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Beugen Lebensmittel einer Verstopfung vor?

Ja, sagt Dr. Reinhold Gellner, Leiter des Funktionsbereichs Ernährungsmedizin der Medizinischen Klinik B an der Uniklinik Münster: Neben Bewegungs- und Flüssigkeitsmangel sei die Ernährung der entscheidende Faktor, um eine Verstopfung zu verhindern.

Dabei geht es speziell um Inhaltsstoffe, die vor allem in pflanzlicher Nahrung vorkommen: „Wer in ausreichender Menge Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Obst, Gemüse und andere Lebensmittel mit vielen Ballaststoffen zu sich nimmt, dürfte eigentlich keine Probleme mit dem Stuhlgang haben – vorausgesetzt, es liegt keine andere Erkrankung als Ursache vor“, sagt der Facharzt für Innere Medizin.

Wie schützen Ballaststoffe?

Ballaststoffe sind vorwiegend Stütz- und Struktursubstanzen von Pflanzenzellwänden. Sie können vom menschlichen Körper nicht normal verdaut werden. „Sie kommen mehr oder weniger unverdaut im Dickdarm an und binden dort Wasser, wodurch das Stuhlvolumen erhöht wird“, erklärt Dr. Johanna Carstensen, Oberärztin und Leiterin des Ernährungsteams am Israelitischen Krankenhaus Hamburg, „außerdem erhöhen sie die Darmaktivität und machen den Stuhl geschmeidig.“

Als Richtwert empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Erwachsenen eine Zufuhr von mindestens 30 Gramm Ballaststoffen am Tag[1]. Laut der Nationalen Verzehrstudie[2] liegt sie bei den meisten Menschen in Deutschland aber unter diesem Richtwert.

Kann ich sofort mehr Ballaststoffe essen?

„Der Darm ist ein Gewohnheitstier“, sagt Reinhold Gellner. „Wenn man da schlagartig eine Veränderung vornimmt, nimmt er das meistens übel.“ Wer sich also bislang eher ballaststoffarm ernährt hat, sollte die Menge langsam steigern, sonst drohen unter anderem Blähungen, Völlegefühl und Bauchschmerzen. „Eine Ernährungsveränderung muss langsam eingeführt werden. Und langsam heißt: über Wochen. Unser Darm braucht mehrere Wochen, um sich an eine andere Ernährung zu gewöhnen“, so Gellner. Zudem sollte man auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mindestens anderthalb bis zwei Litern täglich achten.

Ist es für jeden gesund, ballaststoffreich zu essen?

In der Regel ist eine ballaststoffreiche Ernährung für alle Menschen geeignet. Bei bestimmten Erkrankungen sollte man allerdings etwas vorsichtiger sein. „Wer zum Beispiel unter einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie einer Colitis ulcerosa leidet, sollte nicht plötzlich die Ballaststoffzufuhr erhöhen, sondern erst einmal abwarten, bis die akute Entzündung abgeheilt ist“, sagt Gellner, „sonst könnten die Ballaststoffe den Darm noch mehr reizen.“

Vorsichtig sollten auch Menschen nach einer Tumoroperation sein oder Patientinnen und Patienten mit sogenannten Stenosen, also Darmverengungen. Wenn sie plötzlich sehr viele Ballaststoffe zu sich nehmen, könnten sie sogar einen Darmverschluss riskieren. In solchen Fällen sollte man nach Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt vorsichtig beginnen und dann langsam steigern.

Warum werden Flohsamenschalen oft empfohlen?

Flohsamenschalen zeichnen sich durch einen besonders hohen Gehalt an sogenannten löslichen Ballaststoffen[3] aus, die sich in Wasser auflösen. In einer kleinen Studie[4] nahmen die Teilnehmer täglich fünf Gramm Flohsamenschalen zu sich. Nach einer achtwöchigen Einnahme hatten sich Stuhlfrequenz, -gewicht und -konsistenz im Vergleich zu einer Kontrollgruppe deutlich verbessert, die ein Placebo erhielt.

„Falls eine allgemeine Ernährungsempfehlung nicht zur ausreichenden Stuhlregulierung führt, empfehlen wir unseren Patientinnen und Patienten bei Verstopfung deshalb zunächst gern Flohsamenschalen“, sagt Johanna Carstensen. Wichtig ist allerdings, dass man dabei auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achtet. Sonst könnte der Verdauungsbrei im Darm verhärten und womöglich sogar eine Verstopfung begünstigen, anstatt ihr entgegenzuwirken. „Zu jeder Dosis von fünf Gramm Flohsamenschalen empfehlen wir eine Flüssigkeitszufuhr von 200 Millilitern und eine tägliche Trinkmenge von etwa zwei Litern“, sagt Carstensen.

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Wie gut wirken Trockenpflaumen bei Verstopfung?

Auch Obst enthält viel an Ballaststoffen. Daher empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen in ihrer Leitlinie zur chronischen Verstopfung den täglichen Verzehr von 300 Gramm ballaststoffreichen Früchten[5] wie beispielsweise Äpfeln oder Pflaumen, um Verstopfungen vorzubeugen. Speziell Pflaumen oder über Nacht eingeweichte Trockenpflaumen werden nicht umsonst schon lange als Hausmittel gebraucht. In einer Studie[6] schneiden sie bei Verstopfung sogar noch besser ab als Flohsamenschalen: So berichteten die Teilnehmenden von einer höheren Anzahl von Stuhlgängen und einer besseren Stuhlkonsistenz.

Nutzen Äpfel nur mit Schale?

So ist es tatsächlich. Beim Schälen geht nicht nur ein Teil der im Apfel enthaltenen Vitamine verloren, noch viel höher ist der anteilige Verlust bei den Ballaststoffen. „Gerade in den festen Bestandteilen des Apfels – also im Gehäuse oder der Schale – stecken besonders viele Pektine“, erklärt Gellner. Pektine gehören zu den löslichen Ballaststoffen. Sie dienen vielen nützlichen Darmbakterien als Nahrung. Dabei entstehen kurzkettige Fettsäuren, die viele positive gesundheitliche Effekte haben. Zum Beispiel ernährt Buttersäure die Darmschleimhaut[7] und verhindert die Passage von Bakterien und deren Giften in die Blutbahn.

Sind Kiwis der Geheimtipp gegen Verstopfung?

Der vermeintliche Geheimtipp ging im Juni durch die Medien: Kiwis sollten das effektivste Mittel gegen Verstopfung sein. Belegen sollte das eine Studie[8], die in Japan, Italien und – Sie ahnen es – in Neuseeland durchgeführt wurde. Die Studie ist zwar methodisch kaum angreifbar. Aber unterschlagen wurde häufig, dass sie Kiwis mit Flohsamenschalen verglich – und dass beides gleich gut abschnitt. In beiden Teilnehmergruppen wurde ein Anstieg um wöchentlich 1,5 komplette Darmentleerungen gemessen. Auch die Leitlinie nennt Kiwis als eine von verschiedenen Ballaststoffquellen, und auch bei ihr stecken die Ballaststoffe vor allem in der Schale. Die kann man bei Bio-Qualität und gut gewaschenen Früchten mitessen. Was zugegebenermaßen, anders als etwa bei Äpfeln, nicht jedermanns Sache ist.

Hilft Magnesium, die Darmaktivität anzukurbeln?

Wenn Magnesium fehlt, kann die Darmmuskulatur nicht richtig arbeiten. „Magnesium ist eine Substanz, die auf die Muskulatur entspannend wirkt – auch im Darm“, erklärt Gellner. Der Ernährungsmediziner empfiehlt daher, beispielsweise Mineralwasser mit einem höheren Magnesiumanteil zu trinken. Von Magnesiumpräparaten rät die Verstopfungs-Leitlinie dagegen wegen der potentiellen Nebenwirkungen ab. Eine Überdosierung kann nicht nur zu Blähungen und Durchfall führen; sehr hohe Dosen können auch in Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen oder einer Darmlähmung[9] resultieren.

Hilft Bewegung, Verstopfung zu verhindern?

In verschiedenen Studien[5] zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und dem Auftreten von Verstopfungen. „Bewegung ist wichtig“, sagt Reinhold Gellner, „egal, ob die Menschen laufen, mit dem Fahrrad fahren, Yoga oder Gymnastik machen – Hauptsache, sie rühren sich, denn dadurch kommt auch der Darm in Bewegung.“ In seinem klinischen Alltag erlebt er, dass besonders häufig Menschen, die den ganzen Tag sitzen, mit Verstopfungen zu kämpfen haben. „Wer sich bewegt, bewegt auch die Bauchmuskulatur. Das wirkt wie eine sanfte Darmmassage und fördert somit auch die Darm-Motilität“, so der Experte.

Klogang hinauszögern: Führt das zu Verstopfung?

Herauszögern des Stuhlgangs kann durch die längere Verweildauer im Dickdarm zu einem Entzug von Wasser und somit zu einer härteren Stuhlkonsistenz führen. Hinzu kommt, sagt Carstensen: „Die Stuhlentleerung ist ein komplexer Vorgang aus Nerven- und Muskelverschaltungen, aus Anspannung und Entspannung“. Ihre Erfahrung zeigt: Dieser Vorgang kann sogar ein Stück weit verlernt werden. Sie beobachtet das beispielsweise bei Menschen, die unter Stress stehen und sich deshalb häufig den Toilettengang verkneifen.

„Wenn Menschen Probleme mit der Stuhlentleerung haben, können wir sie anleiten, mit Biofeedbacktraining wieder eine regelhafte Stuhlentleerung zu erlernen.“ Bei diesem Training werden die Betroffenen darin geschult, in ihrem Körper unterbewusst ablaufende Prozesse gezielt wahrzunehmen und zu beeinflussen. Bei Entleerungsproblemen müsste man den äußeren Schließmuskel gedanklich ansteuern – der muss sich für eine Entleerung auf der Toilette entspannen können.


Quellen:

  • [1] Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Ballaststoffe, AUSGEWÄHLTE FRAGEN UND ANTWORTEN ZU BALLASTSTOFFEN. https://www.dge.de/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [2] Schulze-Lohmann, P: Ballaststoffe, Grundlagen – präventives Potenzial – Empfehlungen für die Lebensmittelauswahl. Ernährungs Umschau: https://www.ernaehrungs-umschau.de/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [3] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Nationale Verzehrs Studie II, Nationale Verzehrsstudie II: Wie sich Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ernähren. https://www.bmel.de/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [4] Ashraf W et al.: Effects of psyllium therapy on stool characteristics, colon transit and anorectal function in chronic idiopathic constipation. Aliment. Pharmacol. Ther.: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [5] Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS); Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenteroligie & Motilität (DGNM): Aktualisierte S2k-Leitlinie chronische Obstipation. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [6] Attaluri A et al.: Randomised clinical trial: dried plums (prunes) vs. psyllium for constipation. Aliment Pharmacol. Ther.: https://onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [7] IMD Labor Berlin: Kurzkettige Fettsäuren aus dem Darmmikrobiom sind essentiell für Darmepithel, Immun- und Nervensystem. https://www.imd-berlin.de/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [8] Gearry R et al.: Consumption of 2 Green Kiwifruits Daily Improves Constipation and Abdominal Comfort—Results of an International Multicenter Randomized Controlled Trial. Am J Gatroenterol.: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 04.07.2024)
  • [9] Golzarian J et al.: Hypermagnesemia-induced paralytic ileus. Dig Dis Sci: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 04.07.2024)