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Künstler haben Lampenfieber, wenn sie die Bühne betreten. Vielen hilft es, sich vor dem Auftritt anzufeuern. Doch schwitzige, zittrige Hände, ein trockener Mund und verspannte Muskeln können den Auftritt vermasseln. Bis zu 60 Prozent der Berufsmusiker leiden unter solchen Symptomen. So lautet das Fazit einer aktuellen Übersicht der Charité Universitätsmedizin in Berlin.

Eine normale Reaktion

Man muss kein Künstler sein, um sich in die Situation hineinzuversetzen. Prüfungen, Bewerbungsgespräche oder Präsentationen sind vergleichbar – nur ohne Scheinwerferlicht und Applaus am Ende. Statt von Lampenfieber spricht man hier auch eher von Nervosität.

Nerven sind dabei tatsächlich im Spiel. Über sogenannte sympathische Bahnen im Rückenmark und mithilfe von Hormonen erzeugt das Gehirn einen Zustand erhöhter Erregung (Bildgalerie unten) – eine ganz normale Reaktion und besonders ausgeprägt bei wichtigen Ereignissen wie etwa Prüfungen.

Doch auch Arztbesuche, persönliche Konflikte, Zeitdruck, schwierige Aufgaben, irritierende und zu viele Informationen machen nervös. Kurzum: alles, was verunsichert, unangenehm und belastend erscheint.

Eine persönliche Angelegenheit

Was den Einzelnen nervös macht, hängt von der Person ab. Der eine fühlt sich im Rampenlicht besonders wohl, der andere wird schon beim ­Gedanken unruhig, vor anderen Menschen sprechen zu müssen. Manche nehmen eine Zahnwurzelbehandlung gleichmütig hin, andere geraten bereits auf dem Weg zur Praxis ins Schwitzen, selbst wenn nur die Zahnkontrolle ansteht.

Angespannt: Das passiert im Körper

Unser Gehirn verarbeitet ständig Sinneseindrücke und Erinnerungen. Stuft es die aktuelle Situation als verunsichernd, unangenehm und belastend ein, erzeugt es einen Zustand der erhöhten Erregung mit vielen Begleiterscheinungen

Nervosität ist aber mehr als nur ein momentaner Zustand. Es handelt sich auch um eine innere Unruhe, oft gepaart mit einer erregbaren Grundstimmung. Nervosität hat häufig mit der Persönlichkeit zu tun.

"Ängstliche Menschen neigen ­dazu, in alltäglichen Situationen mit innerer Unruhe und Sorge zu reagieren, und das kann sehr viel an Lebensqualität kosten", sagt Professor Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe für Affektive Störungen an der Berliner Charité.

Stressbelastung mit dem Arzt abklären

Doch auch einige Krankheiten führen zu Nervosität, etwa eine überaktive Schilddrüse. Umgekehrt ist ständige innere Unruhe mitunter ein Zeichen für anhaltenden Stress. Das kann Angststörungen, ein Burn-out-Syndrom und Depressionen nach sich ziehen. "Wer spürt, dass er immer länger braucht, um sich zu erholen, sollte aufmerken. Denn das ist oft das erste Anzeichen einer Folgeerkrankung von Stress", sagt Adli.

Wer ständig unter Strom steht, sollte sich also an den Hausarzt wenden. Er klärt die Ursachen ab und leitet eine geeignete Therapie ein, falls das ­nötig ist. Gegebenenfalls verschreiben Ärzte Medikamente zur Beruhigung. Auch rezeptfreie pflanz­liche Mittel (siehe unten) und psychologische Methoden helfen bei nervösen Symptomen.

Geistig zur Ruhe kommen

Dabei bringen bereits simple Mittel mehr Gelassenheit: genug Ruhephasen etwa. Sie aktivieren den Gegenspieler der erregenden Nervenbahnen, den sogenannten Parasympathikus. "Es ist wichtig, dass in den Pausen auch der Geist zur Ruhe kommt", betont Professor Rainer Rupprecht, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Regensburg.

Wieder herunterkommen

Daher sollte man sich wirk­liche Auszeiten gönnen, ohne dabei Nachrichten zu lesen oder private Angelegenheiten zu regeln. Rupp­recht: "Ständig auf die Signale des Smart­phones zu reagieren ist etwa so, als würde man sich durch den Wecker immer wieder beim Einschlafen stören lassen."

Höchste Zeit, sich abzuregen

Adli ergänzt: "Es ist zu beobachten, dass die Gesellschaft insgesamt zunehmend nervöser tickt." Das zeigt sich etwa daran, dass Städte als unsicherer empfunden werden als ­früher, Terroranschläge als häufiger wahrgenommen werden – obwohl Statistiken das Gegenteil zeigen. Auch der Straßenverkehr wird als zunehmend aggressiv beurteilt.

Für Adli eine Kehrseite der Digitalisierung mit ihrer Flut an Neuigkeiten, die ständig auf einen einprasseln: "Für unsere körperliche und geistige Gesundheit brauchen wir Phasen, in denen wir abschalten", sagt der Stressforscher.

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Zurück zur inneren Ruhe

Beim Entspannen aktiviert unser Gehirn den Parasympathikus im Rückenmark. Er sendet seine Impulse (grün gefärbt) vom Hals- und Lendenbereich aus an die Organe. Gleichzeitig hemmt er seinen erregenden Gegenspieler: den Sympathikus.

Effekte: Die Menge der Stresshormone im Blut sinkt, die Erregung nimmt ab. Damit schwinden auch die Nervosität und die innere Unruhe.

Nervöse Symptome signalisieren also: Es ist höchste Zeit, sich abzuregen. "Der Körper braucht jetzt Bewegung und der Geist eine Pause", sagt Roberto D’Amelio von der Universitätsklinik des Saarlandes. Der Psychologe und Psychotherapeut gibt in den folgenden Passagen hilfreiche Tipps, wie man sich schnell wieder in einen ruhigeren Zustand versetzt. Auch einige Kräuter helfen gegen nervöse Symptome.

Natürliche Ruhestifter

Derzeit kommen wieder besonders viele Studenten zu Jan Harbecke in die Apotheke. Denn jetzt im Februar endet das Studiensemester an der nahe gelegenen Universität in Münster mit zahlreichen Prüfungen. Vielen seiner jungen Kunden kann der Apotheker helfen: mit rezeptfreien, pflanzlichen Fertigpräparaten gegen innere Unruhe, Nervosität und Schlafprobleme.

Es handelt sich um Extrakte aus Baldiran, Hopfen, Lavendel, Melisse und Passionsblume - einzeln oder in Kombination. "Pflanzliche Mittel sind arm an Nebenwirkungen, verglichen mit verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln", erklärt Harbecke den Vorteil. Zur Soforthilfe eignen sich die Kräuter jedoch nicht, denn es dauert zwei bis vier Wochen, bis sie ihre heilsamen Effekte enthalten.

Jan Harbecke leitet eine Apotheke in Münster

Jan Harbecke leitet eine Apotheke in Münster

Harbecke: "Chemische Präparate hingegen wirken sofort." Doch verschreibungspflichtige Benzodiazepine und sogenannte Z-Substanzen darf man nur für kurze Zeit einnehmen. Ein längerer Gebrauch kann zu einer Gewöhnung und zu Abhängigkeit führen. Außerdem mindern diese Arzneimittel die Leistungsfähigkeit. Eine Anwendung vor Prüfungen ist daher nicht empfehlenswert.

Manchmal reicht auch ein kurzes Schläfchen

Pflanzliche Ruhestifter hingegen dürfen problemlos über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden. Doch auch bei Ihnen gibt es ein paar Dinge zu beachten.

Lavendel etwa verursacht bei manchen Menschen Blähungen und Bauchschmerzen. Die ätherischen Öle der Pflanze rufen zudem mitunter einen unangenehmen Geschmack im Mund hervor. Hochdosierter Baldrian wiederum kann sehr müde machen. Generell können alle pflanzlichen Mittel allergische Reaktionen verursachen.

Fertigpräparate entfalten die stärksten Effekte. Es gibt die Pflanzen aber auch als Tees und Badezusätze. Harbecke: "Innere Unruhe geht mit Muskelanspannung einher. Dem wirken warme Bäder am Abend entgegen."

Doch pflanzliche Mittel haben ihre Grenzen. Kunden, die darauf nicht ansprechen oder von schweren Symptomen berichten, verweist der Apotheker an Ärzte.

Harbecke hat sein eigenes Beruhigungsmittel gefunden, das ihm tagsüber hilft. Wenn er es zeitlich einrichten kann, bettet er seinen Oberkörper in der Mittagspause auf einen Tisch in seiner Apotheke und schläft ein Viertelstündchen.