Logo der Apotheken Umschau

„Als wir 2020 und 2021 an einer Studie zur Psychologie der Pandemie gearbeitet haben, dämmerte uns etwas“, sagt Geschäftsführer des internationalen Marktforschungsunternehmens concept m Dirk Ziems. Die allermeisten Menschen werden sich selbstverständlich impfen lassen - diese Prognose erschien dem Diplom-Psychologen und seinem Team allzu zu optimistisch. „In der Konsumentenforschung beziehen wir in all unsere Überlegungen generell eine gewisse Skepsis mit ein.“

Kleine Studie mit tiefen Einblicken

Ab dem Sommer 2021 hat sich das Marktforschungsunternehmen dann die immer offensichtlicher werdende Impfskepsis der Deutschen einmal genauer angeschaut – im Rahmen einer Initiativstudie, ohne Auftraggeber. Grundlage von „Das deutsche Impfdrama – Psychologie der Impfskeptiker und die Wirkung der Impfkampagne“ waren 30 sogenannte Tiefen-Interviews auf Basis einer offenen, vorurteilsfreien, sogenannten klientenzentrierten Gesprächshaltung.

Dirk Ziems leitet ein Marktforschungsunternehmen, das eine tiefenpsychologische Studie zur Impfskepsis durchgeführt hat

Dirk Ziems leitet ein Marktforschungsunternehmen, das eine tiefenpsychologische Studie zur Impfskepsis durchgeführt hat

„Solche Gespräche dauern anderthalb bis zwei Stunden und gehen ans Eingemachte“, sagt Dirk Ziems. Nur 30 Teilnehmer? Er kennt den Einwand. Die Aussagen sind allenfalls Einblicke, ein Rückschluss auf die Gesamtbevölkerung oder die Gruppe der Impfskeptiker im allgemeinen lässt sich damit nicht ziehen. Er weiß aber auch: Sogenannte breit angelegte Studien mit mehreren hundert oder tausend Teilnehmern arbeiten mit vorstrukturierten Fragebögen. Nach zehn oder 15 Minuten ist so ein Bogen ausgefüllt. „Bei uns wurde es nach dieser Zeit oft erst spannend“, so der Psychologe. Man käme an die wirklich relevanten Zusammenhänge „jenseits von sozial erwünschtem Antwortverhalten“ heran.

Was sind die Gründe für Impfskepsis?

Fast wie therapeutische Sitzungen müsse man sich die Gespräche vorstellen, für die die psychologischen Forscher ausschließlich Teilnehmende ausgewählt hatten, die beim Thema Impfen gegen COVID-19 tendenziell zurückhaltend waren. Sie waren quer durch alle Bildungsschichten rekrutiert worden, die Bäckereifachverkäuferin kam genauso zu Wort wie die Ärztin. Eines aber hatten alle Befragten gemein: Sie wirkten involviert, teils sehr emotional. „Schon wieder so einer von der Impfmafia, der mich umdrehen will“, sagte einer. „Ich habe eigentlich keine Meinung zu diesem Thema, daher schiebe ich das ein Stück weit vor mir her“, auch solche Äußerungen gab es. Doch selbst die eher moderaten Stimmen ließen im Laufe der Zeit durchblicken, dass sich die Menschen unter Druck fühlen. Immer neue Mobilisierungsapelle und eine belehrende Aufklärungsarbeit – das schien diese Menschen vom Impfen eher abgehalten als überzeugt zu haben.

Werden sich Impfskeptiker umentscheiden?

„Die Interviews geben Hinweis, dass es bei der deutschen Impfkampagne kommunikative Probleme gegeben haben könnte“, konstatiert der Psychologe Ziems, der zwischen Impfvorsichtigen, Impfskeptikern und Impf-Oppositionellen unterscheidet und nur für die letzte, mit Abstand kleinste Gruppe eine pessimistische Prognose gibt: „Dieser harte Kern setzt auf Radikalisierung und Spaltung, eine Dialog-Strategie ist schwierig.“ Anders bei Gruppe eins und zwei, die für den Psychologen geschätzt 20 bis 30 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Und sich mit ihrer Unsicherheit gar nicht so weit weg vom Rest der Bevölkerung bewegen. Menschen sind widersprüchlich, ein gewisses Wanken und Schwanken ist normal, erklärt Ziems. Entscheidend für ein Überdenken spontaner Tendenzen und vielleicht erster Entscheidungen sei, wie der einzelne sich in seiner Unsicherheit angesprochen fühle. „Verständnis für die Impfkritische Position ist der Schlüssel“, so meint er.

Individuelle Impfberatung als Ansatz

Zumal die Gründe, aus denen Menschen Vorbehalte gegen die COVID-19-Impfung haben, vielfältig sind, wie ein wachsendes Team Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten der Universität Greifswald festgestellt hat. Seit Mitte Dezember 2021 bietet das Team um Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie (ZPP) eine kostenlose COVID-19-Impfberatung für ängstliche Menschen an, für die man sich unkompliziert per E-Mail über die Initiative „Gemeinsam für psychische Gesundheit“ anmelden kann. Die Ratsuchenden, die den Mitarbeitenden des ZPP mal persönlich und mal via Videotelefonie gegenübersitzen, kommen mittlerweile aus dem ganzen Bundesgebiet.

Zusammengefasst finden sich drei Gruppen, erklärt Dr. Janine Wirkner, Leiterin der Hochschulambulanz für Forschung und Lehre. Da gibt es Menschen die aufgrund körperlicher Vorerkrankungen große Ängste vor der Impfung haben, die beispielsweise unter Schilddrüsenerkrankungen leiden oder bereits eine Herzmuskelentzündung hatten. Zur zweiten Gruppe gehören solche, die Angst vor Langzeitnebenwirkungen, sogenannten „Impfschäden“, haben. Typischerweise werden die negativen Folgen der Impfung überschätzt – bei gleichzeitigem Unterschätzen der schützenden Wirkung durch die Impfung. In die dritte Gruppe fallen Menschen mit einer Blut-Spritzen-Verletzungsphobie.

Janine Wirkner, Leiterin der Hochschulambulanz der Universität Greifswald spricht lieber von „Impfängstlichen“

Janine Wirkner, Leiterin der Hochschulambulanz der Universität Greifswald spricht lieber von „Impfängstlichen“

Nicht alle in eine Schublade stecken

Von „Impfängstlichen“ spricht Janine Wirkner. Impfskeptiker – das Wort vermeidet sie, da sich die Mehrzahl der Klientinnen und Klienten des Nutzens der Impfung sehr wohl bewusst ist. „Und es wird der Sache ja auch nicht gerecht, wenn Angst mit Weigerung gleichgesetzt wird und diese Menschen stigmatisiert und mit den sogenannten „Querdenkern“ in eine Schublade gesteckt werden.“ Nach Erfahrung der Psychologinnen und Psychologen fühlen sich viele Betroffene durch Bezeichnungen wie „Impfskeptiker, -gegner oder -verweigerer“ nicht gesehen oder sogar in die Ecke gedrängt und sagen sich: Jetzt erst recht nicht!

Von erlebter „Übergriffigkeit“ sprechen die concept-m-Forscher. Und davon, dass es zuweilen nur ein kleiner Schritt ist, bis es soweit kommt. Impfen ist für sie per se mit einem Grundkonflikt verbunden. Was wirkt sich für den Einzelnen als bedeutender aus: Die eigene Unversehrtheit? Oder die Verantwortung für Gesundheit – für die eigene, aber auch für die der Gemeinschaft? Im persönlichen Abwägen um den Pieks kann das Pendel hier sehr unterschiedlich ausschlagen.

Kommunikation „auf Augenhöhe“

Ob jemand Vertrauen oder Misstrauen ins Impfen hat, hängt für die Forscher dabei möglicherweise auch mit prägenden Kindheitserfahrungen zusammen. „Letztlich sind Impfbefürworter und Impfgegner vom selben Gefühl getrieben“, so sieht es der Berliner Psychoanalytiker Ekkehard Pioch. Geleitet aber seien Sie von unterschiedlichen Bildern: „Der Impfunwillige erlebt Staat und Regierung tendenziell als fürsorglich, Impfgegner sehen im Staat hingegen etwas übergriffiges, eindringendes, schwer zu durchschauendes.“

Habe ich in meiner Kindheit sichere Bindungen erlebt? Bin ich gut versorgt und verstanden worden? Dann habe ich laut Pioch in Bezug auf die Impfung vielleicht eher positive Bilder. Frühkindliche Defizite dagegen machen vorsichtig und misstrauisch. Tendenziell – nicht zwangsläufig und in jeder Situation wohlgemerkt.

Ob das nun in Bezug auf die Impfung stimmen mag oder nicht: Für die Macher von „Das deutsche Impfdrama“ ist der Dialog entscheidend, so fassen sie das Ergebnis ihrer Studie zusammen. Die direkte, persönliche Ansprache sei das A und O für ein Positivszenario in Sachen höhere Impfquote. Aus der Marktforschung kennen sie das: Gerade Massenkommunikation läuft Gefahr, auf Abwehr zu stoßen. Schließlich sind wir darauf trainiert, täglich viele hundert oder gar tausend Werbebotschaften zu filtern. Alles andere würde uns völlig überfordern.

Groß angelegte Kampagnen können ein Einstieg sein, mehr nicht, so sieht es Dirk Ziems. Empathie sei das Zauberwort. Je rascher und unkomplizierter Angebote „auf Augenhöhe“ zur Verfügung stünden, desto besser.

Wie kann man Impf-Angst bekämpfen?

Anonym und ergebnisoffen – so läuft die Impfberatung an der Uni Greifswald. „Wir wollen nicht überreden, sondern ein Gesprächsangebot machen“, sagt Dr. Wirkner. Menschen mit einer konkreten Angst vor Spritzen können im Rahmen der Beratung lernen, sich zunächst auf dem Weg zur Impfung zu entspannen und dann im Moment der Impfung große Muskelgruppen anzuspannen (= angewandte Anspannung), um nicht in Ohnmacht zu fallen. Dies kann zuvor auch gut mit Bildern oder in der Konfrontation mit Spritzen und Kanülen geübt werden, bis die Patientinnen es sicher beherrschen. Bei allen Bedenken lautet das Vorgehen: zuhören, ernst nehmen und zunächst entlasten. Wie letzteres? „Indem wir gemeinsam schauen, was für den Einzelnen oder die Einzelne wichtig ist, damit er bzw. sie sich umfänglich informiert frei entscheiden und gegebenenfalls die Ängste überwinden kann.“ Bei speziellen medizinischen Fragen verweist das Team an Kolleginnen und Kollegen der medizinischen Fakultät.

Angst vor Spritzen in den Griff bekommen

Impfungen oder Blutabnahmen sind für viele Menschen ein Graus. Der Gedanke an die Nadeln oder den Anblick des Blutes löst Angstgefühle aus - und kann vor Ort sogar zur Ohnmacht führen. Was hilft? zum Artikel

Verständnis gegenüber Impf-Ängstlichen hilft

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ratsuchenden sich nach der Beratung impfen lassen, scheint insgesamt etwas höher zu sein. Genau ist das schwer zu sagen - manche geben Rückmeldung, manche nicht. Bei entsprechenden Angeboten in Fußgängerzonen, vor Sportveranstaltungen oder vor dem Baumarkt, wie Concept m sie anregt, wäre das genauso. Vieles ist denkbar. In der Form. Aber nicht in der Art der Ansprache, schränkt Dirk Ziems ein. „Verständnisvoll sein und bei allem Verständnis eine eigene, vielleicht ganz andere Haltung zu vertreten, das schließt sich nicht aus.“ Im Gegenteil: Hier beginne die hohe Kunst des Diskurses, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt so wichtig sei. Die „Impfdrama“-Studie schließt mit klaren Worten. Dialog und Empathie besagten nicht, dass der Konflikt sich von alleine auflöse. „Eine Mehrheitsentscheidung für den Impf-Pfad muss akzeptiert werden, wenn sie juristisch legitimiert ist. Zugleich kann jedoch auch die Minderheit der Impfgegner für sich einfordern, von Dämonisierung verschont zu werden.“

Bevor es im Zusammenhang mit einer möglichen Impfpflicht zu Sanktionen komme, könnten weitere Angebote gemacht werden. Ein verpflichtendes Beratungsgespräch zum Beispiel. Denn auch wenn sich so vermutlich nicht die ganzen restlichen 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung überzeugen lassen, so Dirk Ziems: „Vielleicht kriegt man immerhin die paar Prozentpunkte, die für den weiteren Verlauf dieser Pandemie entscheidend sind.“

Lesen Sie auch: