Nachhaltig leben: Grüner Wohnen
Als vor wenigen Tagen mal wieder die große Langeweile drohte, musste unbedingt ein Stickrahmen her. Claire G. nahm ihr Handy und sendete eine Mail an die Nachbarn. "Eine Stunde später lagen zwei Rahmen vor unserer Tür", erzählt die Mutter, die mit ihrem Mann Arnim und ihren beiden Kindern Erik (6) und Martha (2) in Lüneburg in einem Wohnprojekt lebt. Eigentlich erscheint das Thema des nachhaltigen Wohnens etwas zu groß, um es an zwei kleinen Stickrahmen festzumachen. Aber das ließe sich, einzeln betrachtet, wohl auch zum gemeinsamen Lebensmitteleinkauf, der gemeinsamen Resteverwertung oder zum nachbarschaftlichen Auto-Teilen sagen.
Die Grundidee
Zusammengenommen wird aus diesen und anderen Dingen aber das Gemeinschaftliche – die Grundidee, die das Wohnprojekt "LeNa" (Abkürzung für "Lebendige Nachbarschaft") trägt. Und die man in Zeiten wie diesen nicht unterschätzen darf: dass für einen eingekauft wird, wenn man alt ist. Oder Hilfe kommt, wenn man mit zwei kleinen Kindern seit Wochen zu Hause sitzt und denkt: "Ein Stickrahmen, das wär jetzt was!"
Aber natürlich ist das Thema des nachhaltigen Wohnens größer, so wie auch hinter LeNa mehr steckt als eine Mailingliste. LeNa ist nicht nur gemeinschaftlich, sondern auch generationenübergreifend, ökologisch und, wie es auf der Website heißt, "konfliktfreudig- konsensorientiert".
Es deckt damit im Grunde die "drei Säulen" ab, von denen Stefanie Friedrichsen spricht, wenn sie Vorlesungen und Vorträge zu nachhaltigem Bauen und Wohnen hält. Friedrichsen ist Bauingenieurin, Professorin an der FH Münster und beschäftigt sich seit Langem mit diesem Thema. "Oft geht es in der öffentlichen Diskussion nur um Energie und CO2", sagt sie. "Das sind wichtige Themen, aber nachhaltiges Bauen und Wohnen beinhaltet neben der ökologischen Dimension auch eine soziale und natürlich wirtschaftliche."
Nachhaltig in jeder Sicht?
Oft überschneiden sich diese auch. Zudem braucht es eben nicht nur Antworten auf die Klimakrise, sondern beispielsweise ebenso auf neue Familienformen, die demografische Entwicklung und – vor allem in Städten – die Spekulation am Wohnungsmarkt.
Doch nehmen wir allein den ökologischen Aspekt: Baut eine Familie einen 300-Quadratmeter-Bungalow auf die grüne Wiese, wird daraus sogar dann kein ökologisch-nachhaltiges Projekt, wenn sie Strom und Wärme komplett selbst produziert und das Haus von vorne bis hinten mit LED-Lampen bestückt.
Denn was bleibt, ist nicht nur der Rohstoff-, sondern auch der Flächenverbrauch: Noch immer werden laut Umweltbundesamt (UBA) hierzulande täglich 58 Hektar Land für Siedlungen und die dafür notwendigen Verkehrswege ausgewiesen, was in etwa der Größe von 82 Fußballfeldern entspricht. Selbst in Orten, deren Kerne verwaisen, werden an den Rändern munter Neubaugebiete für Einfamilienhäuser geplant. "Dabei wäre es nicht nur ökologisch sinnvoller, den Altbestand zu fördern, der 99 Prozent des Wohnbestands ausmacht", sagt Stefanie Friedrichsen.
Tatsächlich war dies auch ein Punkt, über den Claire G. und ihr Mann Arnim nachdachten: Das LeNa-Projekt wurde nach einem der höchsten Effizienzhausstandards gebaut, die Wärme kommt aus einem eigenen Blockheizkraftwerk, große Teile des Stroms aus Fotovoltaik. "Aber es ist und bleibt ein Neubau auf einem Gelände, das hätte unbebaut bleiben können", sagt Claire G. und fügt hinzu: "Nachhaltiger geht immer."
Eine große Gemeinschaft
Trotz allem kann LeNa als vorbildlich gelten, auch wenn nicht alles so kam, wie die Projektgruppe es gern gehabt hätte: Anfangs (die ersten Ideen gab es schon 2003) war LeNa rein genossenschaftlich gedacht. Mit dem Genossenschaftsgedanken konnten Banken lange Zeit nichts anfangen, während er heute wieder in immer mehr Lebensbereiche vordringt. Was das Wohnen betrifft, fördern ihn gerade auch größere Städte – München etwa vergibt eigenes Land vorwiegend an Genossenschaften und Baugemeinschaften.
Dass 2015 die Fertigstellung von LeNa gelang, hängt jedenfalls mit einem Kompromiss zusammen: Nur die 7700 Quadratmeter Grund sind in genossenschaftlichem Besitz und damit dem freien Markt entzogen. Die 36 Wohnungen – in drei Baukörpern – sind Eigentum. "Allerdings hat die Genossenschaft, der die Eigentümer automatisch angehören, nicht nur ein Ankaufsrecht, wenn eine Wohnung frei werden würde", sagt Claire G. "Sie hätte auch ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Käufers." So ist nicht nur Geld entscheidend, sondern auch, ob jemand in die Gemeinschaft passt, die 78 Personen zählt (54 Erwachsene, 24 Kinder). Die jüngste Bewohnerin ist zwei, die älteste 80 Jahre alt.
Familie G. stieß erst 2014 dazu, nachdem ein Projektmitglied ausgestiegen war. "Wir leben seit 2012 in Lüneburg, und für uns war immer klar, dass wir gerne in einem gemeinschaftlichen Projekt leben wollen, gerade als Familie", sagt Claire G.
Sie fanden den Gedanken schön, einer Gruppe anzugehören, Anschluss zu haben, Dinge gemeinsam zu unternehmen, zu teilen, sich zu unterstützen. "So, wie wir gerade Einkäufe für Ältere übernehmen, unterstützen sie uns in normalen Zeiten auch und passen zum Beispiel mal auf die Kinder auf", erzählt die Mutter. Sie empfindet es zudem als wertvoll, dass Kinder lernen, was es bedeutet, in einer Gemeinschaft zu leben, sich mit anderen abzustimmen. "Wir teilen zwar alle gemeinsame Werte, sind aber auch mal unterschiedlicher Meinung."
Einfamilienhaus bleibt Nr. 1
Als die Familie zum Projekt kam, in der Bauphase, trafen sich alle noch einmal in der Woche, um sich abzustimmen. "Heute findet alle drei Wochen das sogenannte Plenum statt, das immer im Konsens entscheidet", so Claire G. Da geht es dann zum Beispiel um den Arbeitseinsatz im Garten, um Neubauten, Reparaturen, aber auch um gemeinsame Aktivitäten: Es gibt ein "Running Dinner", Qigong-Stunden, einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück, Grillabende, ein Sommerfest und, ganz wichtig, den LeNa-Kinder-Zirkus.
Der findet immer im großen Gemeinschaftsgarten statt. Neben dem Garten gibt es noch einen großen Gemeinschaftsraum mit angeschlossener Küche, der für gemeinschaftliche, aber auch für private Veranstaltungen genutzt werden kann. Zudem teilen sich die Bewohner zwei Waschküchen und eine gut ausgestattete Werkstatt. Dafür fallen die Wohnungen, von denen sich zumindest manche zukünftig auch teilen lassen könnten, etwas kleiner aus.
Die Familie lebt in einer der größten: vier Zimmer, 115 Quadratmeter. Selbst mit ihrem Gemeinschaftsanteil liegen sie damit unter der Pro-Kopf-Fläche, die das UBA durchschnittlich für 4-Personen-Haushalte festgestellt hat. Und jeder Quadratmeter frisst Ressourcen und Energie, muss er doch gebaut, beleuchtet, beheizt, möbliert und instand gehalten werden.
Wie verbreitet Projekte wie LeNa sind, lässt sich schwer sagen. "Den Trend zu nachhaltigeren Wohnformen gibt es schon länger, aber der Prozess ist ein sehr langsamer und findet vor allem in größeren Städten statt", sagt Bau-Expertin Stefanie Friedrichsen. Für die breite Masse, sagt sie, sei weiterhin das Einfamilienhaus das Nonplusultra.
Aber auch bei dieser Wahl kann das Ergebnis mehr oder weniger nachhaltig ausfallen: Neubau oder Altbau? Kommen regenerative Energien infrage? Können es nicht auch ein paar Quadratmeter weniger sein? Und was ist, wenn die Kinder mal ausziehen?
Vielleicht ist es möglich, das Eigenheim gleich so zu planen, dass sich am Ende zwei Einheiten daraus machen lassen. Eine für sich und eine für das befreundete Paar, mit dem man dann gemeinschaftlich, Tür an Tür, alt wird. Ein bisschen LeNa halt, nur anders.