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Ständige Rückenschmerzen gehen häufig auf eine Fehlstellung des Beckens zurück. Sind etwa die Beine unterschiedlich lang, kippt das Becken leicht aus seiner normalen waagrechten Position. Das ist nichts Ungewöhnliches – ein wirklich gerades Becken ist sogar eher die Ausnahme: Laut einer Analyse der WHO aus dem Jahr 2007 liegt bei rund 70 Prozent aller Menschen mindestens eine leichte Schiefstellung des Beckens vor. Das führt nur selten zu ernsthaften Beschwerden, denn der Körper kann viele kleine Ungenauigkeiten ausgleichen. Geht der Schiefstand jedoch über einen gewissen Grad hinaus, droht auf Dauer eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule – eine sogenannten Skoliose. Zwar ist eine Skoliose nicht gleichbedeutend mit Rückenschmerzen. Verspannen sich als Folge aber die Haltemuskeln deutlich oder nutzen sich die Bandscheiben und Gelenke frühzeitig ab, bereiten viele, eigentlich ganz normale Bewegungen im Alltag zunehmend Schmerzen.

Wie kann ein Beckenschiefstand entstehen?

Ein schiefes Becken kann viele Ursachen haben. Ärzte unterteilen diese in zwei Kategorien:

  • Funktionelle Kippung: "Der Schiefstand ist hier meist durch muskuläre Verspannungen der Gesäßmuskulatur und der unteren Rückenmuskulatur bedingt. Löst sich die Verspannung, kehrt meist alles von alleine wieder in den Normalzustand zurück", erklärt Dr. Reinhard Schneiderhan, Facharzt für Orthopädie in Taufkirchen bei München und Präsident der deutschen Wirbelsäulenliga. Verrenkungen oder einseitige Belastungen etwa durch Sport oder das Tragen einer schweren Tasche über einer Schulter zählen zu den Auslösern. Häufig ist dann eine "funktionelle Beinlängendifferenz" die Folge, bei welcher ein Bein durch das schiefe Becken nur länger scheint als das andere.
  • Strukturelle Kippung: Sie ist anatomisch bedingt. Das schiefe Becken ist also durch Form und Maße des Körpers festgelegt und kehrt nicht von alleine in eine gerade Position zurück. Mögliche Ursachen sind Unfälle, Operationen, Prothesen oder eine entsprechende genetische Veranlagung. "In den meisten Fällen sind jedoch unterschiedlich lange Beine der Grund für den Beckenschiefstand", so Schneiderhan. Hier müssen Ärzte zunächst weiter der genauen Ursache nachgehen, denn unsere Beine sind nur selten wirklich gleich lang.

Wie unterschiedlich dürfen Beine sein?

Ist ein Bein nur wenige Millimeter länger oder kürzer als das andere, ist das kein Grund zur Sorge. Der Körper gleicht das in der Regel problemlos aus. Daher merken die Betroffenen – Frauen wie Männer gleichermaßen – davon nichts. Bei etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen mit Beinlängenunterschied beträgt die Differenz einen halben Zentimeter oder mehr. "Ab etwa sechs Millimetern Differenz sollte eingegriffen oder zumindest beobachtet werden", rät Schneiderhan. Am häufigsten tritt solch ein deutlicher Unterschied im Wachstumsalter auf, da die Beine nicht immer gleich schnell wachsen. Mit den Jahren reguliert sich das von selbst.

Wie stellt der Orthopäde einen Beckenschiefstand fest?

Um einen Beckenschiefstand oder unterschiedlich lange Beine festzustellen, bedarf es keiner aufwändigen Diagnostik. Dem geschulten Auge des Orthopäden genügt oft ein Blick auf die Muskulatur und die Silhouette. "Dabei stelle ich mir Fragen wie: Hat die Muskulatur bereits auf einen Schiefstand reagiert? Musste sie schon kompensieren und ist daher an bestimmten Stellen stärker ausgeprägt? Hat sich eine Skoliose entwickelt?", erklärt Orthopäde Schneiderhan. Reicht das nicht aus für eine Diagnose, wird üblicherweise geröntgt. Es gibt auch Verfahren, die nicht mit einer Strahlenbelastung verbunden sind. "Wir arbeiten heute mit der sogenannten 4D-Wirbelsäulenvermessung. Dabei wird der Rücken optisch abgescannt und die Rückenoberfläche mit einem Lichtraster vermessen", erzählt Schneiderhan. Das hat zwei Vorteile: Zum einen können die Weichteile und die muskuläre Silhouette bildlich wiedergegeben werden – das ermöglicht einen besseren Informationsaustausch zwischen Arzt und Physiotherapeut. Da diese Methode außerdem ohne Röntgenbelastung auskommt, eignet sie sich nicht nur besonders gut für Kinder, sondern auch für regelmäßige Verlaufskontrollen. Ist der Beckenschiefstand zum Beispiel wachstumsbedingt, kann der behandelnde Arzt mit einfachen Mitteln regelmäßig überprüfen, ob er eingreifen muss oder nicht.

Was können die Folgen eines Beckenschiefstands sein?

Das Becken entspricht einer zentralen Stelle der Kraftübertragung in unserem Bewegungsapparat. Es ist fest mit dem Kreuzbein verbunden. Von dort aus ragt die Wirbelsäule nach oben, sorgt für Haltung und trägt unseren Kopf. Da im Becken auch die Hüftgelenke verankert sind, passt es sich jeder Bewegung unserer Beine an. Steht das Becken dauerhaft schief, gerät je nach Ausprägung also beinahe der gesamte Bewegungsapparat aus seiner normalen Position. Die Beschwerden beginnen dann beckenaufwärts in Form von Schmerzen und Verspannungen: bei Frauen meist mehr im Bereich der Halswirbelsäule und bei Männern eher im Bereich der Lendenwirbelsäule. Sogar Kopf- und Kieferschmerzen sind möglich: "Manch ein Zahnarzt schickte seinen Patienten schon zum Orthopäden wegen Zahnschmerzen, die sich als eine Kiefergelenksdysfunktion herausstellten. Verursacht durch ein schiefes Becken", so Reinhard Schneiderhan. Hat sich bereits eine (funktionelle) Skoliose entwickelt, verschleißen Wirbelgelenke und Bandscheiben schneller.

Beckenabwärts kann eine Schiefstellung auf Dauer zu einer schlechteren Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke führen. Weil Gelenkkopf und -pfanne nicht gerade aufeinander sitzen, nutzen sich Gelenkknorpel ungleichmäßig ab. Auch Funktionsstörungen im Kreuz-Darmbein-Gelenk – dem sogenannten Iliosakralgelenk – können die Folge eines Beckenschiefstands sein.

Wie kann ein Beinlängenunterschied behandelt werden?

Die Therapieempfehlung bei Beinlängendifferenz hat sich in den letzten Jahren geändert. Früher erhielten Patienten auch bei kleinen Längenunterschieden den Rat, ausgleichende Einlagen zu tragen. Weil aber ein Beckenschiefstand ebenso wie eine Beinlängendifferenz so häufig vorkommt, ohne Beschwerden zu bereiten, betrachten die Experten das Thema heute etwas differenzierter. "Ob eine Beinlängendifferenz ausgeglichen werden sollte oder nicht, hängt unter anderem auch von der Körpergröße ab", sagt Orthopäde Schneiderhan. Ist etwa ein Bein fünf Millimeter kürzer als das andere, bereitet das einem Zwei-Meter-Mann weitaus weniger Probleme als einer Frau, die rund einen halben Meter kleiner ist. Kommt schleißlich die Schuh-Einlage oder eine Sohlenerhöhung zum Einsatz, heißt es erst einmal Ausprobieren und Beobachten. Im Laufe der Zeit wird der Orthopäde nach Möglichkeit die Korrekturmaßahme nach und nach optimieren. Falls sich aber die Beschwerden innerhalb der nächsten sechs bis acht Wochen verschlechtern oder gar neue Probleme hinzukommen, heißt es vom Längenausgleich wieder abzusehen. Bei einem Längenunterschied von mehr als drei Zentimetern hilft mitunter eine Operation.

Wie kann ein Beckenschiefstand behandelt werden?

Bei einem funktionellen Beckenschiefstand müssen vor allem die richtigen Muskeln gekräftigt werden. Wer seinen Körper über längere Zeit sehr einseitig belastet, trainiert auch nur einseitig seine Muskulatur. Das führt dazu, dass beispielsweise das Becken oder die Wirbelsäule in Richtung der stärkeren Muskeln gezogen wird – und mündet im schlimmsten Fall zu einem Beckenschiefstand oder einer Skoliose. Daher gilt es, die Muskeln beider Seiten beispielsweise durch Krankengymnastik ausgewogen zu kräftigen und Defizite auszugleichen. "Das löst nicht nur schmerzhafte Verspannungen, sondern bringt auch das Becken wieder in seine normale Position zurück", so Schneiderhan.

Ein funktioneller Beckenschiefstand kann aber auch durch eine Blockade entstehen – man hat sich sprichwörtlich "verrenkt". Solche Verschiebungen und Blockaden lassen sich meist gut manuell therapieren, etwa durch Einrenken. "Das Einrenken bedeutet am Gelenk nur einen vergleichsweise kleinen Schritt. Die Spannung der gesamten umliegenden Muskulatur kann sich dann aber wieder normalisieren", erklärt Schneiderhan. Ein schiefes Becken oder verschieden lange Beine sollten mit der richtigen Diagnostik und Therapie heute also keine Problem mehr bereiten.