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Reizdarm – kurz zusammengefasst

Das Reizdarmsyndrom betrifft den Verdauungstrakt und geht mit einem gestörten Zusammenspiel der Darm-Hirn-Achse und immunologischen Vorgängen einher.

Es hängt von verschiedenen Faktoren ab, ob ein Reizdarm entsteht. Zum Beispiel Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Infektionen, Psyche.

Typischerweise treten Bauchschmerzen auf, die mit Verstopfung, Durchfall oder einem Wechsel aus beidem und/oder Blähungen einhergehen.

Die Diagnose stellt der Arzt oder die Ärztin, wenn ein typischer Beschwerdekomplex vorliegt und andere Ursachen wie eine infektiöse oder chronisch entzündliche Darmerkrankung ausgeschlossen wurden.

Die Therapie richtet sich danach, welche Symptome vorherrschen und welche Ursachen eine Rolle spielen. Oft hilft eine Ernährungsumstellung. Auch Medikamente und psychologische Verfahren kommen zum Einsatz.

Definition: Was ist ein Reizdarmsyndrom?

Das Reizdarmsyndrom ist nach derzeitigem Verständnis eine Störung der Darm-Hirn-Achse. Das Zusammenspiel des Darmnervensystems („Bauchhirn“) mit dem zentralen und vegetativen Nervensystem ist also verändert (mehr dazu im Abschnitt Ursachen). Wie häufig ein Reizdarm wirklich vorkommt, lässt sich schwer sagen, da Studien zur Häufigkeit zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Es könnten aber circa zehn Prozent der Menschen weltweit betroffen sein. Ein Reizdarm kann sich spontan zurückbilden, verläuft aber häufig chronisch. Es sind mehr Frauen als Männer betroffen.

Von einem Reizdarmsyndrom sprechen Ärztinnen und Ärzte, wenn…

…Patientinnen und Patienten über mindestens drei Monate über Bauchschmerzen und andere Darmbeschwerden wie Blähungen berichten und wenn sie einen veränderten Stuhlgang haben.

…die Symptome die Lebensqualität deutlich einschränken und der Patient oder die Patientin Hilfe sucht, weil er oder sie sich um die Gesundheit sorgt.

… sehr wahrscheinlich keine anderen Krankheiten für die Beschwerden verantwortlich sind.

…die Krankheitszeichen mindestens einmal pro Woche auftreten.

Ein Reizdarm tritt häufig zusammen mit anderen Erkrankungen auf. Dazu gehören:

  • Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS)
  • Fibromyalgie-Syndrom
  • Reizmagen (Funktionelle Dyspepsie)
  • Spannungskopfschmerzen
  • Depression
  • Angststörungen
  • Essstörungen

Einteilung der verschiedenen Reizdarm-Subtypen

  • Reizdarm, der vorwiegend mit Verstopfung einhergeht (IBS-C)
  • Reizdarm, bei dem Durchfall vorrangig auftritt (IBS-D)
  • Reizdarm, der mit Verstopfung und Durchfall im Wechsel verbunden ist (IBS-M)
  • Reizdarm, der momentan nicht zu den oberen drei Typen passt (IBS-U)

Woher weiß man, ab wann man Verstopfung oder Durchfall hat, und was noch normal ist? Dazu wurde die sogenannte Bristol Stool Form Scale entwickelt, eine Skala, die gemäß der Beschaffenheit des Stuhls sieben verschiedene Stuhltypen unterscheidet:

  • Typ 1 und Typ 2 (Verstopfung): Einzelne, recht harte Klumpen oder zusammenhängend, aber bestehend aus Klumpen, schwer auszuscheiden
  • Typ 3 und Typ 4 (normal): Weiche Würstchen, mit Rissen oder glatter Oberfläche
  • Typ 5: Nicht zusammenhängende, weiche Klümpchen, leicht auszuscheiden
  • Typ 6 und Typ 7 (Durchfall): Lose, lockere Stücke, breiartig oder wässrig, flüssig

Von einem veränderten Stuhlgang sprechen Ärztinnen und Ärzte bei den Typen 1,2,6 und 7.

Die Stuhlformen

(nach Bristol Stool Form Scale)

Typ 1

Einzelne, recht harte Klumpen, schwer auszuscheiden

Typ 2

Zusammenhängende Klumpen, schwer auszuscheiden

Typ 3

Weiche Würstchen, mit Rissen

Typ 4

Weiche Würstchen, mit glatter Oberfläche

Typ 5

Nicht zusammenhängende, weiche Klümpchen, leicht auszuscheiden

Typ 6

Lose, lockere Stücke

Typ 7

Breiartig oder wässrig, flüssig

Ursachen: Wie entsteht ein Reizdarm?

Das Reizdarmsyndrom ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern. Möglicherweise gibt es nicht "den" Reizdarm, sondern mehrere Untergruppen. Dafür spricht, dass Forscher und Forscherinnen inzwischen mehrere Reizdarm-Subtypen identifiziert haben, bei denen sich die hauptsächlichen Beschwerden unterscheiden. Zweitens könnten verschiedene Auslöser infrage kommen, die wiederum voneinander abweichende krankmachende Mechanismen im Darm in Gang setzen. Auch kann der Reizdarm als Begleiterscheinung anderer Krankheiten auftreten (siehe Abschnitt Definition). Es gibt jedoch immer mehr Hinweise, welche Mechanismen im Körper bei den Beschwerden eines Reizdarms eine Rolle spielen könnten.

Primär handelt es sich beim Reizdarmsyndrom wohl um eine Störung der Darm-Hirn-Achse, immunologische Prozesse haben aber auch ihren Anteil.

Die Darm-Hirn-Achse

Das vegetative (autonome) Nervensystem ist der Teil des Nervensystems, der ohne unseren bewussten Einfluss zahlreiche Körperfunktionen steuert. Es verbindet das zentrale (in Gehirn und Rückenmark befindliche) Nervensystem mit dem peripheren (den Körper durchströmende) Nervensystem und besteht aus einem aktivierenden Teil, dem Sympathikus, und einem beruhigenden Teil, dem Parasympathikus. Als drittes autonomes Nervensystem gilt das Darmnervensystem, dessen Funktionen ebenfalls unwillkürlich ablaufen. Hauptsächlich über den sogenannten Vagusnerv, der zum Parasympathikus gehört, kommunizieren Darmnervensystem, zentrales und autonomes Nervensystem über Botenstoffe rege miteinander. Man spricht dabei auch von der Darm-Hirn-Achse.

Experten mutmaßen, dass das Darmnervensystem, auch Bauchhirn genannt, bei Reizdarmpatienten und -patientinnen fehlgesteuert ist. Zum Beispiel ließ sich in vielen Studien eine erhöhte Aktivität des Sympathikus und eine verringerte Aktivität des Parasympathikus nachweisen. Das könnte die Beschwerden im Bauch hervorrufen, das gemeinsame Auftreten mit anderen Erkrankungen erklären und auch die Psyche beeinflussen.

Psychische Einflüsse, biopsychosoziales Krankheitsmodell

Studien zeigen, dass bei Menschen mit Reizdarm bestimmte Hirnareale verändert sind, in denen emotionale Prozesse, aber auch das Verhalten steuernde Prozesse verarbeitet werden. Betroffene nehmen Empfindungen im Bauchraum zudem schneller als schmerzhaft wahr, bewerten diese Empfindungen eher als Symptom einer Krankheit und machen sich vermehrt Sorgen, dass etwas Schlimmes dahinterstecken könnte. Da beim Reizdarm oft nichts Handfestes bei ärztlichen Untersuchungen festgestellt wird und sich die Patientinnen und Patienten oft nicht ernst genommen fühlen, kann sich die Angst und Unsicherheit noch verstärken.

Einige Forscherinnen und Forscher vermuten: Krankheiten wie das Reizdarmsyndrom könnten durch ein Zusammenspiel biologischer, sozialer und psychologischer Faktoren entstehen. Sie sprechen dabei vom biopsychosozialen Krankheitsmodell, das auch Erkrankungen wie die Fibromyalgie und das Chronische Fatigue Syndrom erklären könnte. Bezogen auf den Reizdarm könnte dieses Modell zum Beispiel bedeuten: Eine Person hat als Kind nicht die Liebe, Zuwendung und Unterstützung von den Eltern bekommen, die sie gebraucht hätte. Das wirkt sich negativ auf die Psyche, das autonome Nervensystem und die Entwicklung aus. Die Person hat sich aufgrund ihrer Kindheit Verhaltensweisen wie Perfektionismus, Erfolgsstreben, übermäßige Hilfsbereitschaft angeeignet, was zu chronischem Stress führt und sich auf Darm und andere Organe negativ auswirken kann. Zugleich bewegt sich die Person vielleicht in einem ungünstigen sozialen Umfeld, hat Stress mit dem Partner, in der Arbeit. Dann bekommt sie einen heftigen Magen-Darm-Infekt oder ernährt sich zu oft von stark verarbeiteten oder kohlenhydratreichen Lebensmitteln und bewegt sich zu wenig. Das Zusammenwirken dieser ganzen Ereignisse führt dann letztendlich dazu, dass die Person einen Reizdarm bekommt. Dies ist jedoch nur ein fiktives Beispiel, das verdeutlichen soll: Viele verschiedene Einflüsse tragen zur Entstehung des Reizdarms bei.

Patienten und Patientinnen mit Reizdarm haben häufig Schmerzen in anderen Organen / Körperregionen (zum Beispiel Spannungskopfschmerz, Rückenschmerz, Fibromyalgiesyndrom) und depressive beziehungsweise Angststörungen. Die Krankheit ist jedoch kein psychisches Leiden.

Erhöhte Schmerzempfindlichkeit, Veränderungen im Darmnervensystem

Die Magen-Darm-Wand ist von einem dichten Netzwerk von Nervenfasern durchzogen. Dazu gehören auch Schmerzfasern. Manche Patientinnen und Patienten reagieren auf die eigentlich normalen Darmbewegungen wie Dehnung und Zusammenpressen mit Schmerzen, weil ihr Nervensystem sensibilisiert ist, also früher auf solche Reize mit Schmerzen reagiert. Auch bestimmte Nahrungsbestandteile können auf chemischem Weg einen Schmerzreiz auslösen. Ob die Funktion der Nervenfasern beeinträchtigt ist, lässt sich nicht genau sagen. Die Botenstoffe, die Signale zwischen den Darmnervenfasern und zwischen Darm und Hirn vermitteln, sind aber in ihrer Anzahl verändert. Vor allem der Botenstoff Serotonin, der zu über 90 Prozent im Darm gebildet wird, scheint bei Reizdarm eine wichtige Rolle zu spielen und ist zum Teil erniedrigt oder erhöht. Serotonin, eigentlich als Glückshormon bekannt, steuert zusammen mit anderen Botenmolekülen die Darmbewegungen und weitere Funktionen.

Beeinträchtigte Darmbarriere, Immunaktivierung

Ein Teil der Patientinnen und Patienten hat wohl eine eingeschränkte Darmbarriere. Normalerweise sorgen enge Verbindungen zwischen den Darmschleimhautzellen dafür, dass nur bestimmte Stoffe, vor allem Nährstoffe wie Eiweiß, Fett, Vitamine, Kohlenhydrate, die Darmschleimhaut passieren können. Sind diese Verbindungen (sogenannte tight junctions) etwas durchlässiger, können auch andere Stoffe in die Schleimhaut eindringen, was unter Umständen das Darm-Immunsystem aktiviert. Rund 70 bis 80 Prozent aller Immunzellen befinden sich im Darm. Durch das aktivierte Immunsystem könnte es zu einer „stillen“, also mit medizinischen Verfahren kaum messbaren Entzündung kommen, die zu den Symptomen beiträgt. Auch einige Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die bei Reizdarm eine Rolle spielen, könnten auf diese Weise entstehen. Wird die körpereigene Abwehr im Darm angeregt, kann sich dies auf den ganzen Organismus auswirken.

Genetischer Einfluss

Bestimmte Genveränderungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein Reizdarmsyndrom, wenn weitere Faktoren hinzukommen.

Veränderte Darmflora

Menschen mit Reizdarmsyndrom haben gegenüber Gesunden eine veränderte Darmflora. Teilweise kommen andere Bakterienstämme verstärkt vor als bei gesunden Menschen, teilweise gibt es weniger verschiedene Arten. Antibiotika, Magen-Darm-Infektionen und chronischer Stress können zu einer veränderten Darmflora führen, aber auch andere Faktoren. Studien zeigen zudem, dass sich bei manchen Patienten zu viele Bakterien im unteren Dünndarm (Dünndarm-Fehlbesiedelung, SIBO) befinden, wo sie normalerweise nicht hingehören. Welche Rolle die Darmflora genau beim Reizdarm spielt, muss weiter erforscht werden. Ebenso, ob eine veränderte Bakterienzusammensetzung Ursache oder Folge der Darmkrankheit ist.

Darminfektionen als Auslöser

Vor allem bei Menschen, deren Reizdarm zu Durchfall führt, kann die Ursache eine Magen-Darm-Infektion sein, die Wochen, Monate oder sogar Jahre zurückliegen kann. Wie Viren, Bakterien oder andere Erreger den Reizdarm auslösen ist noch nicht ganz klar. Möglicherweise aktivieren sie das Darm-Immunsystem dauerhaft.

Gallensäurenstoffwechsel aus dem Lot

Menschen, deren Reizdarm eher mit Durchfall einhergeht, haben laut der Ärzteleitlinie in bis zu 50 Prozent der Fälle einen gestörten Gallensäurestoffwechsel. Im unteren Dünndarm befinden sich dann mehr Gallensäuren als dort wieder aufgenommen werden können. Dadurch gelangen mehr Säuren in den Dickdarm, was zu Durchfall führen kann.

Gestörte Darmbewegungen

Normalerweise bewegt sich die Darmmuskulatur rhythmisch, um den Darminhalt weiterzubefördern. Beim Reizdarm können die Darmbewegungen verändert sein: Entweder bewegt sich der Darminhalt langsamer fort, was zu Verstopfung führt, oder schneller, was in Durchfall mündet. Eine Reihe von Störungen der Verdauungstätigkeit können reizdarmähnliche Beschwerden hervorrufen, sind aber eigenständige Krankheitsbilder.

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