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Frau Professorin Betsch, wie hat sich die Impfbereitschaft seit Pandemiebeginn entwickelt?

Global gesehen war die Situation eigentlich sehr gut. Auch in Deutschland wuchs der Anteil der Menschen, die das Impfen befürworten, stetig. Immer mehr Kinder wurden geimpft. Das war die Ausgangslage vor der Pandemie. Seit 2020 sehen wir aber einen deutlichen Einbruch bei den Impfungen in Deutschland und weltweit.

Professorin Cornelia Betsch lehrt Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt

Professorin Cornelia Betsch lehrt Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt

Woran liegt das?

Manche haben sich wegen der Infektions- gefahr nicht mehr ins Wartezimmer getraut. Aber wir sehen in Deutschland auch, dass der Anteil der klaren Impfbefürworter gesunken ist. Die Zahl der Menschen, die Impfen zwar eigentlich okay finden, die aber Zweifel und Fragen haben, hat dagegen deutlich zugenommen.

Gibt es jetzt also mehr Impfgegner?

Nein, die Gruppe, die das Impfen vollkommen ablehnt, ist relativ klein geblieben. Vor der Pandemie waren das etwa sechs Prozent, jetzt sind es sieben Prozent der Bevölkerung. Aber die Gruppe, die Fragen hat, die zweifelt – die ist gewachsen.

Was hat sich bei diesen Menschen verändert?

Die Überzeugung, dass Impfen notwendig ist, um sich und andere Menschen vor schweren Krankheiten zu schützen, hat klar abgenommen. Gleichzeitig hat das Vertrauen in die Effektivität und Sicherheit von Impfungen deutlich gelitten – dazu gehört das Ver­trauen ins Gesundheitssystem und in die Entscheidungsträger, die diese Impfungen empfehlen. Das betrifft auch die Regierung.

Wie kommt das?

Es hat nach dem, was wir sehen, kaum etwas mit echten Sicherheitsvorfällen zu tun. Eher haben gesellschaftliche Ereignisse dazu beigetragen. Dazu gehört die Debatte um eine Impfpflicht, die sehr heftig geführt wurde. Viele Menschen haben sich im Zuge dieser Debatte mit ihrem Impfstatus identifiziert, ob geimpft oder ungeimpft. Das schafft zusätzlich Spannung, wenn Impfen Teil unserer Identität wird. Und viele, die sich nicht impfen lassen, haben einfach große Angst. Angst vor Nebenwirkungen zum Beispiel. Zugleich schätzen diese Menschen ihr individuelles Krankheitsrisiko als gering ein.

Wie kann man Ängste nehmen?

Durch gute Risikokommunikation. Da helfen in manchen Fällen Vergleiche, gerade wenn die Erkrankung noch sehr häufig ist. Das ist bei Covid-19 der Fall. Das Risiko ­einer Herzmuskelentzündung nach einer Impfung gibt es hier zwar – aber es ist bei einer Covid-Erkrankung viel höher. So ­etwas kann man den Menschen vermitteln.

Wer sollte das denn vermitteln?

Vertrauenspersonen wie Ärztinnen und Ärzte. Es ist wichtig, die gesundheitliche Kommunikation von der politischen zu trennen. Wenn nur Politikerinnen oder Politiker über Impfungen und Impfrisiken sprechen, verbrennen sie diese Informationen für Leute, die ihnen nicht folgen oder sie sogar blöd finden. Das können wir uns einfach nicht leisten. Wir benötigen Einrichtungen, die unpolitisch Informationen ausspielen.

Wer sucht, findet viel Gutes, aber auch viel Stuss.

Es gibt zum Teil irreführende oder ­falsche Informationen, gerade online.

Es ist schon so, dass sich Geimpfte aus zuverlässigeren Quellen informieren. Ungeimpfte nutzen eher Boulevard-Medien und Social Media. Da wird ein Video mit irreführendem Inhalt dann oft geklickt. Aber: Wenn 100 000 Menschen es anklicken, heißt das nicht, dass alle glauben, was in dem Video gesagt wird. Es heißt, dass 100 000 Menschen die Fragen haben, um die es in dem Video geht. Diese Fragen müssen beantwortet werden. Und sei es, dass die Antwort lautet: Wir wissen es nicht, aber wir tun Folgendes, um es herauszufinden.

Helfen denn Faktenchecks?

Über irreführende Behauptungen aufzuklären, kann helfen. Man muss natürlich gucken, wie verbreitet etwas ist. Wenn ein Einzelner auf Twitter etwas behauptet, ist nicht gleich Aufklärung nötig. Aber zum Umgang mit oft verbreiteten Falschinformationen gibt die Weltgesundheitsorganisation Hilfestellung. Und im Fall der HPV-Impfung zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs hatte etwa Dänemark Erfolg damit, in den sozialen Medien sofort auf ­jede Frage, jedes Gerücht, jede Behauptung einzugehen.

Erreicht man damit die überzeugten Impfverweigerer?

Ich denke, es ist viel wichtiger, die Menschen in der Mitte nicht zu verlieren. Diese Leute sind anfälliger für Falschinformationen geworden, weil sie mehr suchen. Und wer sucht, findet viel Gutes, aber auch viel Stuss. Man muss jetzt dafür sorgen, dass die guten Informationen leicht zu finden und zugänglich sind, etwa mit Videoformaten. Es gibt ja gute Daten darüber, was die Menschen brauchen. Das muss man ihnen jetzt liefern.