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Nur noch Matschhose und Stiefel anziehen, dann kann es losgehen in die Kita. Von wegen nur noch: Das Kind weigert sich. Draußen ist es aber kalt und nass – Stiefel und Hose müssen also sein. Und dazu drängt noch die Zeit. Das Kind donnert derweil die Schuhe in die Ecke, fuchtelt mit der offenbar verhassten Hose rum und schreit: „Blöde Mama! Doofer Papa!“ Es wird immer später, das eigene Nervenkostüm dünner. Schließlich sind alle erschöpft, der Start in den Tag ist nach dem Wutanfall ziemlich vermiest.

Mit Gefühlen umgehen lernen

Ob es nun um eine Matschhose, um Süßigkeiten an der Supermarktkasse oder etwas ganz anderes geht – solche Wutausbrüche sind Eltern von Kleinkindern wohlvertraut. Denn: „Wut gehört wie alle anderen Emotionen zur kindlichen Entwicklung dazu“, sagt Dana Mundt. Sie ist Sozialpädagogin bei der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) in Fürth. Wir Erwachsenen haben Strategien entwickelt, mit unserer Wut umzugehen: uns beim Sport auspowern, mit Freunden darüber reden, spazieren gehen zum Beispiel.

Das ist bei kleinen Kindern anders. „Sie werden anfangs noch völlig überschwappt von ihren Gefühlen“, erklärt Dana Mundt. Und sie können gar nicht anders, als diese rauszulassen. Denn die Fähigkeit zur Selbstkontrolle beginnen Kinder erst mit etwa drei oder vier Jahren zu entwickeln. Sich zusammenreißen, das funktioniert noch nicht. Stattdessen brauchen sie die Hilfe von Mama und Papa, wenn die Wut sie überrollt. „Eltern sind oft sehr geduldig, wenn das Kind laufen lernt, aber wenn es sich schreiend auf den Boden schmeißt, dann fällt es Eltern oftmals deutlich schwerer, das auszuhalten“, weiß Dana Mundt. „Dabei ist die emotionale Entwicklung wie Laufen lernen.“ Bei Wut wissen Eltern oft nicht, wie sie damit umgehen sollen: Manche werden selber wütend, manche traurig, andere versuchen es mit mehr Strenge, andere verzichten völlig auf Regeln.

Ruhe bewahren

Wie aber soll man es machen? Viele Eltern fühlen sich angegriffen von den Wutanfällen des Kindes und reagieren entsprechend emotional, beobachtet Doris Heueck-Mauß. Sie ist Entwicklungspsychologin und Verhaltenstherapeutin in München. Ihr wichtigster Rat an Eltern von wütenden Kleinkindern: „Nicht persönlich nehmen, den Moment aushalten und ruhig bleiben!“ Auch wenn es ­etwas abgedroschen klingt: Die Zeit der Wut­anfälle ist eine Phase, die vorübergeht.

Das bestätigen auch verschiedene Studien. Laut einer Untersuchung von Forschenden der kanadischen Universität Montreal sind Kleinkinder mit dreieinhalb Jahren am ruppigsten. Die Forschungsteam hatte mehr als 2000 Kinder, die 1997 und 1998 geboren wurden, bis zu einem Alter von 13 Jahren beobachtet. Die gute Nachricht: Das aggressive Verhalten legt sich in den meisten Fällen bis zum Schulalter wieder.

Phase hin oder her – wenn der Nachwuchs den Aufstand probt, ist ruhig bleiben gar nicht so einfach. Heueck-Mauß empfiehlt: Bis zehn zählen, den Moment aushalten, ohne auf das Kind einzureden, da es seine Erregung noch nicht steuern kann und sich erst mal beruhigen muss. Dana Mundt empfiehlt, im Fall des Falles kurz rauszugehen und durchzuschnaufen– vorausgesetzt, das Kind ist in einer sicheren Umgebung. Oder wenn möglich an die Partnerin oder den Partner abgeben, wenn man selbst gleich platzt. „Das ist völlig okay“, sagt die Sozialpädagogin.

Rechtzeitig eingreifen

Temperamentvolle Kinder beißen oder schlagen in ihrer Erregung auch mal um sich. Keine schöne Situation, aber: Verletzen wollen tobende Kinder niemanden, nur können sie ihr Verhalten noch nicht besser kontrollieren. Wichtig ist, dass das Kind sich selbst und auch anderen während eines Wutanfalls nicht wehtut. Das gilt selbstverständlich im Umgang mit Spielgefährten: Haut das Kind zum Beispiel im Streit um ein Spielzeug, greifen Mutter oder Vater natürlich ein, um das andere Kind zu schützen. Das gilt aber auch für die Eltern: Sie sollten sich nicht hauen lassen, betonen beide Expertinnen. „Stopp. So gehen wir nicht miteinander um“, empfiehlt Dana Mundt als kurze Ansage, die nicht diskutiert wird. „Haut oder tritt das Kind, können Eltern seine Hände festhalten, ohne ihm wehzutun, und laut Stopp sagen oder es ablenken und abwarten, bis es sich beruhigt hat“, sagt Heueck-Mauß, die auch Erziehungsratgeber geschrieben hat.

Nicht nur beim Thema Hauen sind Grenzen wichtig: „Sie geben Sicherheit“, erklärt Dana Mundt. Wenige, aber klare Regeln helfen Kindern, sich zu orientieren. Deshalb sollten Eltern für sich überlegen: Welche müssen unbedingt eingehalten werden? Ständige Verbote und Neins frustrieren die Kleinen hingegen.

Auslöser suchen

Was steckt eigentlich dahinter, wenn Kinder so in Rage geraten? Meist wissen sie es selbst nicht so recht. Heueck-Mauß unterscheidet vor allem zwischen Bedürfnis- und Aufforderungskonflikten. Bei einem Bedürfniskonflikt werden die Kinder sauer, weil sie etwas, das sie gerne möchten, nicht bekommen. Das kann etwa ein Spielzeug sein, Zeit vorm Fernseher oder die Aufmerksamkeit der Eltern. Bei Aufforderungskonflikten geht es zum Beispiel um Stiefel und Matschhosen, die angezogen werden sollen, darum, dass es vom Spielplatz nach Hause gehen soll oder das verhasste Zähneputzen ansteht.

Wenn das Kind in solchen Situationen vor Wut explodiert, spielen oft noch andere Faktoren hinein: Hunger, Müdigkeit oder auch eine beginnende Erkältung machen dünnhäutiger. Ebenso kann die Kita mit all ihren Reizen und Regeln ziemlich anstrengend sein – der Alltagsstress lässt die Kinder leichter an die Decke gehen. Auch wenn die Eltern gestresst oder schlecht drauf sind, wirkt sich das auf die Stimmung der Kleinen aus. „Kinder sind wie Seismografen, sie spüren so etwas“, so Heueck-Mauß. Einschneidende Ereignisse wie die Trennung der Eltern oder der Tod von Oma oder Opa können ebenfalls Wutausbrüche begünstigen. Manchmal zeigen sich die Reaktionen darauf erst bis zu ­einem halben Jahr später. Denn es kann etwas Zeit vergehen, bis die Kinder merken: Das bleibt so.

Darüber reden

Auch wenn die Wut verraucht ist – vorbei ist das Ganze noch nicht. Denn nach so einem Ausbruch brauchen viele Kinder Trost und Liebe. Und noch etwas: Worte für das, was war. Eltern sollten das Gefühl Wut benennen und erklären, dass es völlig okay ist, wütend zu sein. Hier können sie den Kleinen noch einmal klar sagen, dass es aber Grenzen gibt: Es wird nicht ge­hauen, getreten oder gebissen. Und dann machen sich Eltern und Kind am besten gemeinsam daran herauszufinden, warum das Kind so wütend war. So lernt das Kind mit der Zeit, mit seinen Gefühlen umzugehen. Dass sich Kinder, die noch nicht zur Schule gehen, für ihren Wutanfall entschuldigen müssen – davon hält Entwicklungspsychologin Heueck-Mauß übrigens nichts. Aus verschiedenen Gründen: „Das Kind trifft keine Schuld, denn es wollte nur seine Bedürfnisse durchsetzen.“ Außerdem könnte das Kind lernen, dass es bloß „Entschuldigung“ sagen muss und alles ist wieder gut – was nicht richtig war oder was es stattdessen machen könnte, lernt es somit nicht. Möglich seien in manchen Fällen Wiedergutmachungen: zum Beispiel könnte das Kind helfen, die Dinge, die in der Wut herumgeflogen sind, aufzuräumen.

Wutanfällen vorbeugen

Wer die Auslöser kennt, kann versuchen, den ein oder anderen Wutanfall zu verhindern. Ist der morgendliche Stress zu viel? Dann hilft es vielleicht, eher aufzustehen, damit mehr Zeit zum Anziehen und Frühstücken bleibt. Kommt das Kind beim Anziehen der Matschhose und der Stiefel ins Schwitzen? Dann könnte man das Ganze vom warmen Flur ins Treppenhaus oder nach draußen verlagern. Ist für heute Schluss mit Süßigkeiten? Dann den Nachwuchs auf morgen oder den nächsten Supermarktbesuch vertrösten, statt nur rigoros Nein zu sagen. Explodiert das Kind, wenn es im Spiel unterbrochen wird? „Überfallen Sie Ihr Kind nicht“, rät Heueck-Mauß. Eine Vorwarnung, dass es bald losgeht oder ein Wecker können helfen, da das Kind noch kein Zeitgefühl hat.

Genauso kann man seinem Kind die Möglichkeit geben, die Wut rauszulassen: In ein Kissen hauen oder mal richtig laut schreien zum Beispiel. Auch Bewegung spielt eine große Rolle: „Kinder, die sich zu wenig bewegen, sind wie ein Pulverfass“, sagt Heueck-Mauß. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, dass Kinder zwischen einem und fünf Jahren täglich mindestens drei Stunden körperlich aktiv sind. Auch den Medienkonsum sollten Eltern hinterfragen: „Kinder sind vor dem Fernseher oder Tablet eher angespannt als entspannt“, betont die Entwicklungspsychologin. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt für Kinder zwischen drei und sechs Jahren höchstens 30 Minuten Bildschirmzeit täglich.

Auf sich selbst aufpassen

Auch wichtig: auf sich selbst achten. Wer gestresst oder schlecht drauf ist, steckt andere mit seiner Stimmung an – vor allem Kinder. Wenn Oma und Opa oder Freunde mal einspringen und auf den Nachwuchs aufpassen können, damit man selbst mal durchschnaufen oder Zeit als Paar verbringen kann, profitiert die ganze Familie. Nicht zuletzt sind die Eltern immer diejenigen, an denen kleinere Kinder sich orientieren. Wer selbst bei jeder Kleinigkeit an die ­Decke geht, bekommt es eher mit tobenden Wutzwergen zu tun, die wild mit Matsch­hosen fuchteln und Stiefel in die Ecke donnern.