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Die Menschen im Nordosten Sibiriens glaubten die gefährlichen Bakterien längst besiegt. Doch dann taute der Permafrostboden auf. Ein Zwölfjähriger starb und mehr als 70 Menschen kamen ins Krankenhaus. Ursache war der Milzbranderreger, den Terroristen auch schon für Anschläge eingesetzt haben. Die Erklärung für die Vorfälle auf der Jamal-Halbinsel im Jahr 2016 bereitet Sorgen: Der Junge soll den Erreger über das Fleisch eines kranken Rentiers aufgenommen haben. Mit steigenden Temperaturen sei das Bakterium aus dem Boden freigesetzt worden und habe zunächst Tiere infiziert.

Welches Risiko lauert in Böden, die wegen der Erderwärmung  zunehmend auftauen? "Die Gefahr ist durchaus reell", sagt der Virologe  Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in  Hamburg. An Kadavern, die das Eis inzwischen wegen der steigenden  Temperaturen freigibt, hätten Bakterien selbst Jahrhunderte überleben  können.

Klimawandel lässt Dauerfrostböden schmelzen

Gerade erst meldete das europäische  Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, dass der Mai im globalen  Durchschnitt der wärmste Mai seit Beginn der Aufzeichnungen 1979 war.  Die höchsten Werte wurden in Teilen Sibiriens gemessen, wo die  Temperatur bis zu zehn Grad höher als im Durchschnitt der Jahre 1981 –  2010 lag. Auch in Alaska und in der Antarktis sei es deutlich wärmer  gewesen als im Mittel.

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Die Sorge ist, dass der Klimawandel der  Menschheit Krankheiten zurückbringen könnte, die längst ausgerottet  schienen. Jahrhundertelang  wurden Menschen – auch jene, die an  Krankheiten und bei Seuchenzügen  starben – in den Dauerfrostböden der  Arktis begraben. Welche  Auswirkungen Pandemien haben können, zeigt nicht  zuletzt die aktuelle  Corona-Infektionswelle. 

Vielerorts taut  der Permafrostboden Schicht für Schicht auf. Der  Klimawandel wirkt sich  Experten zufolge in Regionen mit Dauerfrostböden  vor allem in Alaska,  Kanada und Sibirien deutlich stärker aus als in  vielen anderen  Erdteilen. Nach Angaben des Weltklimarats IPCC sind die  Temperaturen im  Permafrost, also in den Dauerfrostböden, in den  vergangenen 40 Jahren  auf Rekordwerte gestiegen – nach Millionen von  Jahren mit Temperaturen  wie in einer Kühltruhe.

Gut erhaltene Viruspartikel in einer eingefrorenen Leiche

Vor mehr als zehn Jahren machten  Forscher des Nationalen   US-Instituts für Allergien und  Infektionskrankheiten an der Küste   Alaskas eine Entdeckung: In einem  Massengrab in einem abgelegenen   Inuit-Dorf in der Nähe der Stadt Brevig  Mission lag eine Frau, die der   indigenen Volksgruppe angehörte, mehr als  75 Jahre lang unter mehr als   zwei Metern Eis und Schmutz begraben, wie  Wissenschaftler schrieben.

Der Permafrost und die Fettreserven der Frau hätten dazu geführt,   dass die Viruspartikel in ihren Lungen gut  erhalten blieben. So gut,   dass Forscher Erbinformationen der Spanischen  Grippe aus ihr   extrahieren konnten – der Krankheit, die der Welt vor  gut 100 Jahren   eine schlimme Pandemie bescherte. Wie gefährlich können  solche Viren   aus dem Boden, die einst schon einmal kursierten, für  heutige Menschen   sein?

Von aufgetauten Viren geht nur eine geringe Gefahr aus

"Von Viren geht keine größere Gefahr aus",  ist der Hamburger    Virologe Schmidt-Chanasit überzeugt. Um Menschen  krank zu machen, müsse    die aufgenommene Virenlast groß sein. Zudem nehme  die Infektiosität    über die Jahre ab. Je länger ein mit Viren befallener  Kadaver oder    menschliche Überreste unter dem Eis liegen, desto weniger  gefährlich    sind die Erreger noch.

Zwar haben Forscher bei  Bohrungen im Eis oder im Permafrostboden    lebensfähige Viren gefunden.  "Die wurden aber unter Laborbedingungen    zum Leben erweckt", erklärt  Schmidt-Chanasit. Wenn das Eis in der Natur  Viren freigibt, sind sie  sogleich Umwelteinflüssen ausgesetzt und sterben schnell. Tiere müssten  zum Beispiel unmittelbar mit einem aufgetauten und infizierten Kadaver  in Kontakt kommen, um sich eventuell anstecken zu können.

Drei Millionen Jahre alte Bakterien im Permafrost

Widerstandsfähiger  sind Bakterien – und damit auch gefährlicher.     "Anthrax-Sporen sind  umweltstabil", sagt Schmidt-Chanasit. Sie können     im gefrorenen Boden  lange überdauern und später wieder Tiere und     Menschen krank machen.  Bakterien, die Anthrax – auch Milzbrand genannt –     verursachen, ließen  auf der Jamal-Halbinsel schon ganze   Rentierherden   erkranken. In den  vergangenen Jahren gab es immer   wieder Berichte von   Rentiersterben.  Viele Tiere werden nun vorbeugend geimpft. Erst in   diesem Frühjahr  wieder. 

Vor zwei Jahren entdeckten russische Biologen in  Jakutien im     Nordosten Sibiriens Mikroorganismen in Schichten, die sie  auf ein Alter     von mehr als drei Millionen Jahren schätzten. Den  Wissenschaftlern     zufolge besteht das größte Problem beim Auftauen der  Permafrostböden     darin, dass lange gefrorene und heutige Bakterien in  Kontakt kommen   und   Erbgut austauschen könnten, wie die russische  Staatsagentur  Tass    meldete. Dann könne es passieren, dass aus harmlosen  Mikroben     gefährliche Erreger werden.

Eingeschleppte Mücken und Zecken durch mildere Winter

Doch Viren und Bakterien  werden im Zuge des Klimawandels nicht nur      wegen tauenden Eises und  tauender Böden zur Bedrohung für die      Gesundheit. Zecken und Mücken etwa  spielen in unseren Breiten zunehmend      als Überträger von  Infektionskrankheiten eine Rolle, die zuvor auf      südliche Gefilde  beschränkt waren. Ein Grund dafür ist, dass      eingeschleppte Arten besser  durch die milder gewordenen Winter kommen.

In Südfrankreich  wurden im vergangenen Jahr Menschen mit dem      Zika-Virus durch dort  heimisch gewordene Tigermücken angesteckt – es      war der erste solche  Nachweis in Europa. Auch eine andere      eingeschleppte Krankheit sorgt für  Ausbrüche in Europa: das vereinzelt      tödlich verlaufende West-Nil-Fieber.  Ende September 2019 wurde der      erste Fall einer in Deutschland  erworbenen Infektion beim Menschen      bekannt. Die ursprünglich aus Afrika  stammende Erkrankung war zuvor   als    Tierseuche vor allem bei Vögeln  bekannt.

Besorgniserregend ist: Das Virus kann von ganz normalen  heimischen Stechmücken übertragen werden. Auch hier spielt der  Klimawandel eine      Rolle: Je wärmer es ist, umso schneller vermehrt sich  Experten   zufolge    der Erreger in der Mücke – die Gefahr einer Übertragung    wächst. Das    West-Nil-Virus könnte daher künftig auch in Deutschland    saisonale    Erkrankungswellen verursachen.