Diagnose Diabetes – wie Sie trotzdem zuversichtlich bleiben
Warum ausgerechnet ich? Habe ich nicht schon genug andere Probleme in meinem Leben? Warum muss ich nun auch noch das „Paket Diabetes“ tragen? Solche Fragen tauchen bei vielen Betroffenen auf. Nicht nur, wenn die Diagnose Diabetes gestellt wird. Sie sind im Unterbewussten verankert und drängen gern an die Oberfläche, wenn es wieder mal nicht so läuft mit der Therapie, wie man sich das wünscht. Oder wenn man sich durch die Erkrankung ständig eingeschränkt fühlt.
Solche negativen Gedanken haben Folgen: „Man weiß, dass Menschen, die ihren Diabetes nicht akzeptieren, mit der notwendigen Selbstbehandlung sehr viel schlechter klarkommen“, erzählt die Diabetes-Fachpsychologin Eva Küstner aus Gau-Bischofsheim. Dazu gehört auch ein grundlegendes „schlechtes“ Gefühl, nicht gesund, sondern krank zu sein. Oder sich deshalb abzuwerten oder minderwertig zu fühlen. Wenn jede Handlung im Zusammenhang mit Diabetes mit einem Unwillen zusammenhängt, kostet in der Folge alles deutlich mehr Kraft.
Wie kann man den Diabetes annehmen?
Wie schafft man es, zu akzeptieren, dass der Diabetes ab dem Tag der Diagnose zum Leben dazugehört? „Es ist immer ein Prozess“, sagt Dr. Rainer Paust. Er ist Leiter des Instituts für Psychosoziale Medizin der Contilia in Essen. „Das Ziel von Krankheitsbewältigung ist, den Diabetes anzunehmen — und damit natürlich auch gewisse Herausforderungen und Anforderungen, die daraus resultieren“, erklärt der Psychodiabetologe.
Manchen Menschen gelingt das sehr schnell, andere brauchen mehr Zeit. Auch die Gefühle, die damit einhergehen, gilt es zu bewältigen. Dafür braucht es Bereitschaft und den Mut, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Doch die Anstrengung lohnt sich. Wenn man dagegen nicht zur Akzeptanz der Krankheit kommt, können daraus schnell neue Probleme entstehen, die zusätzliche Ängste auslösen.
Wie kann man Grübeln über Diabetes stoppen?
Typisch für Menschen mit Diabetes ist zum Beispiel das ständige Nachdenken über Schuld und die verzweifelte Suche nach einer Erkenntnis. Doch das Grübeln führt zu nichts. Psychodiabetologe Paust beschreibt es so: „Man gräbt nach einer Erklärung, ohne etwas Tieferliegendes zu finden.“ Auch bestimmte Vorstellungen können zu solchen Gedankenspiralen führen. Etwa wenn es um die Behandlung der Diabetes-Erkrankung geht. Zum Beispiel: „Insulin zu spritzen schmerzt.“ Oder: „Ich kippe auf jeden Fall um, wenn ich in den Unterzucker falle.“ Oder: „Jetzt darf ich nie wieder in meinem Leben ein Stück Kuchen essen.“
Wie kann man sich vom Diabetes ablenken?
Rainer Paust empfiehlt bei kreisenden Gedanken den Realitäts-Check: Wie wahrscheinlich ist es, dass so ein Szenario tatsächlich eintritt? „Das, was sich in der Vorstellung so abbildet, das muss nicht so kommen.“ Helfen können klärende Gespräche mit dem zuständigen Hausarzt oder der Diabetologin. Sind diese gerade nicht greifbar und das Grübeln geht wieder los, empfiehlt Paust, den Vorgang bewusst zu unterbrechen: „Lenken Sie sich ab, indem Sie beispielsweise in einen anderen Raum gehen, sich mit etwas anderem beschäftigen oder sich vielleicht einen Gesprächspartner suchen.“
Ablenkung im positivsten Sinne also. Ist man sich zudem bewusst, dass das Grübeln eher schadet als hilft, gelingt es oft besser, sogenannte Gedankenstopps einzulegen. „In dem Moment, in dem Ihnen klar wird: ‚Oh, jetzt hänge ich gleich wieder drin!‘, klatschen Sie in die Hände und sagen Sie vielleicht auch ‚Schluss jetzt!‘ laut zu sich selbst“, rät Paust. Eine Strategie kann auch sein, sich bewusst eine Stunde am Tag Zeit fürs Grübeln zu nehmen — den Rest des Tages ist es aber nicht erlaubt.
Wie kann man das Selbstbild schulen?
Es gibt eine Übung, die Paust allen an Diabetes Erkrankten empfiehlt, aber vor allem denen, die mit ihrer Erkrankung hadern: Stellen Sie sich vor den Spiegel und betrachten Sie sich genau. Wie sehen Sie sich? Wie sehen Sie den Diabetes? Als Teil Ihres Selbst? Und wie bewerten Sie diesen Teil? Positiv? Sehen Sie ihn als Herausforderung, die Sie annehmen? Oder als das Schlimmste, das Ihnen passieren konnte? Das, was an Gedanken aufkommt, muss nicht so bleiben. Sie haben es in der Hand, Ihre Sichtweise zu verändern. Und: Sie sind nicht allein! Beziehen Sie Ihr Umfeld ein, tauschen Sie sich aus. „Wer die Umgebung als soziale Ressource nutzt, bekommt oftmals auch Hilfe und Verständnis von den anderen“, so der Experte.
Wie lassen sich Belastungen durch Diabetes bewältigen?
Strategien, um mit Belastungen klarzukommen, bezeichnen Psychologen als Coping. Der Begriff kommt aus dem Englischen von „to cope with“ und heißt übersetzt „etwas bewältigen“. Dabei gibt es verschiedene Varianten. Eine ist auf das Problem gerichtet. Sie könnten sich also fragen: „Was ist mein Problem am Diabetes?“ Sind es die Medikamente? Ist es die Therapie? Im nächsten Schritt gilt es, diese Dinge anzugehen. Im Rahmen der Therapie haben Sie eine ganze Menge Möglichkeiten, sich zu kontrollieren, den Blutzucker im Blick zu behalten und all diese Dinge. Hier geht es um die Krankheit.
Bei einer anderen Variante, dem emotionsorientierten Coping, beschäftigt man sich damit, welche Gefühle der Diabetes auslöst, etwa Angst vor Folgeerkrankungen oder Traurigkeit. Sind Sie sich darüber im Klaren, können Sie — vielleicht gemeinsam mit anderen — versuchen, ihre unangenehmen Gefühle zu relativieren und Möglichkeiten finden, sich selbst zu beruhigen.
Wie schafft man es, Bedürfnisse ernst zu nehmen?
„Wenn der Diabetes ins Leben tritt, wird das Bedürfnis nach Selbstbestimmung zunächst bedroht“, erläutert Paust. Man muss sich mit etwas beschäftigen, was nicht frei gewählt ist. Es gelte, sich mit einer Erkrankung auseinanderzusetzen, bei der man auf Medikamente oder auf Unterstützung von außen angewiesen ist, so Paust. Ein anderes Bedürfnis, das bedroht ist, ist die Kontrolle. Aber diese lässt sich zurückholen: Indem man etwa kontrolliert, was mit dem Blutzucker passiert. Und dann auch entsprechend handelt.
Psychologin Eva Küstner spricht hier von Selbstwirksamkeit. Gemeint ist: Man kann selbst etwas Positives bewirken, indem man Einfluss nimmt — etwa auf den Blutzuckerverlauf oder das Fortschreiten des Diabetes. Wer sich als selbstwirksam erlebt, bedient natürlich auch das Kontrollgefühl. Und erlebt sich nicht als Spielball der Situation, nach dem Motto: „Der Zucker macht immer, was er will.“ Dadurch kann auch das Selbstwertgefühl gesteigert werden. Denn nichts ist motivierender als der Erfolg, etwas aus eigener Kraft geschafft zu haben.
Wie legt man Perfektionismus ab?
Ganz wichtig: Übersteigerter Perfektionismus ist fehl am Platz. Wer immer alles richtig machen will bei der Diabetes-Therapie oder überhöhte Ziele anstrebt, setzt sich selbst enorm unter Druck. „Sich Fehler zu verzeihen und zu begreifen, dass es schlicht nicht möglich ist, nie etwas falsch zu machen, ist absolut grundlegend“, betont Eva Küstner. Außerdem bedeutet Druck auch Stress und dieser kann in der Folge zu erhöhten Blutzuckerwerten führen.
Besser ist dagegen eine offene Einstellung. „Ich probiere es und dann schaue ich, was dabei herauskommt“. Und das Eingeständnis, dass man immer weiter lernen kann, auch aus Fehlern. Also: runter mit den eigenen Ansprüchen. Und eines nicht vergessen: Wer liebevoll und feinfühlig mit sich selbst umgeht, auch mit den eigenen Fehlern, der sorgt gut für sich selbst — und das ist enorm wichtig für die eigene Gesundheit.
Wie entdeckt man das Positive trotz Krankheit?
Ein Weg: Schreiben Sie dem Diabetes nicht nur belastende Dinge zu. „Diabetes ist nicht nur negativ, sondern bietet auch die Chance, bewusster mit sich, mit dem eigenen Körper und seiner Ernährung umzugehen“, so Paust. Vielleicht führt genau diese Suche nach dem Positiven auch dazu, dass man sich eigener Grenzen im Leben bewusst wird. Und auch das muss nicht negativ sein. Man erfährt dadurch etwas über sich selbst.
Auf der Suche nach dem Positiven können im Übrigen auch Menschen helfen, die bei der Erkrankung begleiten: Vielleicht sind es Ärzte und Ärztinnen, die die „richtigen“ Fragen stellen. Oder Angehörige, eine Selbsthilfegruppe, gute Freunde, die da sind, wenn die Zuversicht gerade mal wieder abhandengekommen ist.
Quellen:
- diabetesDE Deutsche Diabetes Hilfe: Diabetes-Selbsthilfe in Deutschland: Eine Übersicht. Online: https://www.diabetesde.org/... (Abgerufen am 10.06.2024)
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.: NVL Typ-2-Diabetes (2023). Online: https://www.leitlinien.de/... (Abgerufen am 10.06.2024)
- Wirtz M: Coping. Online: https://dorsch.hogrefe.com/... (Abgerufen am 10.06.2024)
- Müssig K: Wie kann Diabetes Gehirn und Psyche beeinflussen?. Online: https://www.diabinfo.de/... (Abgerufen am 10.06.2024)
- Abrahamian H, Kautzky-Willer A, Rießland-Seifert A et al.: Psychische und neurokognitive Erkrankungen und Diabetes mellitus (Update 2023). Online: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 10.06.2024)