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Frau Künast, Übergewicht und Diabetes breiten sich in Deutschland rasant aus und belasten das Gesundheitssystem. Als eine wirksame Gegenmaßnahme empfehlen Forscherinnen und Forscher, eine Art Steuer auf stark überzuckerte Produkte wie Softdrinks und Frühstückscerealien. Auch Sie gelten als Verfechterin dieser Idee. Im Koalitionsvertrag steht nichts davon. Warum?

Die FDP hatte schon in den Sondierungs­gesprächen Steuererhöhungen ausgeschlossen, damit war eine Zuckersteuer vom Tisch. Ob hier letztendlich auch der Druck der Industrie eine Rolle gespielt hat, kann ich nicht sagen. Die SPD und die Grünen hätten so eine Steuer gewollt.

Was nun?

Wir bleiben an dem Thema dran und arbeiten an einer Ernährungsstrategie, die alle Bereiche umfasst – vom Acker bis zum Teller. Dabei werden wir auch verbindliche Reduktionsziele für Zucker, Salz und Fett in industriell hergestellten Lebensmitteln weiter verfolgen.

Auch in Ihrer Zeit als Ernährungsministerin ist es nicht gelungen, eine Zuckersteuer einzuführen. War schon damals der Druck der Lebensmittellobby zu groß?

Das Thema war noch nicht so präsent wie heute. Ich hatte als Ministerin das Buch „Die Dickmacher“ geschrieben. Ich beschrieb darin, dass wir in einer Welt leben, in der permanent für Snacks und Süßigkeiten geworben wird und wie uns dieses Essen krank macht. Einerseits wurde ich belächelt, so nach dem Motto „schönes Thema für eine Frau“. Andererseits spürte ich politischen Widerstand. Dann hieß es, wir Grünen wären die Verbotspartei und wollten den Menschen ­alles verbieten, was schmeckt. Das ist Quatsch. Jeder soll essen, was ihm schmeckt. Das Problem ist, dass wir beim Essen häufig nicht die Wahl haben, uns für Gesundes zu entscheiden.

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Wir leben im Überfluss. Die Obst- und Gemüseregale in den Supermärkten quellen über. Warum sollten wir nicht die Wahl haben?

In der Theorie. In der Praxis springt uns Ungesundes überall entgegen. Egal ob in Kantinen, Krankenhäusern oder Schulmensen – die angebotenen Speisen sind oft hochverarbeitet und ungesund. Wir möchten aber, dass die gesunde Wahl beim Essen die einfachste Wahl ist. Und hierfür brauchen wir eine umfassende Ernährungswende.

Klingt sehr komplex. Was lässt sich in den kommenden vier Jahren umsetzen?

Im ersten Schritt brauchen wir mehr Transparenz. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, wo Lebensmittel herkommen und wie sie hergestellt wurden. Das gilt vor allem für Fleisch. Wir werden noch in diesem Jahr ein einheitliches Siegel einführen, das klar zeigt, wie das Tier gehalten wurde, wo es herkommt und wo es geschlachtet wurde. Auch die Nutri-Score-Kennzeichnung werden wir weiterentwickeln und dafür sorgen, dass mehr Hersteller sie nutzen. Und wir wollen den Biolandbau weiter ausbauen.

Biolebensmittel sind teuer. Viele Menschen können sich das gar nicht leisten.

Wir können uns eine Landwirtschaft, die Böden auslaugt, das Klima belastet und mit intensivem Pestizideinsatz die Artenvielfalt bedroht, nicht mehr leisten. Diese Art zu wirtschaften bedroht unsere Lebensgrundlagen. Wir brauchen einen Wandel zu einer nachhaltigeren Produktion von Lebensmitteln. Das bedeutet auch, dass Landwirte wieder höhere Preise für ihre Produkte erzielen müssen, um von ihrer Arbeit leben zu können.