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Impulsiv, sprunghaft, vorsichtig oder egoistisch – unsere Persönlichkeit bestimmt mit, wie wir uns verhalten. "Die Persönlichkeit ist ein eher schwammiger Begriff. Im Grunde beschreibt sie die Gesamtheit aller Eigenschaften, die wir aufweisen", erklärt Professor Dr. Sven Barnow, Leiter des Lehrstuhls Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg. Doch was, wenn bestimmte Persönlichkeitseigenschaften zu einem massiven Leidensdruck führen oder den Menschen im privaten und beruflichen Alltag stark beeinträchtigen? Hier kann eine Persönlichkeitsstörung vorliegen.

Was ist eine Persönlichkeitsstörung?

"Wenn wir die Persönlichkeitsstörung definieren, nehmen wir automatisch eine Wertung vor", stellt der Experte klar. Es wird darüber geurteilt, ob gewisse Charaktereigenschaften eines Menschen stark von der Norm abweichen und somit eine psychische Störung vorliegt. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Persönlichkeitsstörung ein tief verwurzeltes Verhaltensmuster, das sich in starren Reaktionen auf verschiedene Lebenslagen äußert.

Erklärung der WHO-Definition: Mit den ‚starren Reaktionen’ ist gemeint, dass ein Mensch mit einer Persönlichkeitsstörung in seinem Verhalten wenig flexibel ist. Er reagiert in bestimmten Situationen immer wieder auf die gleiche Art und Weise, selbst wenn die Konsequenzen negativ sind. Bei einer Persönlichkeitsstörung fehlt also die Fähigkeit, aus Erfahrungen so zu lernen, dass diese zu einer Korrektur des Verhaltens führen. Beispiel: "Eine Person mit einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung wird Kritik immer, egal ob sie konstruktiv gemeint ist oder nicht, als extrem bedrohlich ansehen und dementsprechend ängstlich reagieren", erklärt Barnow.

Welche Persönlichkeitsstörungen gibt es?

So wie es verschiedene Persönlichkeiten gibt, lässt sich auch zwischen Persönlichkeitsstörungen unterscheiden. "Die wichtigsten sind Borderline, die antisoziale, narzisstische, schizotypische, selbstunsichere, abhängige und zwanghafte Persönlichkeitsstörung", berichtet Barnow. Die ersten drei haben ein impulsives Verhalten gemeinsam und die letzten drei ein ängstliches oder furchtsames. Die schizotypische Störung ist durch exzentrisches Verhalten charakterisiert.

Die hier beschriebenen Charaktereigenschaften, die für die verschiedenen Formen der Persönlichkeitsstörungen typisch sind, liegen außerhalb des Normalbereichs und sind seit der Kindheit erkennbar.

Wichtige Arten von Persönlichkeitsstörungen

Wie und wann wird eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert?

Das fehlangepasste und unflexible Verhaltensmuster besteht seit der Kindheit oder frühen Jugend. "Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung wird aber erst gestellt, wenn die Person 18 Jahre alt ist", erklärt Barnow. Das liegt daran, dass es abzuwarten gilt, welche Entwicklung der Jugendliche nimmt. Eine zu frühe Diagnose "Persönlichkeitsstörung" wäre unangemessen.
Ein Facharzt für Psychiatrie oder ein ärztlicher beziehungsweise psychologischer Psychotherapeut sollte die Persönlichkeitsstörung diagnostizieren. "Die Diagnose ist oft sehr umstritten. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sie von jemandem gestellt wird, der Experte auf dem Gebiet ist", rät Barnow. "Häufig wird die Diagnose klinisch gestellt, das heißt durch den ersten Eindruck." Der Einsatz von einem strukturierten klinischen Interview bei der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen sei aber unerlässlich.

Wie häufig ist eine Persönlichkeitsstörung?

Persönlichkeitsstörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. "Wir gehen davon aus, dass bei rund zehn Prozent der Allgemeinbevölkerung eine Persönlichkeitsstörung vorliegt. Je nach Datenlagen variieren die Zahlen zwischen acht und zwölf Prozent in den Studien", sagt Barnow. Die Häufigkeit hängt auch vom Alter ab. "Bei Achtzehnjährigen ist die Borderline-Störung mit bis zu 4 Prozent sehr häufig", so Barnow.

Wie verläuft eine Persönlichkeitsstörung?

Persönlichkeitsstörungen verlaufen nicht so stabil wie früher angenommen. Barnow: "Eine Studie, die Borderline-Patienten untersuchte, stellte fest, dass nach zehn Jahren nur noch 20 Prozent die Diagnosekriterien erfüllten." Allerdings bedeutet dies nicht, dass es den anderen 80 Prozent auch wirklich immer gut geht. Es bestehen oft nach vielen Jahren noch psychische Probleme, auch wenn im engeren Sinne die diagnostischen Kriterien nicht mehr erfüllt sind.

Fehlt eine sichere Bindung zu den Eltern, steigt das Risiko für Persönlichkeitsstörungen

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Wer entwickelt eine Persönlichkeitsstörung?

Darauf gibt es keine klare Antwort. Es gibt jedoch Risikofaktoren, die es wahrscheinlicher machen, eine Persönlichkeitsstörung zu entwickeln.

Risikofaktor 1: Die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung wird durch genetische Aspekte mitbestimmt. Barnow: "Wenn ein Elternteil mit einer impulsiven Persönlichkeitsstörung diagnostiziert ist, dann hat das Kind ein bis zu fünf mal erhöhtes Risiko auch eine zu entwickeln."

Risikofaktor 2: Neurobiologische Ansätze untersuchen mit Hilfe bildgebender Verfahren, ob strukturelle oder funktionelle Unterschiede im Gehirn das fehlangepasste Verhalten der Persönlichkeitsstörung erklären können. "Beispielsweise hat man herausgefunden, dass die Amygdala bei Psychopathen weniger stark auf emotionale Reize reagiert, was die geringere emotionale Reagibilität dieser Personen erklären mag", berichtet Barnow.

Risikofaktor 3: Die psychologischen Erklärungsansätze konzentrieren sich unter anderem auf Kindheitserfahrungen. "Auch Temperamenteigenschaften spielen eine Rolle. Wenn jemand zum Beispiel von Natur aus ängstlich ist, hat er eine größere Wahrscheinlichkeit, eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung zu entwickeln, als jemand, der eher extrovertiert ist", so der Experte.

Persönlichkeitsstörungen werden mit verschiedenen Psychotherapie-Verfahren behandelt

Persönlichkeitsstörungen werden mit verschiedenen Psychotherapie-Verfahren behandelt

Können Persönlichkeitsstörungen therapiert werden?

Derzeit gilt die Psychotherapie als die am besten geeignete Behandlungsform für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen. "Es gibt keine Therapie mit Medikamenten speziell für Persönlichkeitsstörungen", stellt Barnow klar. Psychopharmaka können lediglich bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen, die in Form einer Persönlichkeitsstörung auftauchen, abschwächen oder verbessern. Barnow: "Wenn jemand impulsiv ist, dann gibt es bestimmte stimmungsstabilisierende Medikamente. Aber jemanden medikamentös einzudecken ohne Therapie bringt nichts. Für eine Krisenintervention können Medikamente hilfreich sein, aber längerfristig, als alleinige Maßnahme, nicht."

Für manche Persönlichkeitsstörungen gibt es spezielle Therapieformen, deren Wirksamkeit durch Studien nachgewiesen werden konnten. Für andere Persönlichkeitsstörungen gibt es keine nachgewiesen wirksamen Therapieformen, was aber nicht bedeutet, dass die Behandlung unwirksam ist. "Hier werden die üblichen Verfahren, wie kognitive Verhaltenstherapie und psychodynamische Verfahren – unter anderem Tiefenpsychologie – angewendet, die auch Erfolge vorweisen können", sagt Barnow.

Generell spielt in der Psychotherapie die sogenannte "Psychoedukation" eine große Rolle. Der betroffene Mensch wird vom Therapeuten ausführlich über die Diagnose aufgeklärt. "Dass die Person sich in der Erklärung des Krankheitsbildes wiedererkennt, hilft", meint Barnow. "Denn dadurch merkt dieser Mensch, dass er mit jemanden spricht, der weiß, was in ihm vorgeht."

Wie können Freunde und Familie helfen?

Freunde und Familie sollten nicht zum Co-Therapeut werden. "Sätze wie: ‚Ich habe gelesen, dass...’ oder ‚ich mache auch eine Therapie und mein Therapeut meinte, dass...’ bringen nichts", sagt Barnow. Wichtig sei, den Menschen mit Persönlichkeitsstörung so zu nehmen wie er ist und erst einmal zu respektieren – wenn auch nicht gutzuheißen –, dass gewisse Verhaltensmuster typisch für die Störung sind. Ermutigung zur Psychotherapie und Unterstützung während der Therapie sind hingegen wirklich hilfreich.

Prof. Sven Barnow

Prof. Sven Barnow

Beratender Experte: Professor Dr. Sven Barnow, Ordinarius und Leiter der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie im Psychologischen Institut der Universität Heidelberg

Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.