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Während des Interviews bricht die Verbindung immer mal wieder ab. Denn: Tristan Jurisch ist gerade im Wald. Natürlich. Schließlich hat bei den Pilzen gerade die Hauptsaison begonnen. Und Tristan weiß, welche davon in die Pfanne gehören und welche man besser stehen lassen sollte. Mit 19 Jahren ist er Sachsens jüngster geprüfter Pilzberater.

Auf TikTok und Instagram folgen ihm inzwischen mehr als 85.000 Personen, wenn er unter pilzaddicted zeigt, worauf es bei der Pilz-Bestimmung ankommt.

Tristan, du bist gerade beim Pilze-Suchen: Hast du schon was gefunden?

Tristan Jurisch: Ja, gerade eben. Einen Birkenporling, der hier an einer vereinzelten Birke wuchs. Sonst ist das hier ein reiner Kiefernwald. Ich bin gerade in der Nähe von Lomnitz, das ist so 25 Kilometer von Dresden entfernt.

Wenn du einen Wald von außen siehst, weißt du dann schon, welche Pilze wohl auf dich warten?

Jurisch: Ja, sicher. Das sagen einem die Bäume. Viele Pilze haben ja feste Baumpartner, was man auch an ihren Namen sieht. Die heißen dann etwa Lärchenröhrling oder Fichtensteinpilz. Hier im Kiefernwald habe ich eigentlich Krause Glucken erwartet. Die schauen aus wie Korallen und schmecken sehr fein. Doch muss dazu natürlich auch das Wetter passen. Im Augenblick ist es leider noch zu trocken.

Grell, aber nicht giftig: Der Hexenröhrling ist ein hervorragender Speisepilz.

Grell, aber nicht giftig: Der Hexenröhrling ist ein hervorragender Speisepilz.

Pilze sammeln, das war ja lange Zeit eher was für Omis und Opis. Plötzlich ist es auch bei Jüngeren wieder in. Wie kommt‘s?

Jurisch: Ich denke, weil es für sie einfach etwas Neues ist. Und eben superspannend. Manche sind vielleicht auch schon mit ihren Großeltern als Kinder in den Wald gegangen. Das ploppt dann in der Erinnerung wieder auf. Doch um selbst zu sammeln, fehlt noch das nötige Wissen.

Und dann abonnieren sie dich auf TikTok oder Insta. Wie wurdest du denn selbst „pilzaddicted“?

Jurisch: Das ging bei mir schon sehr früh los. In dem Dorf, wo ich gewohnt habe, musste ich nur nen Hügel hochlaufen – und war drin im Wald. Meine Eltern haben auch schon Speisepilze gesammelt. Für mich war das wie eine Art Schatzsuche. Oder wie Ostern. Man geht in den Wald mit einem Korb und weiß noch nicht, was man finden wird. Ich hab dann bald auch Ausstellungen besucht, so mit 13, 14 auch schon selber mitgemacht. Im Wald ist mir dann mal ein Pilzberater begegnet. Der hat mir seine Visitenkarte gegeben und wir sind öfter zusammen gegangen.

Dann hast du also beim Profi weitergelernt?

Jurisch: Ja, und er auch von mir. Er kannte sich vor allem bei den Speise- und Vitalpilzen aus. Ich hab mich dagegen auch sehr für kleine Pilze interessiert, die er gar nicht beachtet hat. Und so hat er dann von mir gelernt, wie zum Beispiel ein Halsbandschwindling aussieht.

Halsbandschwindling, das klingt toll. Hast du einen Lieblingspilz?

Jurisch: Eigentlich hab ich in jeder Jahreszeit sogar ein paar Lieblinge.

Auch im Winter? Ich dachte, Pilze gibt es nur im Herbst.

Jurisch: Wenn es feucht genug ist und nicht gerade gefriert, gibt es das ganze Jahr über Pilze. Auch im Winter. Dann wachsen vor allem Austernseitlinge, Samtfußrüblinge und Judasohren. Im Frühling kommen die Spitzmorcheln. Sehr, sehr lecker. Dann geht es weiter mit den Maipilzen. Und im Frühsommer schießen dann oft schon die ersten Hexenröhrlinge. Im Spätherbst, also meist so im Oktober, November haben dann die Edel-Reizker ihre Hauptzeit. Richtig scharf angebraten – so was Feines.

Wächst gern an alten Hollersträuchern: das Judasohr.

Wächst gern an alten Hollersträuchern: das Judasohr.

Kochst du die Pilze selbst?

Jurisch: Ja, ich sammle, putze sie und dann bereite ich sie zu. Am liebsten klassisch gebraten und dann in Sahnesoße. Mit Nudeln, Spätzle oder Knödel. Echt lit.

Und was machst du, wenn du einen gefährlichen Pilz findest?

Jurisch: Dann freue ich mich manchmal sogar noch mehr. Ich kann dann nämlich wieder ein spannendes Video machen. Richtig gefährliche Giftpilze gibt es ja nicht so viele bei uns, nur so 15. Im Vergleich zu den geschätzt mehr als 5000 Pilzarten die in Deutschland wachsen, sind das richtig wenige. Tödlich giftig ist vor allem der Grüne Knollenblätterpilz. Dann der Gifthäubling. Der enthält ebenfalls sehr viele Amatoxine, also das gleiche Gift wie der Knollenblätterpilz. Die zerstören die Leber. Tödlich sind noch der spitzgebuckelte und der orangefuchsige Rauhkopf. Die können zu Nierenversagen führen.

Wie erkenne ich, ob ich eine Pilzvergiftung habe?

Typisch für eine Pilzvergiftung sind plötzliche starke Magen-Darm-Beschwerden. Übelkeit, Erbrechen und Schwindel können hinzukommen. Zudem kann es zu Schweißausbrüchen, Herzrasen oder Kreislaufbeschwerden kommen. Manche Gifte führen auch zu Sehstörungen, Atemnot oder Halluzinationen. Bei manchen Pilzen treten die ersten Anzeichen für eine Vergiftung kurz nach dem Verzehr auf. Doch gibt es auch Gifte, die erst einige Stunden oder sogar Tage später wirken. Die Beschwerden werden dann manchmal nicht mit den Pilzen in Verbindung gebracht.

Bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung sollte man sofort ins nächstgelegene Krankenhaus fahren oder die Nummer des Notarztes (112) oder der nächsten Giftnotrufzentrale anrufen. Um die Ursache schnell feststellen zu können, ist es wichtig Reste, etwa aus dem Pilzabfall, der Pilzmahlzeit oder auch aus Erbrochenem aufzubewahren und zur Behandlung mitzubringen. Je nach Art und Schwere der Vergiftung kommen dann giftbindende Mittel zum Einsatz. Teils erfolgt auch eine Magenspülung.

Bei vielen Pilzgiften nehmen die Beschwerden ab, sobald das Gift den Körper verlassen hat. Doch gibt es auch Pilzgifte wie die Amatoxine des Knollenblätterpilzes oder das Orellanin des Orangefuchsigen Rauhkopfs, die zu schweren, teils tödlichen Organschäden führen können.

Wenn ich jetzt glaube, dass ich auf dem Weg bin, auch pilzaddicted zu werden. Wie fang ich an? Mit einem guten Pilzbuch?

Jurisch: Also, ich würde mir immer jemanden suchen, der sich auskennt. Einfach die Pilze nach Hause schleppen und in einem Buch rumsuchen, das ist wirklich sehr, sehr schwierig. Um einen Pilz sicher bestimmen zu können, muss man wissen, wie man systematisch rangeht. Man muss zum Beispiel lernen, mit einem Bestimmungsschlüssel zu arbeiten. Mein Tipp ist daher: Mit jemandem Erfahrenen mitgehen, zum Beispiel einer Pilzberaterin oder einem Pilzberater. Die meisten bieten auch kleine Führungen an.

Gefährliche Verwechslung möglich: der Gifthäubling (l.) und das essbare Stockschwämmchen.

Gefährliche Verwechslung möglich: der Gifthäubling (l.) und das essbare Stockschwämmchen.

Keine Manschette, spröde Lamellen: Bei der Pilz-Suche geht es ja echt um jedes Detail. Worauf muss man bei der Bestimmung sonst noch achten?

Jurisch: Es gibt zahllose Merkmale. Erstmal muss man den Pilz im Ganzen rausnehmen. Da hat man nämlich schon das Erste, was wichtig ist: die Knolle, also die Stielbasis. Manchmal sieht man hier Verfärbungen, wenn man den Stiel ein bisschen ankratzt. Dann geht man hoch und sieht, ob dort entweder ein Ring oder eine Manschette ist. Wenn das nicht so ist, kann man schon einige Gattungen ausschließen. Zum Beispiel Schirmlinge und Knollenblätterpilze. Und dann guckt man sich die Hutunterseite an. Dort sieht man dann zum Beispiel Lamellen. Welche Farbe haben die? Wachsen sie bis zum Stiel heran, sind dort angewachsen, laufen etwas herunter? All das ist wichtig. Man kann auch einen Sporenabdruck machen.

Nie gehört. Was ist das?

Jurisch: Man legt den Pilzhut einfach auf ein Blatt einfarbiges Papier. Die Hutunterseite nach unten. Nach ein, zwei Tagen sind die Sporen herausgefallen und man hat einen hübschen Abdruck. Auch dieser ist ein Merkmal. Viele haben zum Beispiel Angst, Knollenblätterpilze mit Champignons zu verwechseln. Aber Champignons haben rosa Sporenpulver und Knollenblätterpilze weißes.

Wie finde ich eine Pilzberaterin oder einen Pilzberater?

Sie suchen in Ihrer Umgebung eine geprüfte Pilzberaterin oder einen geprüften Pilzberater? Eine Liste finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. Hier erhalten Sie auch Informationen, wie Sie selbst die Pilzsachverständigen-Prüfung ablegen können.

Das klingt wirklich kompliziert. Kann eine App bei der Bestimmung helfen?

Jurisch: Ich muss zugeben, dass ich noch nicht viele ausprobiert habe. Aber die, die ich getestet habe, haben teils erschreckend viele Fehler gemacht. Die Apps arbeiten ja in der Regel mit einer Bilddatenbank, mit der sie den Pilz abgleichen. Um einen Pilz richtig zu bestimmen, muss man auch dran riechen oder manchmal sogar davon kosten. Wenn man sich nur auf Apps verlässt, ist das einfach nur gefährlich.

Was ist beim Pilze-Sammeln sonst noch wichtig?

Jurisch: Zum Beispiel, nicht nur die essbaren Pilze zu kennen. Es gibt Verwechselpilze, die man unbedingt dazulernen sollte. Zum Beispiel den Pantherpilz und den Perlpilz. Die sehen manchmal sehr ähnlich aus, doch das Fruchtfleisch des Perlpilzes rötet leicht. Verwechseln kann man auch den Gifthäubling mit dem Stockschwämmchen. Hier ist es wichtig, auf den Stiel zu achten. Der ist beim essbaren Stockschwämmchen schuppig.

Sehen sich ähnlich: der tödlich giftige Knollenblätterpilz (l.) und der Wiesenchampignon

Sehen sich ähnlich: der tödlich giftige Knollenblätterpilz (l.) und der Wiesenchampignon

Sind Pilze eigentlich gesund?

Jurisch: Auf jeden Fall. Sie bestehen hauptsächlich aus Wasser und Eiweiß, sind also eine gute Eiweißquelle. Dazu enthalten manche richtig viele Vitamine, zum Beispiel Vitamin D, oder auch Stoffe wie Flavonoide und Triterpene, die als sehr gesund gelten.

Hast du schon mal einen giftigen Pilz erwischt?

Jurisch: Nein, noch nie. Doch muss man auch bei essbaren Pilzen aufpassen. Man kann sich nämlich den Magen verderben, wenn sie zu alt sind. Das Pilzeiweiß zersetzt sich dann und man bekommt eine Art Lebensmittelvergiftung wie bei verdorbenem Fleisch. Daher sollte man nur junge Pilze mitnehmen und sie nie länger als zwei Tage lagern.

Gibt es einen Pilz, den du selbst noch nicht gefunden hast – und gerne mal finden möchtest?

Jurisch: Ja, sogar einige. Der eine ist der Kaiserling. Er gehört zur selben Gattung wie der Knollenblätterpilz, hat aber einen kupferfarbenen Hut. Der ist wunderschön und soll ganz toll schmecken. Er wächst aber eher in Südeuropa. Ein Giftpilz, den ich gerne mal finden würde, ist der Ölbaumpilz. Er ist bioluminiszent und leuchtet im Dunkeln grün. Er wurde schon mal in Sachsen gefunden. Bislang aber leider noch nicht von mir.