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Mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland (67 Prozent) sind überzeugt, dass Fasten aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll ist. Das zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Unter jungen Erwachsenen (18 bis 29 Jahre) halten sogar 76 Prozent einen Verzicht auf Genussmittel und Konsum für angebracht. Die Befragten würden am ehesten Alkohol und Süßigkeiten weglassen – rund drei Viertel wären dazu bereit, um etwas für die Gesundheit zu tun. Insbesondere der gänzliche Verzicht auf Nahrung bewirkt mehr als nur einen Gewichtsverlust. Dazu liefern zahlreiche Untersuchungen Hinweise.

Buchinger-Kur gehört zu beliebtesten Methoden

Es war das Jahr 1917, der Erste Weltkrieg dauerte noch an: Der Militärarzt Otto Buchinger war gerade 40 Jahre alt, als eine Erkrankung ihn fast bewegungsunfähig machte. Er ging am Stock, jede Bewegung schmerzte. Nichts konnte sein schweres Rheuma lindern. Buchinger entschloss sich zu einer Radikalkur: strenges Fasten. „Nach 19 Tagen war ich dünn, aber ich konnte wieder alle Gelenke wie ein junger Mann bewegen“, schrieb er. Ein Erweckungserlebnis. Bald pilgerten zahllose Hilfesuchende in Buchingers Heilfastenklinik im hessischen Witzenhausen.

Nur Zufall? Oder eine werbewirksame Legende? Die Buchinger-Kur jedenfalls hat alle naturheilkundlichen Moden überdauert. Bis heute ist sie neben der F.-X.-Mayr-Methode und dem noch jungen Intervallfasten einer der beliebtesten Wege des zeitweiligen Nahrungsverzichts. Und der hat Konjunktur.

Eine Ursache für den Hype mag schlicht das Gefühl sein, im Kampf gegen die Pfunde öfter mal die Stopptaste drücken zu müssen. Doch das ist nicht alles: Rückenwind erhält der Trend zum Nichtessen auch aus der Wissenschaft.

Die aktuelle Forschung legt nahe, dass die Erfahrung von Fastenpionier Buchinger kein Einzelfall ist. Positive Effekte finden Forschende nicht nur bei Rheuma, sondern auch bei anderen chronischen Schmerzen und Entzündungen, Migräne und Multipler Sklerose. So analysierte das Team um Ernährungsexpertin Dr. Francoise Wilhelmi de Toledo in einer großen Studie die Daten von mehr als 1400 Fastenden. Bei 84 Prozent besserten sich schwere Gesundheitsprobleme wie Gelenkentzündungen, Diabetes Typ 2, Fettleber, Bluthochdruck und schwere Erschöpfung deutlich.

Was beim Fasten im Körper passiert

Gehirn Atem Herz Blut Magen Darm Zellen Serotonin Leber Bauch-speichel-drüse Zell-oberfläche Fettzellen Entzündungen

Gehirn:

Die Bildung neuer Gehirnzellen wird angeregt

Atem:

Der Ketonkörper Aceton wird ausgeatmet. Es entsteht ein fruchtig-säuerlicher Geruch

Herz:

Puls und Blutdruck sinken

Blut:

Cholesterinwerte und Insulinspiegel sinken

Magen:

Der Magen schrumpft, weshalb man nach dem Fasten zunächst schneller satt ist

Darm:

Der Darm kommt zur Ruhe. Dennoch werden weiterhin abgestorbene Zellen und Darmbakterien ausgeschieden

Die Vielfalt der Darmbakterien des Mikrobioms nimmt zu

Zellen:

Die Autophagie kommt in Gang. Bei diesem Recyclingprozess wird Abfall in der Zelle zerlegt und wiederverwertet

Enzyme Recycling Zerlegung in Grundbauteile Zellmüll wird einge- schlossen

Serotonin:

Der Botenstoff wird zwischen den Gehirnzellen vermehrt freigesetzt. Dadurch verbessert sich die Stimmung

mehr Serotonin Nerven- zellen

Leber:

Gespeicherter Zucker (Glykogen) wird abgebaut. Danach werden Fettsäuren in Ketonkörper als alternative Energiequelle umgewandelt

Bauchspeicheldrüse:

Muss weniger Insulin produzieren und kann sich erholen

Zelloberfläche:

Die Andockstellen (Rezeptoren) für das zuckerregulierende Hormon Insulin an den Zellen reagieren wieder empfindlicher

Rezeptor Glukose (Zucker) dringt in die Zelle Zell- oberfläche Insulin

Fettzellen:

Während des Fastens baut der Körper vermehrt Körperfett ab. Vor allem das gesundheitsschädliche Bauchfett verringert sich

Entzündungen:

Der Körper produziert weniger Entzündungsbotenstoffe. Akute Entzündungen, etwa in Gelenken und Muskeln, werden gelindert

Der Mensch ist hervorragend aufs Fasten eingestellt

Dr. Matthias Riedl, Ernährungsmediziner aus Hamburg, hat eine einfache Erklärung dafür, warum Fasten beim Heilen hilft: das Hungern gehört zur Natur des Menschen. „Es ist ein Teil unserer artgerechten Ernährung“, sagt er. Jeden Tag Fleisch und Milchprodukte, dazu jede Menge Süßes und salzige Snacks, verteilt auf bis zu zehn Mahlzeiten pro Tag: Zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte sah Ernährung so aus.

Meal skipping, also das Auslassen von Mahlzeiten, sowie längere Auszeiten vom Essen dürften dagegen die Regel gewesen sein. „Der Körper hat sich darauf hervorragend eingestellt“, sagt Riedl. Kommt zu wenig Energie nach, wechselt er in ein alternatives Energieprogramm. Nach gut einem Tag sind die Zuckervorräte in der Leber verbraucht. Dann geht es an die Fettreserven. Das Problem: Das Gehirn braucht Zucker. Die Leber wandelt daher Fettsäuren in einen Alternativbrennstoff um, den auch der Kopf verwerten kann: Ketonkörper, darunter unter anderem Aceton. Fastende atmen einen Teil davon aus und riechen daher etwas säuerlich.

Fasten lässt neue Gehirnzellen wachsen

Das Gehirn profitiert von der Zuckerpause. So gibt es Hinweise darauf, dass Fasten Demenz vorbeugen kann. Nachgewiesen ist zudem, dass es die Neubildung von Gehirnzellen anregt. Auch dem restlichen Körper tut der Urlaub vom Überfluss gut. Normalerweise treibt unsere eher ungesunde Alltagskost mit viel Zucker und leicht verdaulichen Kohlenhydraten das Hormon Insulin im Blut ständig auf Spitzenwerte. „Pausen, in denen der Spiegel deutlich sinkt, gibt es dagegen kaum“, sagt Riedl.

Doch Insulin reguliert nicht nur den Blutzucker. Es führt dazu, dass überschüssige Energie als Fett gespeichert wird. Ist der Spiegel permanent hoch, fördert er Übergewicht. Vor allem das Bauchfett schadet der Gesundheit, indem es den Stoffwechsel negativ beeinflusst und Entzündungen begünstigt. Die Zellen reagieren bei Übergewicht zudem immer weniger auf den Botenstoff Insulin. Das führt letztlich zu Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ 2. Auch Bluthochdruck, chronische Entzündungen und Störungen des Fettstoffwechsels nehmen zu.

Wer sollte besser nicht fasten?

Fasten wirkt den negativen Auswirkungen unserer Ernährung entgegen. Fachleute sprechen auch von einer Art Stoffwechselreset. Der Körper schaltet zurück auf die Grundeinstellungen. „Es sieht so aus, als ob wir diese Hungerphasen brauchen, um gesund zu bleiben“, sagt Riedl. Wie jede Therapie ist Nahrungsverzicht allerdings nicht für jeden das Richtige. Wer untergewichtig ist oder mit gestörtem Essverhalten zu kämpfen hat, sollte nicht fasten, ebenso Kinder, Schwangere sowie Menschen mit Gicht oder Gallensteinen. Generell sollten sich Menschen mit Vorerkrankungen zuvor von einem Arzt oder einer Ärztin beraten lassen.

Vom Fasten abgeraten wird in der Regel auch Menschen mit Diabetes Typ 1. Zu groß sei die Gefahr der Stoffwechselentgleisung. Eine neue Studie macht allen Betroffenen, die gern fasten würden, Mut: Dr. Bettina Berger, Leiterin der Forschungsgruppe Integrative Typ-1-Diabetologie an der Universität Witten/Herdecke, betreute mit ihrem Team 20 Menschen mit Diabetes Typ 1. Alle fasteten eine Woche lang. Die Zuckerwerte hatten sie dabei gut im Griff. „Gewicht und Stimmung profitierten“, sagt Berger. Dennoch sollten Betroffene nur ärztlich begleitet fasten.

Fasten aktiviert die Müllabfuhr in den Zellen

Für Professor Dr. Andreas Michalsen gehört regelmäßiger Nahrungsverzicht seit seiner Kindheit zum Alltag. Einmal pro Woche legte sein Vater, ebenfalls Arzt für Naturheilweisen, einen Tag ein, an dem er nur Weizenkeime aß und schien dabei nichts zu vermissen.

Heute bietet Michalsen in seiner Abteilung für Naturheilkunde am Berliner Immanuel Krankenhaus nicht nur Nahrungsabstinenz als Heilmethode an. Er gilt auch als einer der führenden deutschen Fastenforscher.

Neuen Patientinnen und Patienten zeigt Michalsen gern ein Schaubild mit all den Signalwegen und Rückkopplungsschleifen, die sich bei Nahrungsmangel verändern. „Das große Orchester des Stoffwechsels wechselt sozusagen in eine andere Tonart“, beschreibt er. Für Laien ist das Gewirre kaum zu durchschauen. „Doch jeder versteht, warum es nichts nützt, nur einen Stoff künstlich anzukurbeln“, sagt Michalsen.

Zum Dirigenten des kompletten Stoffwechselorchesters wird dagegen, wer fastet. Einer der Vorgänge, der dadurch in Schwung kommt, war 2016 sogar einen Nobelpreis wert. Der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi erhielt die Auszeichnung für das Verständnis der Autophagie, was man mit „Selbstverzehrung“ übersetzen könnte. Dass Zellen die Neigung besitzen, sich selbst aufzuessen, mag eher bedrohlich klingen. Verspeist wird dabei allerdings nur Abfall, etwa falsch gefaltete Eiweiße, ausgediente Zellorgane, auch eingedrungene Viren und Bakterien.

Sie warten in einer Art Müllhalde im Zellinneren darauf, wiederverwertet zu werden. Geschieht das nicht, funktioniert die Zelle irgendwann nicht mehr richtig, altert vorzeitig und stirbt. Schwächelt das System der Selbstverzehrung, etwa im Alter, erhöht sich das Risiko für verschiedene Krankheiten, darunter Krebs.

Fragen zum Fasten

1. Hat man sehr viel Hunger?

„Am härtesten ist meist der zweite oder dritte Tag“, sagt Fastenexperte Andreas Michalsen. Danach hat sich der Körper in der Regel auf den Fastenstoffwechsel umgestellt. Man hat keinen Hunger mehr und fühlt sich gut.

2. Muss ich den Darm reinigen?

Einige Fastenmethoden sehen vor, den Darm zu reinigen, etwa mit Spülungen. Nötig ist das nicht. Berichten zufolge soll es Hungergefühle dämpfen.

3. Muss ich mich aus Fasten vorbereiten?

Zu empfehlen ist auch gesunden Menschen ein Check-up beim Arzt. Vor dem Beginn sollte man ein bis zwei Entlastungstage einplanen, an denen man nur leichte Kost zu sich nimmt.

4. Welches Fasten ist die beste Methode?

Die Devise von Fastenforscher Michalsen: Hauptsache Fasten! Jeder sollte für sich die Fastenmethode wählen, die ihm zusagt und die er durchhält.

5. Kann ich durch das Fasten abnehmen?

Wer nach der Fastenkur isst wie zuvor, kann das Gewicht nicht halten. Um dauerhaft weniger zu wiegen, muss man die Ernährung langfristig umstellen.

Heilfasten als Kur

Ein wenig erinnert das an eine alte Vorstellung aus der Naturheilkunde: die Entschlackung. Von der wissenschaftlichen Medizin wurde sie seit jeher abgelehnt. „Beim Stoffwechsel fallen keine Schlacken an, die durch Fasten beseitigt werden“, bestätigt Michalsen. Auch angesammelte Giftstoffe werden durch Detoxkuren nicht ausgeleitet. Von „Schrottrecycling“ zu sprechen, sei aus wissenschaftlicher Sicht allerdings durchaus korrekt. Wer seine Zellen gern einmal gründlich entrümpeln möchte – und das in stilvollem Ambiente – hat dazu zum Beispiel am Bodensee Gelegenheit. Wie viele Patientinnen und Patienten sie hier bereits beim Fasten begleitet hat, kann Dr. Eva Lischka nicht mehr zählen.

Die Ärztin für Präventivmedizin und Naturheilverfahren ist Vorsitzende der Ärztegesellschaft für Heilfasten und Ernährung und seit 14 Jahren an der Buchinger-Wilhelmi-Klinik in Überlingen tätig, wo auch viele Fastenstudien entstehen. In ihrer Arbeit hat Lischka Menschen mit Diabetes Typ 2 erlebt, denen es gelang, ihre Krankheit quasi wegzufasten.

Oder Schmerzkranke, die nach der Kur endlich wieder durchschlafen konnten. Zudem viele, denen Fasten aus tiefer seelischer Erschöpfung half. „Zunächst ist das hart. Man ist bereits am Boden – und dann wird einem auch noch das Essen weggenommen“, beschreibt Lischka. Doch nach zwei, drei Tagen kommt meist die Wende.

Hochstimmung durch das Fasten

Manche Menschen berichten von einem regelrechten Fastenhoch, einem beschwingten Gefühl geistiger Klarheit. Ein Grund wohl, warum Fasten auch in den meisten Religionen einen festen Platz hat. Die Ernährung von innen führt zu seelischer Einkehr und öffnet den Geist. Verantwortlich für die Hochstimmung ist vermutlich ein Anstieg des Botenstoffs Serotonin.

Evolutionär gesehen ist eine solche hormonelle Vitalitätsspritze durchaus sinnvoll. Liegt man bei anhaltendem Nahrungsmangel erschöpft in der Ecke, bleibt der Magen leer. Doch auch nach der Zeit der Entbehrung hält die gute Stimmung an, berichtet Lischka, die selbst regelmäßig fastet. „Es ist, wie wenn man einen Lichtschalter anknipst“, beschreibt sie. Die veränderte Stimmung ist vermutlich einer der Gründe, warum Heilfasten – anders als die meisten Abnehmdiäten – nur selten zum Jo-Jo-Effekt führt, dem schnellen Zunehmen nach dem Abnehmen.

Der Hauptgrund für die Pendelbewegung: Schraubt man die Energiezufuhr drastisch runter, schaltet der Körper in ein Sparprogramm, das auch danach noch eine Weile aktiv bleibt. Man benötigt weniger Kalorien. Isst man wieder wie zuvor, schnellt der Zeiger der Waage rasch nach oben. In den Sparmodus kommt der Körper zwar auch beim Heilfasten.

Doch während die meisten nach einer Woche Kohldiät schnell wieder in ihr gewohntes Pommes-Pizza-Programm zurückfallen, bedeutet Fasten mehr als Verzicht. „Man verändert seine Haltung zum Essen“, beschreibt Lischka. Speisen schmecken danach intensiver, man isst bewusster. Das Stimmungshoch macht es im Anschluss leichter, seine Ernährung langfristig umzustellen. Auch wenn der Gewichtsverlust nur ein Nebeneffekt des Fastens ist, wie Fachleute immer wieder betonen: Nicht selten ist es der Einstieg in ein leichteres, gesünderes und auch bewussteres Leben.