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Wer denkt schon bei Schluck­beschwerden an die Schilddrüse? Petra K. (56) machte sich keine Gedanken. "Ich habe mich nur gewundert, warum meine Kette so eng sitzt. Spürte, wie dick der Hals plötzlich geworden ist." Auch die Gewichtsschwankungen und Schlafstörungen konnte die Kölnerin nicht einordnen. "Ich dachte, es liegt an den Wechseljahren." Dann kam Bluthochdruck dazu. "Mein Herz raste, es war ein Gefühl, als ob es mir aus der Brust springen würde."

Über Jahre spitzten sich Petras Beschwerden zu. Bis eine Blutanalyse, eine Ultraschalluntersuchung und schließlich eine sogenannte Szintigrafie der Schilddrüse die entscheidenden Hinweise gaben.

Hormonspiegel aus dem Gleichgewicht

"Bei mir wurden mehrere Knoten festgestellt", berichtet die Patientin. Einer davon ein heißer. So nennen Mediziner Gewebewucherungen an der Schilddrüse, die unkontrolliert Hormone produzieren. Der dadurch erhöhte Hormonspiegel im Blut hat bei Petra K. das ausgeklügelte natürliche Wechselspiel zwischen Schild- und Hirnanhangsdrüse durcheinandergebracht.

Dieses Wechselspiel funktioniert nach einer Art Pegelprinzip: Fällt die Menge der Schilddrüsenhormone im Blut unter einen bestimmten Wert, gibt die Drüse im Gehirn das Hormon TSH ab.

Dieses wiederum regt die Schilddrüse an, die wichtigen Hormone Thyroxin und Trijodthyronin zu produzieren (siehe Infografik unten). Steigt der Spiegel dieser Schilddrüsenhormone über die Normmarke, wird TSH zurückgehalten, bis sich wieder das normale Hormonverhältnis einstellt.

"Es lässt sich sehr gut ohne Schilddrüse leben"

Bei Petra K. war inzwischen so viel Schilddrüsengewebe erkrankt, dass diese Regulation ausblieb. Sie folgte schließlich dem ärztlichen Rat, sich das schmetterlingsförmige Organ unterhalb des Kehlkopfs entfernen zu lassen. Weil Petra als Sekretärin im St.-Agatha-Krankenhaus in Köln arbeitet, wandte sie sich dort an Chirurgie- Chefarzt Professor Hans Udo Zieren. Der Viszeralchirurg ist zugleich Gründer des Deutschen Schilddrüsen­zentrums.

Viele seiner Patienten haben – wie auch Petra K. – Angst vor der Operation und dem Verlust der Schilddrüse. Zieren respektiert den häufigen Wunsch, wenigstens noch einen Teil des Organs zu retten: "Prinzipiell sollte aber alles krankhafte Gewebe entfernt und nur gesundes belassen werden. Ansonsten besteht ein hohes Risiko für wiederholte Wucherungen, sodass später nochmals ein Eingriff nötig sein könnte."

Mediziner Zieren will die Furcht vor dem Verlust nehmen: "Es lässt sich sehr gut ohne Schilddrüse leben."

Einfluss auf Körper und Geist

Für Petra K. war die Operation letztendlich ein Wendepunkt zum Guten – zumal das entfernte Gewebe hinterher untersucht und keine bösartigen Veränderungen festgestellt wurden.

Die Kölnerin ist froh, dass sie nicht mehr abends um sechs Uhr todmüde ins Bett fällt. Früher war sie teils so schlapp, dass sie überhaupt keinen Sport mehr getrieben hat. Jetzt fühlt sie sich wieder kräftig genug. Nur eine kleine unauffällige Narbe am Hals ist zurückgeblieben.

"Erst seit dieser Zeit weiß ich, was alles mit der Schilddrüse zusammenhängt", sagt Petra K. Deren Hormone sind beteiligt an der Regulierung unseres Stoffwechsels und Energieverbrauchs. Auch auf Nerven, Muskeln, Magen und Herz [15333]haben sie Einfluss. Eine Unter- oder Überfunktion kann zudem das seelische und sexuelle Befinden verändern.

Medikamente genau einstellen

Wird die Schilddrüse ganz oder zu großen Teilen entfernt, müssen diese Hormone dem Körper deshalb mit Tabletten zugeführt werden. "In den meisten Fällen gelingt die medikamentöse Einstellung ohne große Probleme", berichtet Zieren.

Je nach Erkrankung, verbleibendem Restgewebe und Körpergewicht des Patienten sollte noch im Krankenhaus eine entsprechende Erstdosis für Thyroxin und eventuell auch Jod verabreicht werden.

100 000 Schilddrüsenoperationen werden schätzungsweise in Deutschland jährlich vorgenommen.

(Quelle: Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (inEK))

In regelmäßigen Abständen kontrolliert dann der behandelnde Arzt – meist  der Hausarzt, Endokrinologe oder Nuklearmediziner – die Blutwerte des  Operierten und passt die Dosis nach Bedarf an.

100 000 Operationen jährlich

Petra K. muss ebenfalls jeden Morgen, auf nüchternen Magen, Schilddrüsenhormone einnehmen, mindestens eine halbe Stunde vor ­ihrer ersten Tasse Kaffee. "Meine Hausärztin überprüft einmal jährlich die Blutwerte, ob der Hormonspiegel passt."

Es gibt keine ganz genauen Daten, aber medizinische Fachgesellschaften gehen davon aus, dass etwa jeder dritte Deutsche unter einer Schilddrüsenerkrankung leidet. Das bestätigt auch Chirurg Zieren, der in Köln mit seinem Team pro Jahr mehr als 1000 Eingriffe an dem Organ durchführt. Bundesweit sind es rund 100 000 Operationen jährlich, zuletzt hat die Zahl der Eingriffe abgenommen.

Struma, Knotenbildung und Hashimoto

Eine Vergrößerung des Organs (Struma) oder Knotenbildungen seien die häufigsten Ursachen, sagt Zieren. Darüber hinaus operiert er bei Verdacht auf eine bösartige Entartung. Auch bei autoimmunbedingten Krankheiten wie dem Morbus Basedow oder anderen Überfunktionen der Schilddrüse kann eine Operation eine Alternative zu einer Radiojodtherapie mit radioaktiven Jodmolekülen sein.

Barbara S. (67) hat aus einem anderen Grund keine Schilddrüse mehr. Sie ist an Hashimoto erkrankt. Ihr Immunsystem hat Antikörper produziert, die das Gewebe des Organs langsam zerstört haben. "Nach 15 Jahren war nichts mehr da", erzählt sie.

Dem Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner zufolge zählt Hashimoto-Thyreoiditis zu den häufigsten Auto­immunerkrankungen. Nicht selten leiden die Betroffenen noch an anderen Autoimmunkrankheiten oder ent­wickeln welche – zum Beispiel Typ-1- Diabetes.

Ein unterschätztes Organ

Die Bonnerin Barbara S. ist zugleich an einer autoimmunen Magenschleimhautstörung erkrankt. Die Aufnahme von Vitamin B12 in den Körper ist blockiert, sie muss es sich regelmäßig spritzen lassen.

"Die Schilddrüse ist immer noch ein unterschätztes Organ", findet Barbara. "Eine frühzeitig einsetzende Therapie ist immens wichtig." Die Patientin macht sich für mehr Aufklärung stark, warnt vor Fehlinformationen aus Internetforen und ist als Vorsitzende der Schilddrüsen-Liga Deutschland für die Region Bonn, Düsseldorf und Dortmund in der Selbsthilfe tätig.

Wechselspiel der Drüsen: Ein sensibler Mechanismus regelt die Menge an Schilddrüsenhormonen in unserem Körper

Wechselspiel der Drüsen: Ein sensibler Mechanismus regelt die Menge an Schilddrüsenhormonen in unserem Körper

Sie selbst reagierte in der Anfangsphase ihrer Erkrankung sehr sensibel auf den typischen Wechsel zwischen Unter- und Überfunktion. Sie fühlte sich allein gelassen, regelmäßige Kontrollen und Anpassungen bei der Medikation gab es nicht. "Doch die sind sehr wichtig", weiß Barbara S. heute.

Sie empfiehlt anderen Betroffenen, einen Schilddrüsenpass mit sich zu tragen, wo alle wichtigen Werte rund um die Erkrankung notiert sind. Er dient als Informationsquelle für Ärzte, zum Beispiel wenn man ins Krankenhaus eingeliefert wird. "So ist man für alle Notfälle gewappnet."

Ausführliche Infos und Kontakt zu Selbsthilfegruppen in der Region:
www.schilddrüsenliga.de