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Was haben Menschen, Kamele und Wale gemeinsam? Wenn nach der Geburt eines Babys die Nachgeburt folgt, finden sie das wenig appetitanregend. Alle anderen machen sich sofort über den Mutterkuchen her. Selbst Tiere, die sonst eigentlich nur Grünzeug futtern. Außer Menschen, Kamelen und Walen eben. Zumindest war das lange so. Bis zu einem Hype aus Hollywood. Von Tom Cruise über Kim Kardashian bis Chrissy Teigen: Inzwischen ist die Liste der bekennenden Plazentophagen, der Plazentaesser, unter den Promis lang. Zumal das Geständnis natürlich Schlagzeilen garantiert.

Verzehr der Plazenta könnte sich positiv auf die Gesundheit auswirken

Einfach eklig? Biologin Jana Pastuschek findet an dem Trend aus Hollywood nichts Schlimmes. Zumal die Einnahme der Plazenta in der traditionellen Heilkunde weltweit einen wichtigen Platz hat. Zusammen mit der Medizinerin Dr. Sophia Johnson hat Pastuschek der vielfältigen Verwendung der Plazenta ein Buch gewidmet. „Plazenta Power“ heißt es. „Ein Stückchen in einen Beerensmoothie, das schmeckt man gar nicht“, sagt sie und lächelt. Dass der Verzehr von Plazenta einen positiven Effekt hat, kann sich die Forscherin vom Uniklinikum Jena durchaus vorstellen. Schließlich ist das Organ eine Hormonbombe. Ob es einem Baby-Blues vorbeugt oder die Milchbildung anregt, ist nicht belegt. Gefährlich ist der Verzehr aber im Normalfall nicht, wie Untersuchungen von Johnson gezeigt haben.

Die gesamte Schwangerschaft über sind das Ungeborene und die Mutter durch die Plazenta miteinander verbunden.

Die gesamte Schwangerschaft über sind das Ungeborene und die Mutter durch die Plazenta miteinander verbunden.

Plazenta ist für das Ungeborene lebensnotwendig

Etwas Gutes hat der Trend aber in jedem Fall. Er lenkt den Blick auf ein wundersames Organ, das noch viele Geheimnisse birgt. „Ohne Plazenta ist menschliches Leben nicht möglich“, sagt Pastuschek. Wenn im Mutterleib ein Embryo heranwächst, tut er das nie allein. Von dem Zellhäufchen, das durch den Eileiter wandert, um sich in der Gebärmutter einzunisten, ist ein Teil auf Plazenta programmiert. Wie Wurzeln verzweigen sich ihre fingerförmigen Zotten in der Gebärmutterschleimhaut. Aus dem mütterlichen Blut saugen sie alles, was das Kind zum Wachsen braucht. Zudem geben sie Abfallstoffe ab und halten viele Bakterien, Viren und Giftstoffe fern.

Die ganze Schwangerschaft hindurch verbindet die Plazenta die Mutter und das Kind und behütet das Ungeborene. Bis zur Geburt. Das Kind wird der Mutter an die Brust gelegt, die Plazenta landet meist im Klinikmüll. Pastuschek findet das schade. Zumal dieses Ende des Organs keineswegs besiegelt ist. „Die Plazenta gehört der Mutter“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie kann sie mit nach Hause nehmen oder auch der Forschung spenden.

Wir gehen oft respektlos mit unserer Plazenta um

Plazenta wird in vielen Kulturen verehrt

In Jena helfen gespendete Organe, Fragen zu beantworten, die für die Gesundheit von Mutter und Kind wichtig sind. Etwa, welche Arzneimittel durch die Plazenta zum Kind gelangen und welche nicht. „Wir gehen oft respektlos mit unserer Plazenta um“, findet auch Dr. Judith Kouematchoua Tchuitcheu. Die Hamburger Gynäkologin hat dem Organ eine Doktorarbeit gewidmet, die zeigt, dass es einmal anders war.

In den meisten Kulturen erahnte man, dass man in dem etwa 500 Gramm schweren blutigen Fladen etwas Bedeutsames vor sich hatte. Bräuche rund um die Plazenta gab es rund um die Welt. In manchen Kulturen gibt es sie noch heute. „Was man in ihr sah, erkennt man, wenn man die Bezeichnung für sie übersetzt“, sagt die Frauenärztin. In Kamerun heißt die Plazenta „Sessel des Kindes“, bei den Letten „andere Hälfte“, in Mexiko „Gefährten“, in Uganda sogar „Zwilling des Kindes“ – eine Vorstellung, die sich besonders häufig findet.

Inzwischen wird der Plazenta wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, was Kouematchoua Tchuitcheu freut. Mütter lassen alte Bräuche aufleben, neue sind hinzugekommen: ein Plazenta-Bild oder gleich das Gesamtpaket mit Traumfänger aus der Nabelschnur – die neu entdeckte Freude am Ritual weckt offenbar viel Kreativität und auch Geschäftstüchtigkeit. Fast wie in Hollywood.

Die Plazenta vergraben und ein Bäumchen pflanzen

Nach der Geburt wurde die Plazenta früher häufig Mutter Erde zurückgegeben. Teils geschah dies in einem Ritual, das einer Bestattung ähnelte. Auch in Deutschland war es in vielen Gegenden üblich, die Plazenta zu vergraben. Danach wurde ein Birnbaum für ein Mädchen und ein Apfelbaum für einen Knaben darauf gepflanzt. Der Brauch lebt auch heute wieder auf. Wer seine Plazenta vergraben möchte, sollte dies am besten im eigenen Garten tun. Es sind Fälle bekannt, in denen sie im Park von einem Tier ausgebuddelt und die Polizei gerufen wurde.

Im Keller eines alten Hauses machten Mitglieder der Historischen Gesellschaft Bönnigheim 1984 einen rätselhaften Fund. Etwa zehn Zentimeter unter der Oberfläche steckten dort mehrere Tontöpfe mit mysteriösem braunem Inhalt. Andere württembergische Gemeinden meldeten ähnliche Funde. Eine Analyse der Rückstände ergab: Sie enthielten menschliche Nachgeburten. Ein möglicher Grund, warum sie vergraben wurden: um sie vor Hexen zu verstecken. So glaubte man einst, dass diese aus der Plazenta einen Wechselbalg, ein missgestaltetes Kleinkind, wachsen lassen können.

Der Mutterkuchen als uraltes Heilmittel

Von China bis Deutschland: In der traditionellen Medizin vieler Kulturen finden sich beim Einsatz der Plazenta als Heilmittel überraschende Parallelen. So wird sie empfohlen, um die Milchbildung anzuregen oder wenn die Mutter unter Gemütsschwankungen leidet. Gepriesen wird auch ihre Wirkung bei Unfruchtbarkeit sowie als Aphrodisiakum. Noch heute wird die Plazenta in der Homöopathie verwendet. Beliebt sind auch Plazenta-Kapseln, vor allem in den USA. Ob und wie diese wirken, ist allerdings völlig unklar.