Verzerrte Wahrnehmung der Finanzen: Wieso haben alle mehr Geld als ich?
Professor Felser, vor allem jüngere Menschen sollen unter der sogenannten Geld-Dysmorphie leiden: Dem Gefühl, finanziell schlechter dazustehen als andere. Woran liegt das?
Prof. Georg Felser: Hier muss man erst einmal zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungen unterscheiden: Manche glauben, weniger Geld zu haben, als es tatsächlich der Fall ist. Andere wissen zwar so ungefähr, was sie selbst haben, glauben aber, dass andere viel mehr haben. Das heißt, es kommt immer darauf an, ob ich meine eigene Situation und die Situation anderer realistisch einschätze.
Wer noch studiert oder in der Ausbildung ist, hat ja meist tatsächlich eher wenig Geld zur Verfügung.
Felser: Ganz genau. Meistens steigt das Einkommen ja auch mit dem Alter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit.
Haben jüngere Menschen ein anderes Verhältnis zu Geld als ältere Generationen?
Felser: Das Vergleichen mit anderen nimmt zu. Durch Social Media bekommt man wahnsinnig viel davon mit, wie es anderen geht. Vieles von dem, was da gezeigt wird, ist verzerrt und nicht repräsentativ. Trotzdem kann es unzufrieden machen und dafür sorgen, dass die eigene Wahrnehmung nicht mehr stimmt. Hinzu kommt, dass gerade die jüngere Generation ständig alternative Lebensentwürfe vor Augen geführt bekommt. Sie haben sehr viele Optionen, was an sich natürlich toll ist. Aber am Ende kann man nur einen Teil davon verwirklichen. Auch das kann dafür sorgen, dass man unzufrieden ist. Manchmal steigt dadurch auch die Bereitschaft, Schulden aufzunehmen.
Das klingt fast so, als hätten wir verlernt, mit Geld umzugehen.
Felser: Zumindest ist es so, dass viele Menschen, ganz unabhängig vom Alter, keinen sehr guten Einblick in ihre eigenen Finanzen haben. Viele wissen zum Beispiel nicht, wie hoch ihre Ausgaben tatsächlich sind, wohin das Geld geht oder was gute oder schlechte Bedingungen für einen Kredit sind. Die meisten tun sich auch schwer damit, zu berechnen, wie lange sie etwas abbezahlen müssen. Für sich genommen führt diese Unwissenheit noch nicht dazu, dass sich Menschen verschulden. Aber sie kann zumindest ein Motor dafür sein, irgendwann in finanzielle Bedrängnis zu kommen.
Warum fällt es uns so schwer, sich einen Überblick über die eigene finanzielle Situation zu verschaffen?
Felser: Manche Sachen sind schlichtweg lästig und unangenehm. Oder langweilig. Es gibt Dinge, die machen mehr Spaß, als sich mit Miete, Versicherungen, Strom oder irgendwelchen Verbrauchsdaten zu beschäftigen. Das Problem ist, wenn wir uns mit solchen Sachen nicht beschäftigen, wissen wir auch nicht, wohin genau das Geld fließt oder woran es liegt, dass die Heizkosten dieses Jahr höher waren. Liegt es daran, dass ich mehr geheizt habe oder sind die Heizkosten generell gestiegen? Man muss genau hinschauen und das kann sehr mühsam sein.
Angenommen, ich habe mich noch nie so richtig mit meinen Finanzen befasst und will das nun ändern. Wie kann ich starten?
Felser: Man könnte damit anfangen, die Ausgaben zu dokumentieren. Viele machen zum Beispiel Online-Banking oder haben ihre Kontoauszüge vorliegen. Dadurch kann man sich schon einmal einen guten Überblick verschaffen. Auch pro Tag kann man sich die verschiedenen Ausgaben notieren. Für junge Leute, die ja meist nicht die Ausgaben für eine ganze Familie überblicken müssen, ist das nicht sehr aufwendig. Ein weiterer Vorteil: Man macht sich Dinge, die normalerweise ganz automatisch ablaufen, bewusst. Alleine dieses Bewusstmachen hat bereits einen positiven Effekt: Man handelt weniger impulsiv und berücksichtigt im eigenen Verhalten eher die langfristigen Ziele.
Dadurch könnten wir uns auch ein finanzielles Polster ansparen, oder?
Felser: Richtig. Auch das ist so ein Punkt, der mit dem Alter zusammenhängt. Gerade jüngere Erwachsene denken nicht so sehr in diesen Vorsorge-Dimensionen. Sie handeln eher impulsiv, aus dem Moment heraus. Das wird durch Optionen wie „Jetzt kaufen, später bezahlen“ noch verstärkt. Die Vorstellung, später etwas zu haben ist nicht so attraktiv wie die Vorstellung, es jetzt sofort zu haben. Und etwas in Zukunft zu bezahlen tut auch nicht so weh, wie es jetzt gleich zu bezahlen. Das kann dazu führen, dass Menschen viel zu schnell entscheiden und auch schnell mal Schulden machen. Vor allem, wenn Emotionen im Spiel sind. Also wenn durch den Kauf das Belohnungszentrum angeregt wird. Durch Social Media und Online-Shops ist die Ware jederzeit verfügbar und zum Greifen nah. Das macht es nicht gerade leichter.
Haben Sie einen Tipp, wie man den Versuchungen öfter standhalten kann?
Felser: In der Verhaltensökonomie gibt es den Begriff der mentalen Kontoführung. Das bedeutet, dass man bestimmten Dingen wie Lebensmitteln oder Kleidung im Kopf verschiedene Konten zuweist. Und wenn man eines der Konten zu sehr belastet, ist das im besten Fall ein Anreiz, in diesem Bereich jetzt nicht noch mehr Geld auszugeben. Wenn jemand zum Beispiel in dieser Woche schon einmal ausgegangen ist und sich dann die Gelegenheit ergibt, ein zweites Mal auszugehen, dann ist er oder sie möglicherweise weniger bereit, dem nachzugehen. Wer dieses Konto im Hinterkopf hat, bekommt eher das Gefühl, dass zweimal pro Woche ausgehen vielleicht etwas viel ist. Solche Strategien können sehr nützlich sein, um sich selbst ein bisschen zu disziplinieren.
Alleine im Internet gibt es ja unzählige Tipps, die beim Sparen helfen sollen.
Felser: Es gibt sehr viele Strategien und Routinen. Da muss man auch gucken, was zu einem passt. Ein Student hat ganz andere Einnahmen und Ausgaben als eine große Familie. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Strategien, mit denen man den Überblick behält. Natürlich kann es sich auch lohnen, sich von Fachleuten beraten zu lassen oder ein Online-Tool zu benutzen. Aber ich glaube, der wichtigste Schritt ist, überhaupt offen für das Thema Finanzen zu sein.