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Wo liegen die Schlüssel bloß schon wieder? Wie hieß noch mal dieser ..., äh, der Dings?“ Mentale Aussetzer wie diese dürften in einer schnell getakteten, informationsüberladenen und gleichzeitig alternden Gesellschaft durchaus häufig vorkommen. Das menschliche Gedächtnis ist ein einmaliges, aber auch anfälliges Wunderwerk: Übermüdung, Ablenkung oder auch ein paar Glas zu viel können schon reichen und es lässt einen im Stich.

Das Alter macht für derlei Aussetzer anfälliger. Das Gehirn baut bereits ab Anfang dreißig langsam ab. Zwar kann es lebenslang lernen und damit noch Jahrzehnte lang auf hohem Niveau funktionieren. Doch etwa ab 50 lassen Denktempo und geistige Reserven dann doch so sehr nach, dass die genannten Störfaktoren weniger gut kompensiert werden. Für Gedächtnisfunktionen wird das besonders leicht spürbar, da sie praktisch über das gesamte Gehirn verteilt und vernetzt sind.

Manche Erkrankungen können das Nachlassen der geistigen Spannkraft allerdings noch beschleunigen. „Wer anhaltend Gedächtsnisprobleme hat, die auch Beruf und sogar den Alltag beeinträchtigen, sollte diese abklären lassen“, rät Professor Thomas Duning, neurologischer Oberarzt und Demenzspezialist am Universitätsklinikum Münster. Werde das Problem rechtzeitig erkannt, könne es unter Umständen auch behoben werden – besonders bei bestimmten Stoffwechselstörungen oder Entzündungserkrankungen des Gehirns, die auch Jüngere treffen können.

Durchblutungsstörungen im Gehirn

Eher altersabhängige Leiden wie Bluthochdruck oder Diabetes schädigen langfristig die kleinen Gefäße in der Tiefe des Gehirns, wo vor allem Nervenbahnen verlaufen. Chronische Durchblutungsstörungen in diesem Bereich machen das Denken umständlich und langsam, was sich auch ungünstig aufs Gedächtnis auswirkt – ein Prozess, der bis zur deshalb sogenannten vaskulären Demenz führen kann.

Eine gute Therapie von Gefäßerkrankungen kann davor bewahren. Noch besser ist es, durch gesunde Lebensführung vorzubeugen. 40 Prozent aller Demenzen könnten durch das Meiden bestimmter Risiken verhindert werden, folgern britische Psychiater in einem aktuellen Bericht der Fachzeitschrift The Lancet.

Als negative Einflüsse benennen die Experten das Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum, Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel. Umgekehrt haben mehrere Studien gezeigt, dass beispielsweise körperliche Aktivität auch den Kopf fit hält. Der Zusammenhang ist offensichtlich: Sport fördert die Durchblutung des Gehirns, senkt hohen Blutdruck und hilft, übermäßige Kalorien zu verbrennen.

Geistige Aktivitäten halten das Gehirn ebenso in Schwung: Dinge, die das Nervensystem regelmäßig trainiert, kann es besser und länger. Und ein hoher Bildungsstand verhilft offenbar zu mehr Reserven, um eine nachlassende Geistesstärke auszugleichen.

Ob aber Gehirnjogging dazu taugt, die geistigen Kapazitäten zu steigern, gilt als strittig. Zwar konnten Studien anhaltende Trainingseffekte bei gesunden Probanden nachweisen. Doch beschränken sich solche vorwiegend auf die geübten Fertigkeiten – beispielsweise das Memorieren von Zahlen. Andere kognitive Leistungen waren so nicht zu verbessern, höchstens indirekt über die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit. „Bei der Gedächtnisbildung handelt es sich um fortwährend ablaufende Anpassungseffekte, zu denen das Gehirn im Prinzip das ganze Leben fähig bleibt“, stellt der Neurowissenschaftler Dr. Matthias Nau von der Universität Trondheim in Norwegen fest.

Unwichtiges wird gelöscht

Das liegt vermutlich auch daran, dass das Gehirn immer ökonomisch arbeitet. Anders als eine Festplatte speichert es nicht kritiklos alles ab, sondern filtert, aktualisiert und mistet ständig aus. „Auch das Vergessen ist ein aktiver Prozess des Gedächtnisses.  Zudem rekombiniert unser Gehirn bestehende Gedächtnisinhalte ständig neu und bleibt so den aktuellen Anforderungen gewachsen“, sagt Nau.

Eine Untersuchung schwedischer und finnischer Forscher zeigte 2019, dass bestimmte Lernstrategien Gedächtnisleistungen verbessern – allerdings auch nur anfangs: Ist die Strategie einmal verankert, nimmt die Merkfähigkeit nicht mehr zu. Die Wissenschaftler stellten damit die Funktion des sogenannten Arbeitsgedächtnisses heraus. Dabei handelt es sich um Nervenzellverbände im Stirnhirn, wo auch Aufmerksamkeit und planerisches Handeln gesteuert werden.

Das Arbeitsgedächtnis hält Informationen wenige Augenblicke fest, solang sie eine besondere Aufmerksamkeit erzeugen. So ist es möglich, Handlungen sinnvoll durchzuführen – etwa zum Kühlschrank zu gehen, um Milch zu holen, ohne unterwegs das Ziel zu vergessen. Ob eine solche Begebenheit aber auch noch Jahre später erinnert wird, ob sie also in das Langzeitgedächtnis gelangt, hängt von anderen Strukturen ab.

Der sogenannte Hippocampus in den Schläfenlappen ordnet eingehende Informationen und leitet sie an ihre zuständigen Speicher in der gesamten Hirnrinde weiter. Er sortiert Impulse aus den Kurzzeitspeichern des Stirnhirns und überführt sie in das Langzeitgedächtnis, wenn sie stark beziehungsweise bedeutsam genug sind – wenn einem beispielsweise, am Kühlschrank angekommen, die Milchflasche auf den Fuß fällt, sodass man drei Wochen nicht mehr richtig laufen kann. Neben emotionalen Verstärkern aktiviert den Hippocampus aber auch Wiederholung – also Lernen. Werden ihm Reize oft genug angeboten, knüpft er Verbindungen zum Langzeitspeicher.

Schlaf für einen fitten Geist

Diese Aufgabe bewältigt der Hippocampus im Schlaf besonders gut. In Experimenten konnte dargestellt werden, wie die Hirnstruktur zuvor dargebotene Reizmuster über Nacht gewissermaßen rekapituliert. Ausreichend Schlaf ruht den Geist also nicht nur aus, sondern führt aktiv zu einem guten Gedächtnis.

Schäden am Hippocampus oder an seinen Verbindungen haben meist entsprechend gravierende Folgen. Schwere Amnesien können die Folge sein: Zustände, in denen keine neuen Informationen mehr gespeichert werden können. Hirnentzündungen, chronischer Alkoholismus oder auch Schlaganfälle können dies bewirken.

Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es bereits im Frühstadium zu einer Verkümmerung der Hippocampus-Region. Merkfähigkeit und räumliche Orientierung der Patienten sind daher bereits reduziert, wenn das robuste Alt-Gedächtnis, ein Teil des Langzeitgedächtnisses, noch ausreicht, um Alltagsroutinen zu meistern. „Im Verlauf geraten aber weitere Hirnrindenareale in Mitleidenschaft, sodass auch biografisches Wissen und praktische Fertigkeiten verloren gehen“, sagt Duning.

Doch selbst im Falle so einer unheilbaren Hirnerkrankung würde eine geförderte geistige Gesundheit helfen, so der Neurologe: „Je höher die Kapazität und Kompensationsmöglichkeit des Gehirns, desto länger können Erkrankte ihr Leben selbstständig führen.“