Baby und Familie

Ein Leben ohne Kind? Niemals, sagte neulich eine Freundin. Wir unterhielten uns über künst­liche Befruchtung und wie weit man wohl selbst gegangen wäre, hätte es mit dem Schwangerwerden nicht natürlich geklappt. Besagte Freundin hätte jedenfalls alle Möglichkeiten der Reproduktions­medizin ausgeschöpft.

Fortpflanzung und Gesetz

Laut Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren werden pro Jahr etwa 100 000 In-vitro-Fertilisationen (IVF) durchgeführt. Dabei findet die Befruchtung der Eizelle im Labor und nicht im Körper der Frau statt. Mithilfe der medizinisch assistierten Fortpflanzung kommen in Deutschland jedes Jahr etwa 24 000 Kinder zur Welt. Es wären vielleicht mehr, würde der Gesetzgeber anstelle des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) von 1990 ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz erlassen. Dafür sprachen sich Mediziner, Juristen und Wissenschaftler in der 2019 veröffentlichten Stellungnahme der Wissen­schafts­akademie Leopoldina aus. 

Prof. Dr. Jochen Taupitz ist Gesundheits- und Medizinrechtler an der Universität Mannheim

Prof. Dr. Jochen Taupitz ist Gesundheits- und Medizinrechtler an der Universität Mannheim

Zu den in Deutschland verbotenen Methoden gehören die Eizellspende, Leihmutterschaft und kommerzielle Embryonenspende. "Letzteres bedeutet, es ist unzulässig, Embryonen mit Spenderabsicht herzustellen und zu vermarkten", erklärt der Gesundheits- und Medizinrechtler Prof. Dr. Jochen Taupitz von der Universität Mannheim. Erlaubt sei allerdings, bereits vorhandene Embryonen zu spenden. "Etwa weil die Familienplanung ab­­geschlossen ist oder weil die Lebens­um­stände der Frau einen Embryo­nen­­transfer verhindern", sagt Taupitz, der unter anderem Vorsitzender des Deutschen Ehtikrates war und an der Leopoldina-Stellungnahme zur zeitgemäßen Regelung der Fortpflanzungs­medizin mitwirkte.

Dr. med. Joachim Neuwinger ist Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in Nürnberg

Dr. med. Joachim Neuwinger ist Gynäkologe und Reproduktionsmediziner in Nürnberg

Von der Eizelle zum Embryo

Seit 2015 wurden bundesweit 41 Kinder infolge einer Embryonenspende geboren. Zurzeit sieht die Vorgehensweise dabei so aus: Im Grunde beginnt die Spende bei dem Paar, das sich nur durch eine künstliche Befruchtung den eigenen Kinderwunsch erfüllen kann. Der Patientin werden im Zuge ihrer eigenen Behandlung mehrere Eizellen entnommen und mit den ­Samenzellen des Partners befruchtet, damit sich daraus Embryonen entwickeln. "Ziel ist es, am dritten bis fünften Tag nach der Befruchtung den ­sogenannten Embryonentransfer vorzunehmen, also Embryonen in die Gebärmutter einzusetzen. Dafür müssen sie so weit entwickelt sein, dass sie das Potenzial haben, in der Gebärmutter weiter zu gedeihen und zu einer Schwangerschaft zu führen", erklärt der Gynäkologe und Reproduktionsmediziner Dr. Joachim Neuwinger aus Nürnberg. Zu dem Zeitpunkt würde der Embryo auch nach einer spontanen Befruchtung die Gebärmutter erreichen, um sich dort einzunisten.

Embryonen im Eis

Entwickeln sich mehr Embryonen, als der Frau in die Gebärmutter eingesetzt werden (in der Regel ein bis zwei, zulässig nach ESchG sind maximal drei), können sie auch jetzt noch eingefroren werden. Bei der sogenannten Vitri­fizierung werden sie schockgefroren und erstarren in ­einem glasartigen Zustand. "Diese verwaisten Embryonen im Blastozysten­stadium dürfen nach aktueller Rechtsauffassung gespendet werden", berichtet Neuwinger. In diesem Stadium bleiben, wenn überhaupt, aber nur we­nige Embryonen übrig, da Frauen sich immer später für ein Kind ­entscheiden und die Eizellreserve mit fortschreitendem ­Alter stark abnimmt.

"Rein juristisch ist eine Spende auch schon ab dem dritten Tag nach Befruchtung möglich, weil dann die Kernverschmelzung vollendet ist und wir ab diesem Zeitpunkt von einem Embryo sprechen", erläutert der Reproduktionsmediziner.

Eine Embryonenspende erfolgt meist mit einer befruchteten Eizelle ab dem dritten Entwicklungstag.

Eine Embryonenspende erfolgt meist mit einer befruchteten Eizelle ab dem dritten Entwicklungstag.

Dr. Petra Thorn ist Sozialarbeiterin und Familientherapeutin aus Mörfelden

Dr. Petra Thorn ist Sozialarbeiterin und Familientherapeutin aus Mörfelden

Nur wenige Spenden

Die Bereitschaft, Embryonen zu spenden, ist ohnehin nicht allzu groß. Neuwinger bescheinigt potenziellen Spenderpaaren zwar eine zuneh­mende ­­Bereitschaft und erklärt das mit ­Empathie für kinderlose Paare. Doch die aktuellen Zahlen spiegeln das nicht wider. 2019 erfasste das Netzwerk ­­Embryonenspende Deutschland e. V. 40 Spenden. Dem standen 300 Anträge gegenüber von Paaren, die auf eine Spende warteten.

Auch die Sozialarbeiterin und Familientherapeutin ­Dr. Petra Thorn aus Mörfelden weiß aus den Beratungen, dass sich nur wenige Paare eine Embryonen­spende vorstellen können. "Sie geben potenzielle Vollgeschwister ihrer bereits geborenen Kinder weg. An dem Punkt stoßen Eltern oft an ­ihre emotionalen Grenzen. Eine Spende betrifft die ganze Familie – die Kinder, eventuell sogar die Großeltern. Denn wir gehen davon aus, dass die ­mithilfe der Spende gezeugten Kinder sich für ihre genetischen Eltern und ihre Vollgeschwister interessieren werden und den Kontakt suchen", sagt die Familientherapeutin, die potenzielle Spender- und Kinderwunschpaare betreut und begleitet. Trotz der Zurückhaltung bei der Spendenbereitschaft befürwortet sie ein zeitgemäßes Gesetz in der Fortpflanzungs­medizin. Thorn ist ­zudem Mitglied der Arbeitsgemeinschaft, die die Leopoldina-Stellungnahme verfasst hat.

Eizellspende legalisieren?

Reproduktionsmediziner könnten wahrscheinlich mehr Paaren zum Wunschkind verhelfen, wenn auch imprägnierte Eizellen im Vorkern­stadium zur Embryonen­spende erlaubt wären. Nach derzeit geltendem Recht verstößt aber genau das gegen das Verbot der Vorratshaltung.

Von imprägnierten Eizellen spricht man, wenn die Samen- in die Eizelle eingedrungen, aber die Verschmelzung noch nicht abgeschlossen ist. Diese Zellen einzufrieren ist gestattet und wird in der Regel im Zuge jeder IVF- und ICSI-Behandlung gemacht – aber laut ESchG ausschließlich zur späteren Weiterentwicklung für Embryonen zur Übertragung auf die Frau, von der die imprägnierten Eizellen auch tatsächlich stammen. "Meist bilden sich durch Hormonunterstützung der ­Patientin in einem Zyklus 6 bis 14 Ei­zellen aus, die alle befruchtet werden. Die Befruchtungsrate liegt bei rund zwei Drittel. Davon wird etwa die Hälfte schon im Vorkernstadium kryo­konserviert", erklärt Neuwinger. Ein mittlerweile üblicher Vorgang, denn so bleiben der Frau weitere Hormonstimulierungen zur Eizellbildung sowie deren Entnahme erspart.

Der Knackpunkt: "Werden diese ­Zellen nun aufgetaut und zu einem Embryo weiterkultiviert, um sie einer fremden Frau einzusetzen, ist das per Embryonenschutzgesetz verboten", sagt Medizinrechtler Taupitz. Um das zu ermöglichen, müsste der Gesetz­geber die Eizellspende lega­lisieren, so der Jurist. Er würde das befürworten und folgt auch hier der Empfehlung der Leopol­dina. 

Argumente wie kommerzieller Handel, Vorratshaltung oder Se­lektion sieht der ehemalige Ehtikratsvorsitzende nicht mehr als Hindernis. "Das lässt sich alles juristisch regeln", sagt Taupitz. Er hält es für gefährlich, mittlerweile etablierte medizinisch wirksame Methoden in der Reproduk­tionsmedizin weiterhin zu verbieten. "­Paare die unbedingt ein Kind wollen, gehen dann ins Ausland. Auf die Behandlungen dort haben wir weder ethisch, rechtlich noch medizinisch Einfluss", gibt der Jurist zu bedenken.

Selbst die ethischen Argumente der Gegner lässt er nicht gelten. "Die Eizellspende wurde seinerzeit verboten. Man fürchtete, die Kinder, die daraus entstehen, könnten einen psychischen Schaden davontragen, weil sie eine ­genetische Mutter haben und eine, die sie ausgetragen und geboren hat. Derar­tige Befürchtungen konnten aber vollständig widerlegt werden", sagt der Jurist.

Nichts verheimlichen

Eine frühe Aufklärung sei wichtig, ­erklärt Familientherapeutin Thorn. "Empfängerpaare fürchten häufig, dass das Kind sich vielleicht nicht so stark an sie binden könnte. Doch Studien mit Adoptivkindern zeigen, dass diese Ängste unbegründet sind. Bindung ist mehr als Abstammung. Sie entsteht, wenn Menschen sich emotional aufeinander einlassen und Kinder sich sicher und geborgen fühlen. Darüber hinaus ist für Kinder, die durch eine Spende entstanden sind, die frühe Aufklärung wichtig. Das kann schon im Kindergartenalter vereinfacht beginnen, wenn die Kleinen anfangen, sich dafür zu interessieren, wo sie herkommen", sagt Thorn.

Das Netzwerk vermittelt

Und wie kommen Spender und Empfänger zusammen? Eine entsprechende Datenbank verwaltet das Netzwerk Embryonenspend Deutschland und vermittelt Embryonenspenden. Spenden dürfen Frauen, die zum Zeitpunkt der Kryokonservierung der Embryonen höchstens 37 Jahre alt sind. Sie müssen mindestens ein ­eigenes Kind haben, ein weiterer Kinderwunsch muss ausgeschlossen sein.

Beim Empfängerpaar liegt die ­Altersgrenze höher. Frauen können ­eine Embryonenspende mit maximal 45 Jahren empfangen, ihr Partner darf höchstens 55 Jahre alt sein. Das Paar muss per Attest nachweisen, dass alle anderen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, um den Kinderwunsch zu erfüllen, ausgeschöpft und gescheitert sind.

Spender- und Empfängerpaare bleiben anonym, mit beiden wird jeweils ein Vertrag geschlossen, der notariell beglaubigt und hinterlegt wird. So kann das Kind ab dem Alter von 16 Jahren Auskunft darüber erhalten, wer seine genetischen Eltern sind. Unterhaltsansprüche ihnen gegenüber sind aber seit 2017 ausgeschlossen.