote gegen die Einsamkeit, doch sie werden zu wenig beworben. Die Menschen wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Wir haben zwar eine Angebotslandkarte entwickelt, aber konnten nur einen kleinen Teil erfassen. Wir brauchen hier mehr Transparenz und eine bessere Koordination der einzelnen Aktionen. Auch in der Politik ist Einsamkeit inzwischen ein großes Thema, weil man verstanden hat, dass es nicht nur um die gesundheitlichen Aspekte geht. Es gibt etliche Förder- und Präventivprogramme. Doch insgesamt ist hier ist sicher Luft nach oben.

Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE)

Das Netzwerkprojekt setzt sich mit den Ursachen und Folgen von Einsamkeit auseinander. Es fördert unter anderem den Wissensaustausch über Prävention und Intervention bei Einsamkeit. Das KNE bündelt Wissen zum Thema Einsamkeit, will Wissenslücken schließen und gewonnene Erkenntnisse in die politische und gesellschaftliche Praxis einfließen lassen. Das KNE wird durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. umgesetzt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.


Quellen: