Mahlzeit! Macht spätes Essen wirklich krank?
Kann man zur falschen Zeit essen?
Drei Kartoffeln, ein Putenschnitzel, Gummibärchen: Man sollte meinen, es mache keinen Unterschied, ob man das um 11.30 Uhr zu sich nimmt oder um 20 Uhr. Macht es aber. „Die gleiche Mahlzeit lässt die Blutzuckerwerte höher steigen, wenn man sie später am Tag isst“, berichtet Dr. Olga Ramich, Leiterin der Forschungsgruppe Molekulare Ernährungsmedizin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Gegen Abend lassen Kohlenhydrate den Blutzucker nämlich bei jedem stärker ansteigen.
Das hängt damit zusammen, dass die Insulinempfindlichkeit zu dieser Tageszeit herabgesetzt ist. Der Grund dafür ist die „innere Uhr“, der molekulare Mechanismus in fast jeder Zelle, der die Stoffwechselprozesse im Körper steuert. Dadurch sind unzählige Hormone wie Insulin, Enzyme oder appetitsteigernde Botenstoffe so aufeinander abgestimmt, dass der Stoffwechsel zum 24-stündigen Tag-Nacht-Zyklus passt. Entsprechend verarbeitet der Körper Nährstoffe aus Lebensmitteln und Getränken unterschiedlich – je nach Tageszeit.
Haben wir alle die gleiche innere Uhr?
Die innere Uhr richtet sich auch nach dem individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus. Eine „Eule“, die morgens gerne länger schläft, nimmt im Tagesverlauf alle Mahlzeiten später ein als eine „Lerche“, die früh aufsteht. „Studien belegen, dass Eulen ein höheres Risiko für Übergewicht und Diabetes-Typ-2 haben“, so Anette Buyken, Professorin für Public Health Nutrition an der Universität Paderborn. Und: Eulen frühstücken kaum. Dadurch würden am Abend häufig große Kalorienmengen verzehrt – dann, wenn Essen leichter dick macht und die Blutzuckerwerte stärker ansteigen.
Tipp: etwas früher essen und leichter. Lebensmittel mit hoher Blutzuckerwirksamkeit wie weißen Reis, Kartoffelpüree, Nudeln, Weißmehlbrot oder Pizza sollte man meiden. Insgesamt sollten mit dem Abendessen höchstens 20 Prozent der Tageskalorienzahl gedeckt werden. Damit das besser gelingt, wäre ein Frühstück nicht schlecht, selbst wenn es erst gegen 10 Uhr oder 11 Uhr eingenommen wird.
Verstellt Schichtarbeit die innere Uhr?
Schichtarbeitende leben gegen ihren Biorhythmus. Um das Manko auszugleichen, ist eine ausgewogene Ernährung umso wichtiger. Genauso bedeutsam: „Ausreichend Bewegung und Schlaf, um Stoffwechsel und Gewicht im Lot zu halten“, betont Ramich.
Ist spätes Essen schlecht für den Blutzucker?
Stärkehaltige Lebensmittel wie Nudeln, Kartoffeln, polierter weißer Reis und Weißmehlgebäck treiben den Blutzucker vor allem abends in die Höhe. Die Körperzellen sprechen dann schlechter auf Insulin an, auch bei Gesunden. Laut Buyken ist das Abendessen die kritischste Mahlzeit des Tages: „Um Typ-2-Diabetes besser zu behandeln, lohnt es, Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index zu wählen, deren Zucker langsam ins Blut geht.“
In diesem Sinne sind zum Beispiel fest gekochte Pellkartoffeln verträglicher als dieselbe Menge Reis. Der Kohlenhydratanteil sollte nur ein Viertel des Abendessens ausmachen, dazu der gleiche Anteil Proteine, etwa aus magerem Hähnchenfleisch, Milchprodukten oder Nüssen, und günstige Fette wie Rapsöl plus ein halber Teller Gemüse. Weniger Kohlenhydrate heißt auch: Finger weg von Alkohol und anderen zuckerhaltigen Getränken.
Erhöhen späte Mahlzeiten das Risiko für Darmkrebs?
Eine Befragung aus den USA liefert zumindest erste Hinweise darauf. Dort wurden in den Jahren 2018 bis 2022 insgesamt 664 Personen im Rahmen einer Darmspiegelung zur Krebsvorsorge zu ihrem Essverhalten befragt. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Spiegelung ein Adenom gefunden wurde, lag bei den Befragten, die regelmäßig weniger als drei Stunden vor dem Zubettgehen essen, um 46 Prozent höher als bei denjenigen, die früher essen. Ein Adenom ist zunächst einmal eine gutartige Geschwulst. Allerdings kann sich daraus ein bösartiger Tumor entwickeln. Die Erkenntnisse sind jedoch noch mit sehr viel Vorsicht zu genießen und bedürfen zur Einordnung weiterer Forschung.
Gilt immer der Spruch „Morgens wie ein Kaiser“?
Wer morgens Appetit hat, kann das Frühstück als „größte“, sprich kalorienreichste, Mahlzeit einnehmen. Später am Tag braucht man dann weniger. Zudem kommt der Körper morgens mit blutzuckersteigernden Speisen wie Brötchen oder Cornflakes besser klar. Bei Diabetes-Typ-2 oder einer Vorstufe gilt das aber nur bedingt. „Generell sollten solche Lebensmittel durch Vollkornbrot mit ganzen Körnern oder Müsli mit Vollkornflocken und Nüssen ersetzt werden“, sagt Expertin Buyken. Das gilt auch für Stoffwechselgesunde.
Ist es ungesund, zwischendurch zu essen?
Studien zufolge snacken die Deutschen acht- bis zwölfmal am Tag. Dadurch bleibt der Insulinspiegel ständig hoch, es kann kein Fett abgebaut werden. Der Organismus profitiert von Zeiten, in denen der Körper etwas „hungern“ kann. „Vor allem nachts wünscht sich unser Körper Ruhe“, meint Ramich. „Auch Ruhe vom Essen. So kann unser Stoffwechsel flexibel und gesund bleiben.“ Nachts zu essen, zerstört unsere inneren Rhythmen und erhöht das Übergewichtsrisiko. Wer nicht ohne Zwischenmahlzeit kann: lieber frisches Gemüse oder Nüsse knabbern.
Erst Gemüse, dann Fleisch: Was ist die beste Reihenfolge?
Gut zu wissen, um Zucker-Spitzenwerte zu verhindern: Die innere Uhr springt sehr schnell an. Hormone und Enzyme benötigen nur eine sehr kurze Zeit bis zur vollen Verfügbarkeit. Je besser abgestimmt sie zusammentreffen, desto besser für den Blutzuckerspiegel. Daher macht es einen Unterschied, in welcher Reihenfolge wir den Teller leer essen. Ein Beispiel: Steak mit Bohnen und Reis. Erst das Gemüse, dann das Fleisch und zuletzt den kohlenhydratreichen Reis verzehren: Das sorgt dafür, dass der Blutzucker langsamer hochgeht.