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Die Nachricht trifft sie in der Ausbildung, beim Start ins Berufsleben oder mitten in der ­Familienplanung. Jedes Jahr stellt eine Krebsdiagnose das Leben von etwa 16.500 jungen Erwachsenen in Deutschland auf den Kopf. Von einem Tag auf den anderen geht es statt um Karriereplanung und Partnersuche um Leben oder Tod.

Die Chancen, die Krankheit zu überwinden, sind in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen. "Mehr als 80 Prozent der jungen Krebs­­patienten können heute geheilt werden", sagt Professor Ralf Dittrich, wissenschaftlicher Leiter der Reproduk­­tionsmedizin am Universitätsklinikum Erlangen. Doch Erkrankung und Therapie hinterlassen oft Spuren. Diese zeigen sich zum Beispiel, wenn sich die Betroffenen ein Kind wünschen. Denn der Preis für die Heilung ist in vielen Fällen Unfruchtbarkeit. "Vor allem Chemotherapie und Bestrahlungen können den Keimdrüsen schaden", erklärt Dittrich.

Kasse muss die Kosten tragen

Manche Behandlungen reduzieren die Fruchtbarkeit nur, bei anderen wie einer Leukämietherapie mit Chemo und Ganzkörperbestrahlung erlischt diese meist komplett. Auch wenn nach der Krebsdiagnose erst mal das Überleben im Vordergrund steht: "Bleibt der ­Kinderwunsch später unerfüllt, leiden viele enorm darunter", so Dittrich.

Doch gibt es Methoden, um die Zeugungsfähigkeit zu erhalten. "Die Pa­­tienten mussten diese allerdings bislang selbst bezahlen", sagt Professorin Diana Lüftner, Onkologin an der Berliner Charité und Vorsitzende der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Alle Kosten zusammen­­genommen, kommen vor allem Frauen hier schnell auf mehrere Tausend Euro. Für zahlreiche Betroffene war die finanzielle Belastung bisher kaum zu stemmen. Seit Juli 2021 steht Menschen mit Krebs oder anderen Krankheiten, die sich auf die Fruchtbarkeit auswirken können, die sogenannte Kryokonservierung automatisch zu.

Ei- und Samenzellen für später

Durch das neue Terminservice- und Versorgungsgesetz wurden Maßnahmen zum Erhalt der Fruchtbarkeit 2019 zur verpflichtenden Kassenleistung. Was genau bezahlt werden muss, war jedoch lange unklar. Die Leistungen festzulegen ist Sache eines Expertengremiums, des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Seit Juli 2021 gilt nun: Alle Krankenkassen müssen für das Einfrieren von Sperma- und ­Eizellen (Kryokonservierung) aufkommen. Diese stehen dann später für künstliche ­Befruchtungen bereit. Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise ein Kind zu bekommen, liegt pro Versuch bei ­etwa 30 Prozent. Doch die Methode hat auch Nachteile: Um mehrere Befruchtungen durchführen zu können, müssen bei Frauen möglichst viele Eizellen gewonnen werden. Dazu ist eine hormonelle Stimulation nötig, die etwa drei Wochen in Anspruch nimmt. Nicht immer ist das möglich. "Leidet ein Patient zum Beispiel an einer akuten Leukämie, darf man mit der Therapie keine Zeit verlieren", erklärt Lüftner.

Auch bei hormonabhängigem Brustkrebs, dessen Wachstum von weiblichen Geschlechtshormonen gefördert wird, sind manche Experten zurückhaltend. "Es gibt hier gute Zahlen, dass der Krankheitsverlauf nicht ungünstig beeinflusst wird", beruhigt Dittrich. Zumal während der Behandlung ein Anti-Östrogen verabreicht werden kann, das den Anstieg des Hormonspiegels verringert. Doch ein Restrisiko bleibt. Ein weiteres Problem: Bei Mädchen unter 18 Jahren wird die Kryokonservierung nicht bezahlt. "Die Medikamente für die notwendige Hormonbehandlung sind für diese Altersgruppe nicht zugelassen", sagt Lüftner.

Drängt die Zeit oder ist eine hormonelle Stimulation riskant, zeigt eine innovative Methode erste Erfolge. Die Eizellen werden dabei unreif entnommen und reifen im Labor aus. Man spricht von In-vitro-Maturation.

Erstes Baby mit neuer Methode

In Frankreich hat jetzt erstmals eine junge Brustkrebspatientin auf diesem Weg ein gesundes Kind zur Welt gebracht. "Es ist eine alternative Methode, doch zeigt sie bislang keine sicheren Erfolge und wird daher noch nicht empfohlen", sagt Dittrich.

Nur wenig Therapieaufschub hat dagegen eine ebenfalls relativ neue, aber bereits bewährte Methode zur Folge. Sie kann zudem sogar bei Mädchen vor der Pubertät angewandt werden: das Einfrieren von Eierstockgewebe. In einem etwa 20-minütigen minimal- invasiven Eingriff wird ein Stück ­Gewebe entnommen und eingefroren. "Ein, zwei Tage später kann man schon mit der Chemotherapie beginnen", berichtet Dittrich. Nicht angewandt wird die Methode allerdings bei Blutkrebs, da die Gefahr besteht, dass sich im entnommenen Gewebe einzelne Krebszellen verstecken. Das könnte zu einem Rückfall führen.

Das Gewebe ruht so lange tiefgefroren, bis die Patientin sich ein Kind wünscht. Dann wird es in einem erneuten Eingriff wieder eingesetzt – "in eine kleine Tasche in die Beckenwand", schildert Reproduktionsmediziner Dittrich. Nach ein paar Monaten ist es angewachsen. Das klappt in vier von fünf Fällen. "Dann ist die Frau im Prinzip wieder fruchtbar." Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass sie tatsächlich schwanger wird. Bislang gelingt dies etwa bei einem Drittel der Patientinnen. Die Zahlen seien allerdings vorläufig. Ob die Kosten für dieses Verfahren erstattet werden, ist noch unklar.
Erhält die Frau Bestrahlungen im Unterleib, ist es zudem möglich, die Eierstöcke aus dem bestrahlten Gebiet zu verlegen. Zum Teil können sie später zurückversetzt werden.

Eierstöcke ruhig stellen

Während einer Chemotherapie wird in Erlangen eine weitere Methode angewandt: Bestimmte Arzneien, sogenannte GnRH-Agonisten, sollen die Eier­stöcke ruhig stellen. "Sie werden in einen vorpubertären Zustand versetzt", erklärt Dittrich. Die schädigende Wirkung der Krebsmedikamente wird so nachweislich verringert. Die Methode ist allerdings unsicher. Alternativen zur Kryokonservierung gibt es auch für Männer. Befinden sich keine Samenzellen im Ejakulat, kann Hodengewebe entnommen und Sperma daraus gewonnen werden. Möglich ist zudem die Entnahme von unreifem Hodengewebe bei Jungen vor der Pubertät. Es kann später zurückversetzt werden und reifen. "Die Methode ist allerdings noch experimentell", betont Dittrich.

Um sich für eine Maßnahme zu entscheiden, ist für die Patienten vor allem eines wichtig: umfassende Information. Viele Betroffene stehen erst einmal unter Schock. "Die meisten haben noch nie davon gehört, dass eine Krebstherapie der Fruchtbarkeit schadet", berichtet Dittrich. Zwar steht das heute in jedem Aufklärungsbogen zur Chemotherapie, und die Ärzte erläutern ihren Patienten die Hintergründe. "Doch kommt es sehr darauf an, wie sensibel der Arzt das Thema anspricht." Die meisten Betroffenen wollen nach überstandener Krebserkrankung ein neues Leben beginnen. Eine Familie gründen zu können empfinden viele als ein ganz besonderes ­­Geschenk.