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Was bedeutet trans?

Ob ein Kind transgeschlechtlich ist, lässt sich bei Geburt noch nicht feststellen. Im Gegensatz zu intergeschlechtlichen Menschen kommen transgeschlechtliche Menschen nämlich mit eindeutigen äußeren Geschlechtsmerkmalen und -chromosomen zur Welt. Doch ihr inneres Geschlechtsempfinden ist ein anderes, das zeigt sich oft – nicht immer – bereits im Kleinkindalter.

Auch Menschen, die sich weder als eindeutig weiblich noch als eindeutig männlich empfinden (auch: nicht binär), bezeichnen sich als trans. Transgeschlechtlichkeit ist keine psychische Störung, kann somit auch nicht „korrigiert“ werden. Sie hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun (homo oder hetero). Seit 2018 erkennt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sie als Variante der Geschlechtsentwicklung an.

Wie viele Kinder sind trans?

Schwer zu sagen, weil Zahlen unterschiedlich erhoben werden: mal nach Selbstaussage, mal nach Statistiken über medizinische Behandlungen. Die Angaben schwanken zwischen etwa 0,5 Prozent und bis zu 4 Prozent. Heißt, selbst bei vorsichtiger Schätzung: In einer Grundschule mit 400 Lernenden gibt es im Schnitt zwei bis drei trans Kinder.

Beratung und Hilfe

Für Familien jüngerer Kinder ist vor allem die Unterstützung im Alltag wichtig, für manche Eltern auch die innere Auseinandersetzung mit der Situation. Angebote und Selbsthilfegruppen findet man zum Beispiel über die Internetseite www.trans-kinder-netz.de, auch einzelne Beraterinnen haben sich auf bundesweite Elternbegleitung spezialisiert. Jüngere trans Kinder brauchen nur dann eine Therapie, wenn sie psychisch belastet sind. Erst später, wenn es um geschlechtsangleichende Maßnahmen geht, ist eine begleitende Psychotherapie vorgeschrieben. Gender-Ambulanzen, die umfassende therapeutisch-medizinische Betreuung anbieten, gibt es unter anderem in Münster, am Hamburger Universitätsklinikum (UKE) und an der Berliner Charité. Bei allen muss man mit langen Wartezeiten rechnen.

Wie merken Eltern, dass ihr Kind trans ist?

In einer Studie des Deutschen Jugendinstituts sagte ein knappes Drittel befragter trans Jugendlicher: „Ich wusste es schon immer.“ 11 Prozent sagten, mit etwa zehn Jahren. Kinder entwickeln mit etwa drei bis vier Jahren ein festes Konzept von Geschlecht, das gilt für trans Kinder genauso wie für die, bei denen Körper und Empfinden zusammenpassen. Ob, wann und wie sie äußern, dass das Innere vom Äußeren abweicht, hängt von vielen Faktoren ab, auch davon, wie einfühlsam oder ablehnend das Umfeld reagiert.

Ist das Transsein nur eine Phase?

Gerade bei kleineren Kindern sind Rollenspiel und Identität nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden. Faustregel: Je früher und je durchgehender Kinder eine andere Geschlechtsidentität artikulieren, umso wahrscheinlicher, dass es auch dabei bleibt.

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Wie man trans* Kinder begleitet

Wie viele Menschen fühlen sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig? Und wie gehen Expert*innen und Eltern vor, wenn ein Kind dies äußert? zum Artikel

Nimmt das Thema Transsexualität zu?

Derzeit äußern deutlich mehr Mädchen als Jungen, dass sie sich dem falschen Geschlecht zugeordnet fühlen, insbesondere während der Pubertät. Die Gründe dafür sind umstritten, auch bei den Mitgliedern der Leitlinienkommission: Ist das „Mann-sein-Wollen“ eine fehlgeleitete Wunschvorstellung, weil Mädchen mit den pubertären Veränderungen ihres Körpers hadern? Oder stehen sie nur selbstbewusster dazu als Jungen im umgekehrten Fall? Die Sorge, eine falsche weitreichende Entscheidung zu treffen, lässt sich nie ganz ausräumen. Das gilt jedoch auch, wenn man Betroffenen eine Behandlung verweigert: Beides kann Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.

Was tun, wenn wir vermuten, unser Kind ist trans?

Bei einem Kindergartenkind

Ausprobieren lassen, signalisieren: Wir stehen hinter dir, du darfst lange Haare tragen oder kurze, Kleidung wählen, die dir gefällt, egal aus welcher Abteilung. Verfestigt sich das Thema, dann sicherstellen, dass das auch in der Kita akzeptiert wird. Das Kind bestimmt das Tempo: Will ich einen anderen Namen, andere Klamotten – nur zu Hause oder im Kindergarten? Alles ist offen, so darf es sein.

Im Grundschulalter

Das Thema Schule ist eine Hürde: Werden die Kinder mit dem selbst gewählten Namen und Personalpronomen angesprochen, was ist mit Toiletten oder Umkleiden? Schulen haben Gestaltungsmöglichkeiten, sind aber oft unsicher. Im Internet gibt es viele Materialien, die beim Gespräch mit der Schule helfen können. Seit August 2024 ist es durch das neue Selbstbestimmungsgesetz möglich, den Geschlechtseintrag des Kindes beim Standesamt zu ändern, bei Kindern unter 14 durch die Sorgeberechtigten. Das Gesetz regelt nicht die medizinische Seite, aber schafft Rechtssicherheit gegenüber Schulen, Behörden, Krankenkassen. Es gibt auch gute Gründe, mit dieser Entscheidung noch zu warten. Auf jeden Fall jetzt schon in einer endokrinologischen Praxis, in der Kinderpsychiatrie vorsprechen sowie bei einer Gender-Ambulanz in einer Klinik anfragen – es gibt lange Wartezeiten.

Ab der Pubertät

Sogenannte pubertätsstoppende Hormone verschaffen ab Einsetzen der Pubertät Zeit zur Entscheidungsfindung: Über ein, zwei Jahre kann so die Geschlechtsentwicklung eingefroren werden. Die Präparate können Nebenwirkungen haben, etwa für die Knochengesundheit, die Auswirkungen sind aber reversibel. Erst danach fällt die Entscheidung für oder gegen eine Hormonbehandlung in Richtung des empfundenen Geschlechts, mit Testosteron beziehungsweise Östrogenen.

Was da passiert, ist dann nicht oder nicht mehr vollständig umkehrbar. Nichts tun, abwarten? Keine neutrale Option, argumentieren die Befürworter der Hormonbehandlung – denn habe der Körper die als falsch empfundene Pubertät durchgemacht, lasse sich das äußere Erscheinungsbild später weniger gut angleichen, etwa Körperbau oder Stimmlage. Operationen sind in der Regel erst nach der Volljährigkeit ein Thema, wenn überhaupt. Jede Transition, also die Angleichung an das innere Geschlechtsempfinden, ist individuell. Und über geschlechtsangleichende Behandlungen entscheiden Endokrinologinnen und Endokrinologen nicht nur zusammen mit dem oder der Jugendlichen und den Eltern, sondern auf Basis von mindestens einem psychologischen Gutachten.

Ein Elternpaar berichtet: Unser Kind ist trans

„Ich sehe ein fröhliches Kind. In sich ruhend. Sie weiß, wer sie ist“

Mehr als nur ein Rollenspiel: Für Julias Mama, Alexandra, 39, war ziemlich schnell klar, dass ihr Sohn eine Tochter ist:

„Als unser mittleres Kind auf die Welt kam, gingen wir davon aus, dass wir noch einen Sohn bekommen hatten, wir nannten ihn Emil. Als er drei war, fiel uns erstmals richtig auf, wie feminin er wirkte. Er liebte die Seidenschals seiner Großmutter, immerzu bastelte er sich Gewänder daraus. Mit vier wollte er sich die Haare nicht mehr kurz schneiden lassen. Und dann verliebte er sich in ein glitzerndes ‚Elsa‘-Kostüm, nach der Disney-Figur.

Als ich die Erzieherin informierte, dass er dieses Kleid in der Kita tragen würde, lachte sie erst: klar – Fasching! Aber ich ahnte: Das ist mehr als nur ein Rollenspiel. Als auch die Kita das verstanden hatte, war der Umgang mit uns und unserem Kind sehr wertschätzend. Das tat gut. Alles, was mein Mann und ich wollen, ist, dass unsere Kinder glücklich groß werden, sie selbst sein dürfen. Wir erziehen sehr bedürfnisorientiert. Wie könnte ich da beim Klamottenkauf plötzlich sagen: Du darfst dir nur in der Jungenabteilung etwas aussuchen? Mein Kind weiß doch am besten, wer es ist.

Irgendwann begannen vereinzelt Leute auf dem Spielplatz, komisch auf unser Kind zu schauen – nicht wegen des femininen Kleidungsstils und der langen Haare, sondern weil wir es mit einem männlichen Vornamen riefen. Das passte nicht zusammen. Als Emil fünf war, lernte er ein Mädchen namens Julia kennen, das ihn beeindruckte. Ein paar Tage später verkündete er im Kita-Morgenkreis: ‚So möchte ich jetzt auch heißen.‘ Kurz danach fuhren wir in den Urlaub und konnten als Familie den neuen Namen in einem geschützten Rahmen ausprobieren: Julia – passt das wirklich für dich? Und bist du ‚sie‘, nicht mehr ‚er‘? Dass Julia ein Mädchen ist, war immer sehr eindeutig. Das machte viele Entscheidungen einfacher: Wir schulten sie im Nachbarort ein, wo niemand sie als ‚Emil‘ kannte – ein frischer Start.

Aber uns ist klar, dass noch ein langer und schwieriger Weg vor ihr liegt, vor uns. Neulich hatten wir einen Termin in der Gender-Ambulanz einer großen Klinik, denn sobald erste Anzeichen von Pubertät einsetzen, muss man erneut Entscheidungen treffen – Stichwort Hormonbehandlung. Da muss man gut vorbereitet sein, sich informieren, abwägen. Neulich, vorm Schlafengehen, fragte sie: ‚Mama, was kostet es, ein Kind zu adoptieren?‘ Ich brauchte kurz, um zu verstehen: Sie fragt sich, ob und wie sie später Mutter werden kann. Dass vieles für sie nicht selbstverständlich ist, das schmerzt uns. Aber ich sehe ein fröhliches Kind, in sich ruhend. Sie weiß, wer sie ist. Das tut mir gut. Als Eltern tun wir alles, um sie darin zu unterstützen.“

„Transfeindliche Sprüche ertrage ich schwer“

Moritz, 36, ist Julias Papa und Alexandras Mann. Die beiden haben neben Julia zwei Söhne, 5 und 10:

„Ich liebe mein Kind als mein Kind, da ist das Geschlecht erst mal zweitrangig. Deshalb hatte ich auch nicht das Gefühl, ich müsste mich von meinem Sohn verabschieden. Aber durch diese Erfahrung sehe ich mein soziales Umfeld noch mal anders. Ich habe früher als Handwerker gearbeitet, da fallen oft derbe, homo- und transfeindliche Sprüche. Auch in der erweiterten Familie gibt es das, und das finde ich zunehmend schwerer zu ertragen. Das politische Klima im Land macht mir große Sorgen. Deshalb bin ich sehr dafür, bald die amtliche Personenstandsänderung zu beantragen, damit Julia ihr Geschlecht schwarz auf weiß hat.“